Frauen an die Waffen
11. Januar 2010Tanja Kreil hat Stefanie Linsener nie kennengelernt. Doch ist die Soldatin ihrer streitbaren Vorkämpferin dankbar. Denn als Klägerin hatte Tanja Kreil vor dem Europäischen Gerichtshof eine Grundgesetzänderung erstritten. Seither dürfen Soldatinnen nicht mehr nur im Sanitätsdienst oder im Musikkorps eingesetzt werden, sondern auch Dienst mit der Waffe tun. Ohne Tanja Kreil gäbe es also keine Bundeswehrsoldatin Stefanie Linsener.
Ein Jahr nach dem EUGH-Urteil vom 11. Januar 2000 wurde die damals 18-jährige Stefanie Linsener als eine der ersten Frauen in der Bundeswehr eingezogen, um an der Waffe ausgebildet zu werden. “Mein Vater war wirklich stolz auf mich. Meine Mutter hatte gewisse Zweifel, aber sie ist natürlich auch sehr stolz auf mich, dass ich das gemacht habe.”
Völlig unbedarft zur Grundausbildung angetreten
An den Befehlston und den Drill habe sie sich erst gewöhnen müssen. Und die Dienstkleidung empfindet sie zwar als zweckmäßig, aber doch unmodisch “für eine Frau, die auf sich achtet“. Stefanie Linsener ist eine gepflegte Erscheinung. Ohrringe und Fingerschmuck trägt sie im Büro. Und sie lacht gern, aber als sie gemeinsam mit sechs weiteren Frauen und 60 Rekruten durch Schlamm robben, sich einen Kampfstand ausgraben musste und sich die Füße wund lief, mit 30 Kilo Gepäck auf dem Rücken, einem 3-Kilo-Gewehr und einem Maschinengewehr von zwölf Kilo Gewicht, da sei ihr das Lachen des Öfteren vergangen.
Manchmal zweifelte sie am Sinn der Übungen, doch lernte sie dabei ihre psychischen und physischen Grenzen kennen, auch beim Zickenkrieg innerhalb der sieben-Frauen-Truppe. Ihr Ehrgeiz war entbrannt. “Ich hab mir gesagt: 'Augen zu und durch.' Das machst du jetzt. - Ich glaube, es stimmt schon, dass Frauen da auch ein bisschen ehrgeiziger sind und mehr Willenskraft haben. Also, ich zumindest hatte das.”
Emanzipation in der Kaserne
Das kann Major Jürgen Fischer nur bestätigen. Er hat die Erfahrung gemacht, dass die jungen Rekruten von ihren weiblichen Kameraden sogar beflügelt werden. Und es sei nur eine Frage von fünf bis sechs Jahren, bis eine Soldatin erstmals zum Major oder Oberstleutnant ernannt werde. "Frauen und Männer werden gleichberechtigt behandelt - auch bei der Besoldung", erklärt der Major.
Ein kleiner Unterschied
Im Gegensatz zu Männern dürfen Frauen nicht zum Dienst an der Waffe verpflichtet werden. Deshalb gibt es auch keine Wehrpflicht für Soldatinnen. Stefanie Linsener kann die Waffe mit verbundenen Augen zusammenbauen. Sie weiß, dass es ein Gerät ist, das den Tod bringen kann, aber es gehöre halt zur Armee dazu. Zum Selbstverständnis der Bundeswehr-Angehörigen gehört auch ihr viermonatiger Einsatz in Afghanistan.
Weder Sicherheit noch Gleitzeit in Afghanistan
13 bis 15 Stunden am Tag haben sie und ihre Kameraden gearbeitet. Vier Monate ohne freien Tag. Täglich mit Waffe und kugelsicherer Weste herumzulaufen, das Land meist nur durch die Sicherheitsscheiben im Panzerwagen zu sehen, das hat sie gelehrt, das Leben in Deutschland zu schätzen. Ihre Stärke: Erlebnisse nicht so nah an sich rankommen lassen. Ihre Erkenntnis: weibliche Soldaten haben es schwerer, in dem von Männern dominierten Land Anerkennung zu finden, denn Frauen treten in Afghanistan kaum in der Öffentlichkeit in Erscheinung. Als sie, ganz unbedarft, einmal die langen Haare offen trug und ohne Kopfbedeckung außerhalb des Camps unterwegs war, habe man sie mit Steinen beworfen, obwohl sie doch dunkle Haare habe, so wie afghanische Frauen. “Das ist, als würde eine Frau in Deutschland nackt auf der Straße herumlaufen”, habe man ihr später erklärt.
Flexibel, einsatzbereit, leistungsorientiert, teamfähig
Stefanie Linsener würde sich als zielstrebig bezeichnen. Major Fischer unterstreicht, dass seine Mitarbeiterin in der Presseabteilung beim Streitkräfteunterstützungskommando in Köln-Wahn das Zeug dazu gehabt hätte, Hauptfeldwebel zu werden. Den Eignungstest hatte sie bestanden. Ihr Ex-Mann, den sie bei der Bundeswehr kennen lernte, stellte sie vor die Wahl: Karriere oder Liebe. Sie entschied sich für den Mann. Die Beziehung ist inzwischen zerbrochen. Schicksal. Stefanie Linsener lächelt und zuckt mit den Schultern.
Immer wieder aufstehen - das hat sie gelernt beim “Bund”. Und auch immer wieder neu anzufangen. Dreimal wurde Stefanie Linsener versetzt. Zur Zeit lebt sie in einer WG in Köln. Wenn sie sich in Uniform außerhalb der Kaserne zeige, werde sie manchmal angestarrt, “so als trüge sie eine Karnevalsverkleidung”. Im Straßenbild sind Soldatinnen eben noch keine Selbstverständlichkeit. In den Reihen von Marine, Luftwaffe und Heer schon.
Neun Prozent der Soldaten sind weiblich
17.000 Soldatinnn leisten Dienst bei den Streitkräften. Stefanie Linsener ist seit neun Jahren bei der Truppe. Weitere zwei Jahre wird sie in ihrem Büro beim Streitkräfteunterstützungskommando in Köln-Wahn noch Presseanfragen bearbeiten als Assistentin von Major Jürgen Fischer. Der weiss, was er an Mitarbeiterinnen wie Stabsunteroffizier Linsener hat. “Frauen sind ja multitaskingfähig. Das ist mein Nachteil. In vielen Bereichen können sie auch akribischer arbeiten. Sind auch konzentrierter bei der Sache. Insgesamt macht die Zusammenarbeit Spaß. Man kann sich auch auf Frauen sehr gut verlassen. Wenn die sagen: Das hab' ich im Griff, dann ist das auch so.”
Helm, Kampfstiefel und Tarnanzug sind griffbereit
Nach Afghanistan würde sie jederzeit nochmals gehen. Ihre Einsatzkleidung liegt bereit im Bürospind, und zuhause im Schrank hat sie ein Fach für Uniformen und Tarnanzüge eingerichtet. Fest steht, dass die Zeitsoldatin zwei Jahre bezahlte Berufsförderung erhält, bevor sie aus der Armee ausscheidet. Das Mediendesign-Studium interessiert sie, bei einem Wechsel zu den Zollbehörden wäre sie auch wieder abgesichert und könnte sich zur Hundeführerin ausbilden lassen. Sefanie Linsener weiß noch nicht so genau, was sie nach ihrer Bundeswehr-Zeit machen wird. Aber irgendwas wird sich schon ergeben. Wie bisher auch immer.
Autorin: Karin Jäger
Redaktion: Stephan Stickelmann