Eine Beziehung mit schwieriger Vergangenheit
30. August 2008Das Verhältnis Polens zu Deutschland auf der einen und Russland auf der anderen Seite ist ein mit vielen Traumata behaftetes Kapitel der europäischen Geschichte. 1772 wurden Teile Polens von Preußen und Russland annektiert. Eine weitere so genannte "polnische Teilung" wurde nach dem polnisch-russischen Krieg 1793 wiederum von Russland und Preußen vollzogen. Zwei Jahre später vereinnahmten Russland und Österreich den Rest des Landes. Beim Wiener Kongress 1815 wurde ein sehr viel kleineres "Kongresspolen" wieder auf der europäischen Landkarte etabliert. Im August 1939 wurde das Land erneut geteilt und seiner nationalen Würde beraubt: Dieses Mal besetzten die beiden Diktatoren Hitler und Stalin Polen, ließen weite Teile der Bevölkerung ermorden und eine brutale Willkürherrschaft aufziehen.
Geschichte, die nicht vergeht
In dem von Deutschland annektierten Teil Polens - dem "Generalgouvernement" - wüteten SS-Einheiten mit besonderer Brutalität. Neben schlimmen menschlichen Verwerfungen fand auf dem Gebiet Polens (und in Teilen der Ukraine) der Holocaust statt. Auf den alliierten Konferenzen während und nach dem Krieg hatte Stalin eine Westverschiebung Polens auf Kosten Deutschlands durchgesetzt. In das frei werdende polnische Land rückten Einheiten der Roten Armee der Sowjetunion vor.
Was als human zu gestaltender "Bevölkerungstransfer" erdacht war, endete in einer gnadenlosen Vertreibungspolitik von mehr als 10 Millionen Menschen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten. Zu der Verbitterung vieler Millionen Polen über das erlittene Unrecht gesellte sich 1945 die Wut vieler Millionen Deutscher über die verlorene Heimat. Das Verhältnis zwischen beiden Staaten war durch diese gemeinsam erlittene Geschichte schwer belastet.
Schweigen und Annäherung
Während die Bundesrepublik nach dem Krieg die Aussöhnung mit dem ehemaligen "Erbfeind" Frankreich ebenso konsequent betrieb wie die Integration des Landes in die westliche Wertegemeinschaft, stand das Verhältnis zu den Ländern des europäischen Ostens nicht auf der Tagesordnung. Sie gehörten in der ideologischen Auseinandersetzung zwischen Ost und West zur "anderen Seite".
Beim Zweiten Vatikanischen Konzil in Rom kam es 1965 zu einer ersten Annäherung der polnischen und deutschen Bischöfe. Die Einladung zu einer christlichen Feier in Polen beendeten die polnischen Bischöfe mit den Worten: "In diesem allerchristlichsten und zugleich sehr menschlichen Geist strecken wir unsere Hände zu Ihnen hin in den Bänken des zu Ende gehenden Konzils, gewähren Vergebung und bitten um Vergebung." Die Antwort der deutschen Bischöfe griff die Versöhnungsgeste auf: "Furchtbares ist von Deutschen und im Namen des deutschen Volkes dem polnischen Volk angetan worden. So bitten auch wir zu vergessen, ja wir bitten zu verzeihen."
Aussöhnung wird zur offiziellen Politik
Die große Koalition unter Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger leitete 1966 einen außenpolitischen Kurswechsel ein. Nicht mehr harte Konfrontation, sondern der Versuch einer Aussöhnung mit den ehemaligen Kriegsgegnern sollte im Mittelpunkt stehen. Aber erst unter Willy Brandt, der 1969 Bundeskanzler wurde, rückte diese Maxime ins Zentrum der deutschen Außenpolitik. Nach der Westintegration ist die Aussöhnung mit den ehemaligen Kriegsgegnern im Osten Europas die "Komplettierung der deutschen Außenpolitik nach 1945".
Der Kniefall des Bundeskanzlers vor dem Mahnmal des Aufstands im Warschauer Ghetto am 7. Dezember 1970 war das stärkste Symbol der deutschen Bitte um Vergebung. Die demütige Haltung des Kanzlers, der selbst im Widerstand gegen das Dritte Reich war, fand Aufmerksamkeit in der westlichen Welt. Im Osten wurde die Geste zwar verschwiegen, der am gleichen Abend unterzeichnete Warschauer Vertrag aber als großer Erfolg gefeiert.
Neue Beziehungen in Freiheit
Der kalte Krieg und die Spaltung des europäischen Kontinents verhinderten zunächst engere Beziehungen zwischen beiden Staaten. Das änderte sich 1990 mit dem Ende des Ostblocks. Der erste deutsche Staatsgast nach dieser Zäsur war Bundespräsident Roman Herzog, der 1994 zum 50. Jahrestag des Aufstands im Warschauer Ghetto in die polnische Hauptstadt reiste und eine viel beachtete Rede hielt. Er verneige sich vor den Kämpfern des Warschauer Aufstands ebenso wie vor allen polnischen Opfern, die der Zweite Weltkrieg verlangt hat: "Ich bitte um Vergebung für das, was ihnen von Deutschen angetan worden ist", fuhr er fort und erntete dafür bei seinen Gastgebern bis heute anhaltenden Respekt.
Entschädigungszahlungen
Eine neue Qualität in die deutsch-polnischen Beziehungen kam durch die von der rot-grünen Bundesregierung ins Leben gerufene Entschädigung von Zwangsarbeitern. Etwa 12 Millionen Männer und Frauen waren während des Zweiten Weltkriegs nach Deutschland zwangsweise verschleppt worden. Sie mussten unter erbärmlichen Bedingungen harte Arbeit verrichten. Ihr Tod wurde billigend in Kauf genommen.
Die rot-grüne Bundesregierung gründete die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“, durch die etwa 485.000 polnische Zwangsarbeiter mit einem Gesamtbetrag von 979 Millionen Euro entschädigt wurden. 2004 reiste Bundeskanzler Gerhard Schröder nach Warschau und setzt erneut ein Zeichen für die neuen Beziehungen zwischen den europäischen Nachbarn Deutschland und Polen: "An diesem Ort des polnischen Stolzes und der deutschen Schande hoffen wir auf Versöhnung und Frieden."
Trotzdem ist das deutsch-polnische Verhältnis höchst sensibel. Das zeigt die Diskussion um das in Berlin geplante "Zentrum gegen Vertreibung". Während die Deutschen ein Mahnmal gegen jede Vertreibung setzen wollen, befürchten Polen revanchistische Gelüste der deutschen Heimatvertriebenen. Erst wenn es möglich ist, ein solches Zentrum mit deutscher und polnischer Unterstützung ins Werk zu setzen, hat sich das Verhältnis normalisiert.
Autor: Matthias von Hellfeldt
Redaktion: Hartmut Lüning