"Who is Who" der Klimapolitik
30. November 2014"So eine Entwicklung wie jetzt habe ich in meiner ganzen Laufbahn noch nicht erlebt - und dabei arbeite ich schon acht Jahre an diesem Thema!" Sönke Kreft, Teamleiter der Arbeitsgruppe internationale Klimapolitik der Organisation Germanwatch, ist von den jüngsten Ereignissen äußerst angetan. Selbst der Emissions-Riese China habe sich in den letzten Wochen bewegt. Positive Signale für den UN-Klimagipfel in Lima, der dort vom 1. bis 12. Dezember stattfinden wird. So wird auf der Weltbühne in Peru vieleicht nicht wieder das immer gleiche Stück aufgeführt - stattdessen schlüpfen manche Akteure in neue Rollen. Und schaffen so möglicherweise Spielraum für Veränderung.
China und die USA übernehmen neue Verantwortung
Bislang waren China und die USA im Klimaschutz stets auf die Rolle der "Bremser" festgelegt. Doch 2014 treten die beiden Länder mit einer neuen Strategie auf. Im November einigten sie sich, gemeinsam den Klimaschutz voranzutreiben. Ein bedeutender Schritt: Denn die beiden größten Volkswirtschaften produzieren zusammen fast so viel CO2 wie der Rest der Welt.
"China hat eine eigene politische Verantwortung in Sachen Klimaschutz übernommen", erläutert der Wirtschaftswissenschaftler und Experte für internationale Klimapolitik des Helmholz-Zentrums für Umweltforschung, Prof. Dr. Reimund Schwarze, im Gespräch mit der Deutschen Welle. Das sei durchaus bemerkenswert. Schließlich habe sich das Land zuvor selbst in einer Reihe mit den Entwicklungsländern gesehen - und so auch argumentiert. "Jetzt sagt China: Gut, wir haben als weltgrößter Emittent eine eigene Verantwortung und stehen in diesem Sinne auch alleine", erklärt Schwarze das neue Selbstverständnis des Landes.
Konkret bedeutet das, dass China erstmals ein Datum angekündigt hat, von dem an der Ausstoß von Kohlendioxid zurückgefahren werden soll: Genannt wird das Jahr 2030. Worauf Klimaschützer dann hoffen können, bleibt allerdings völlig unklar. Denn konkrete Zahlen nennt Staats- und Parteichef Xi Jinping bislang nicht. US-Präsident Barack Obama ist da schon weiter. Sein angekündigtes Ziel: Bis 2025 soll der Ausstoß von Treibhausgasen in den USA um 26 bis 28 Prozent im Vergleich zu 2005 reduziert werden.
Beim Ausbau erneuerbarer Energien wollen die USA und China in Zukunft kooperieren. China kündigte an, den Anteil erneuerbarer Energien in den nächsten 16 Jahren um 20 Prozent zu steigern. "Das ist wirklich ein mörderisch großes Programm", meint Klimaökonom Schwarze. "Allerdings ist beim Ausstieg aus der Kohle noch nicht ganz klar, welche Technologien hinter diesen Alternativ-Techniken stehen. Da geht es möglicherweise auch um große Wasserkraftwerke, die auch nicht ganz unproblematisch sind."
Europa muss Glaubwürdigkeit bewahren
Durch die neue Ausrichtung Chinas und der USA übernimmt die EU in Sachen Klimaschutz nicht mehr automatisch die Rolle des Klassenprimus. "Europa ist heute ein anderes Europa als bei der Verabschiedung des Kyoto-Protokolls 1997", urteilt Wirtschaftswissenschaftler Schwarze. "Die EU ist größer, einige Spieler sind bedeutender geworden. Und da hat sich natürlich eine Gewichtsverschiebung ergeben - deshalb auch diese abgeschwächten Ziele."
Tatsächlich hatte die EU als erste Weltregion bereits im Oktober 2014 konkrete Klimaziele vor der UN-Klimakonferenz in Lima festgelegt. Nach zähem Ringen einigten sich die Mitgliedstaaten auf eine 40-Prozent-Reduzierung der Treibhausgase bis 2030. "Dieses Ziel ist durchaus immer noch ambitioniert und die EU wird noch immer in einer Führungsrolle wahrgenommen", sagt Schwarze.
Sönke Kreft von Germanwatch sieht das kritischer. Denn wer in Lima Führungsanspruch erheben und andere Nationen überzeugen wolle, müsse in der eigenen Politik in hohem Maße glaubwürdig sein. "40 Prozent Reduzierung sind einfach nicht genug", so Kreft im Interview. "Eigentlich bräuchten wir 55 Prozent, um unsere Ziele zu erreichen." Gemeint mit diesen Zielen ist eine Begrenzung der Erderwärmung bis 2050 um maximal zwei Grad.
Die Nummer vier im Quartett: Indien
"Für mich ist der große Unbekannte die Nummer vier im Quartett: Indien", erklärt Schwarze gegenüber der DW. "Ohne dieses Land wird ein internationales Klimaabkommen nicht gelingen." Tatsächlich verhielt sich Indien in Sachen Klimaschutz in den letzten Monaten eher zurückhaltend: Zum Sonder-Klimagipfel in New York nahm nicht der indische Staatschef selber, sondern Umweltminister Prakah Javadekar teil. So handhabte es allerdings auch die deutsche Regierung.
Auch bei der jüngst abgehaltenen dritten Geberkonferenz für den Grünen Klimafonds hielt sich Indien demonstrativ zurück. Das Land schickte - ebenso wie China - keinen Vertreter und macht somit keine Zusage zur Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen. Dabei ist Indien nach China und den USA der drittgrößte Emittent von Kohlenstoff-Dioxid weltweit.
Doch allem Anschein nach räumt der indische Premierminister Narendra Modi dem Treffen in Lima einen anderen Stellenwert ein. Zumindest wird hier eine politisch hochkarätige Delegation erwartet: "Das kann aber eben das Eine wie das Andere heißen", meint Schwarze. "Dass man unbedingt etwas verhindern oder unbedingt etwas erreichen will."
Schwierigkeiten und Handlungsoptionen
In Lima sollen die Weichen gestellt werden: für einen neuen Klimavertrag mit einem Fahrplan für über 190 Staaten zur Minderung des CO2-Ausstoßes. Vor allem die Erdöl exportierenden Länder nehmen eine Blockadehaltung bei der Umsetzung weitreichender Klimaziele ein. Aber auch unter den Ländern, die grundsätzlich für ein verbindliches Abkommen sind, gibt es jede Menge Konfliktpunkte.
"Hart diskutiert wird mit Sicherheit die Frage der Differenzierung. Also: Welche Länder machen wieviel", prognostiziert Kreft. "Ich glaube, Reibung wird entstehen zwischen den USA und Europa auf der einen Seite - und China auf der anderen", meint hingegen Schwarze. "Denn die Zusagen Chinas müssen ja in irgendein konkretes, beobachtbares Programm münden. Erst dann können die Nationen auch zuhause sagen: Wir haben China jetzt im Boot."
Und Indien? Könne man am ehesten für ein neues Klimaabkommen begeistern, indem man das Land mit Technologien und Know-how im Energiesektor unterstützt, empfiehlt Wirtschaftswissenschaftler Schwarze. In diesem speziellen Bereich der Entwicklungshilfe könne auch Deutschland sich durchaus engagieren.