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"Eindruck: EU ist käuflich"

Diana Hodali24. April 2016

Beim Türkei-Besuch der Bundeskanzlerin fielen kaum kritische Worte. Merkel wird zu große Nähe zu Erdogan vorgeworfen. Und das Ansehen der EU ist auf Jahre hinweg beschädigt, sagt Türkei-Experte Kristian Brakel.

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EU und Türkei Flagge (Foto: DPA)
Bild: picture-alliance/dpa/C. Petit Tesson

Deutsche Welle: In der türkischen Stadt Gaziantep hingen überall große Plakate: "Wir sind stolz auf unsere Kanzlerin Frau Angela Merkel und unseren Ministerpräsidenten Herrn Ahmet Davutoglu". Das erweckt doch den Eindruck, dass die zwei für dieselbe Politik stehen.

Kristian Brakel: Es gibt in der Türkei eine Art Hass-Liebe zu Deutschland und damit auch zu deutschen Politikern. Lange Zeit fühlte man sich ungerecht behandelt. Aber jetzt - da der türkische Premier Ahmet Davutoglu Seite an Seite mit der Kanzlerin kommt und man den Eindruck hat, die Kanzlerin spricht im Prinzip auf Augenhöhe mit der Türkei - ist das natürlich eine große Genugtuung, sowohl für die türkische Politik als auch für die türkische Bevölkerung.

Aber ist dieses Signal im Sinne der Kanzlerin?

Wenn wir auf die Sachpolitik blicken, bei der es um die deutsch-türkische Annäherung geht und die Wiederannäherung der EU an die Türkei, dann sollte das schon im Sinne der Kanzlerin sein. Und ich finde es bedauerlich, dass sie so viele Jahre gebraucht hat, um zu erkennen, dass die Türkei ein wichtiger, strategischer Partner ist. Das Problem sind aber die Umstände: dass wir uns gerade jetzt einer Türkei annähern, die nicht europäischer, nicht demokratischer wird, sondern - im Gegenteil - in eine andere Richtung driftet. Und dann kommt hinzu, dass die Flüchtlingspolitik, so wie sie betrieben wird, internationales Recht verletzt.

Kristian Brakel ist der Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul (Foto: privat)
Kristian Brakel ist der Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in IstanbulBild: privat

Der Besuch war eine gelungene Inszenierung. Hat sich die Delegation - bestehend aus Angela Merkel, Donald Tusk und Frans Timmermann - also bewusst auf die Selbstdarstellungspolitik der türkischen Regierung eingelassen?

Ich glaube, für Premier Davutoglu, der selber keine starke Stellung im Land hat, ist wichtig, dass er Politik gestalten kann und die mächtigste Frau Europas an seiner Seite hat. In Fragen der Flüchtlingspolitik ist es seit vielen Jahren ein legitimes Anliegen der Türken, dass sie von den Europäern fordern, sich endlich an der Lösung der Flüchtlingsproblematik zu beteiligen und einen fairen Lastenausgleich zu schaffen. Allerdings kann es nicht so laufen, wie es momentan der Fall ist.

Erweckt Angela Merkel nicht den Eindruck, sie würde sich die Zusammenarbeit in der Flüchtlingspolitik erkaufen, wenn sie Menschenrechtsverletzungen nur so halbherzig anspricht, wie sie es bei diesem Besuch getan hat?

Auf jeden Fall. Donald Tusk hat da ja noch etwas deutlichere Worte gefunden. Aber es ist für die deutsche und europäische Politik beschädigend, dass bei türkischen Oppositionellen, aber auch in Europa selber, der Eindruck entstanden ist, dass die EU käuflich ist. Und genau das ist es, was Präsident Erdogan immer sagt: dass es in der EU nicht immer um Moral und es westlichen Politikern nicht immer um Werte geht, sondern um Islamfeindlichkeit, und dass man die Türkei als starkes Land unterdrücken will. Und diese Haltung bekommt durchaus Rückenwind, wenn man nicht klar macht, dass man in bestimmten Fragen eine Zusammenarbeit wünscht, weil es gemeinsame Interessen gibt, aber man sich eben weiterhin für Demokratie und Menschenrechte in der Türkei stark machen wird.

Türkei Merkel und Merkel und Davutoglu besichtigen das Flüchtlingslager Nizip (Foto: DPA)
Merkel und Davutoglu besichtigen das Flüchtlingslager NizipBild: picture-alliance/dpa/Bundesregierung/S.Kugler

Und dieser Eindruck wird natürlich untermauert, wenn die Delegation in ein Vorzeigelager geht, die Zustände dort lobt, aber dabei ausklammert, dass Gaziantep eine IS-Hochburg ist und Amnesty International der Türkei vorwirft, sie bringe syrische Flüchtlinge wieder zurück nach Syrien. Von Sicherheit kann also nicht die Rede sein.

Ich glaube, dass es gut war, nach Gaziantep zu reisen, denn dort ist die ganze humanitäre Community ansässig. Und es ist ein Hotspot. Natürlich hält die türkische Regierung nichts davon, dass man in die Region um Izmir fährt, wo es keine organisierten Lager gibt, sondern die Menschen einfach auf der Straße hausen. Ich finde aber, das Verheerende an diesem Flüchtlingsdeal ist, dass er ganz massiv internationales Recht, die Rechte der Flüchtlinge, aushebelt. Sie haben es schon angesprochen: Personen dürfen nicht in ein Kriegsgebiet zurückgebracht werden.

Aber genau dieses Recht verletzt die Türkei augenscheinlich. Die Türkei bestreitet das zwar - und die Bundesregierung auch - aber es liegen ganz eindeutige Informationen vor. Mir selber liegen Informationen von Syrern vor, die ich kenne, denen genau das passiert ist. Und selbst wenn sie nicht zurückgebracht werden, ist die Grenze derzeit dicht. Die Syrer, die vor dem sogenannten "Islamischen Staat" oder dem Bombardement des Assad-Regimes fliehen wollen, können es nicht. Die Kanzlerin hat der Türkei zugesagt, dass man auf der syrischen Seite Flüchtlingslager und sichere Zonen schaffen werde. Aber das ist natürlich eine Illusion. Die Menschen sind dort nicht sicher.

Das heißt, die EU macht die Augen zu vor all dem?

Ja. Und das eigentlich Schmutzige an diesem Deal ist, dass man gesagt hat, dass unsere Ideale und völkerrechtlichen Verträge nicht das Maß aller Dinge sein können. Wir müssen die EU retten. Und dann müssen wir halt über das Leid dieser Menschen hinwegschauen. Ich glaube, das ist ein sehr großer Fehler. Es beschädigt nicht nur das internationale Recht, sondern auch die moralische Warte der EU. Die EU war lange für Menschen, die außerhalb von ihr leben, eine Instanz, die für Menschenrechte und Demokratie - auch außerhalb ihrer Grenzen - einsteht. Auch wenn man wusste, dass es wirtschaftliche und politische Interessen gibt. Aber ich denke, diesen Anspruch hat man jetzt aufgegeben und das Ansehen der EU auf Jahre hinweg beschädigt.

Wie kann denn die EU, wie kann Kanzlerin Merkel, überhaupt noch ein Zeichen setzen, dass sie natürlich auf der Seite von Demokratie und Menschenrechten stehen? Muss man sich beim nächsten Besuch mit der Opposition treffen?

Das wäre sicherlich jetzt schon ein richtiges Zeichen gewesen, und das hätte man auch durchaus verbinden können. US-Vizepräsident Joe Biden war kürzlich in der Türkei - natürlich hat er sich mit der Regierung getroffen, aber eben auch mit regierungskritischen Journalisten. Und so ein Zeichen würde man sich auch von der Kanzlerin wünschen. Dass sie sich mit denen zusammensetzt, die unter dem immer autoritärer werden Regierungsstil der Türkei leiden. Wenn sie es nicht macht, dann wäre es zumindest angemessen, dass Bundesaußenminister Frank Walter Steinmeier bald in die Türkei kommt und eben genau dieses Zeichen setzt.

Kristian Brakel ist der Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul.

Das Gespräch führte Diana Hodali