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Eine Chance vertan

Karl Zawatzky15. September 2003

Die WTO-Ministerkonferenz in Cancun ist gescheitert. Immerhin: Die Entwicklungsländer haben diesmal verstanden, sich gemeinsam Gehör und Einfluss zu verschaffen. Ein Kommentar von Karl Zawadzky aus Cancun.

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Die Entwicklungsländer haben höchst unterschiedliche Interessen. Aber sie haben auf der Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation WTO in Cancun (10. bis 14.9.2003) die alte Erkenntnis beherzigt, dass Gemeinsamkeit stark macht. Sie haben beträchtlichem Druck und allen Verlockungen aus den Reihen der Industriestaaten widerstanden. Am Ende war allen Beteiligten ein Scheitern lieber als ein Ergebnis ohne Substanz. Dass ein substanzielles Ergebnis verfehlt wurde, ist natürlich gerade in der gegenwärtigen Lage der Weltwirtschaft fatal, denn nichts wäre hilfreicher gewesen als ein Signal des Aufbruchs für den internationalen Handel. Aber die Entwicklungsländer wollen für sich einen stärkeren Anteil am Welthandel und mehr Profit daraus ziehen. Sonst machen sie nicht mehr mit. Das ist das eigentliche Signal von Cancun.

Länder der Dritten Welt - darunter die Schwergewichte China, Indien, Brasilien und Ägypten - sind auf der Welthandelskonferenz als Gruppe der 21 aufgetreten. Zu dieser Gruppe gehören so arme Länder wie Bolivien, Kuba, Peru und Ecuador, aber auch wirtschaftlich fortgeschrittene Länder wie Chile, Thailand und Südafrika.

Die Gruppe der 21, die mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung repräsentiert, versteht sich als Sprachrohr und Verhandlungsführer für die gesamte Dritte Welt. Und die Dritte Welt lässt sich von dieser Gruppe gern vertreten. So hat die Gruppe 21 gegenüber den Industriestaaten auf einem Abbau der weltmarktschädlichen Agrarexport-Subventionen sowie auf eine Marktöffnung für Nahrungsmittel aus Entwicklungsländern bestanden. Die Industriestaaten, zum Beispiel die Mitgliedsländer der EU, waren zum Entgegenkommen, wenn auch ohne zeitliche Festlegung, bereit. Im Gegenzug verlangten sie von den Entwicklungsländern ein multilaterales Investitionsschutzabkommen, weitere Zollsenkungen, Regeln für Transparenz beim öffentlichen Beschaffungswesen sowie Regeln für den Wettbewerb.

Da sich keine Seite zuerst bewegen wollte, wurde die Blockade der Verhandlungen mit der Erklärung des Scheiterns beendet. Das heißt nicht, dass es nun überhaupt keinen Fortschritt bei der weltweiten Handelsliberalisierung gibt, sondern ein neuer Anlauf ist nötig. Denn die hier in Cancun unerledigt gebliebene Aufgabe, über Handelserleichterungen die Weltwirtschaft anzukurbeln und dann den Zugewinn an Wohlstand gerecht zu verteilen, bleibt ja. Wohl aber müssen sich die Industriestaaten darauf einstellen, dass sie von nun an auf die Interessen der Entwicklungsländer mehr Rücksicht nehmen müssen. Das Scheitern der WTO-Konferenz schadet allen, am meisten jedoch denen, die sich den größten Gewinn erhofft hatten, also den Industriestaaten. Ihnen sollte spätestens mit dem Scheitern der Konferenz in Cancun klar geworden sein, dass es einen Fortschritt in der internationalen Handelspolitik nur im Rahmen einer wirklichen Entwicklungsrunde mit substanziellen Vorteilen für die Länder der Dritten Welt geben wird.