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Ein Volk zieht um

Stephan Hille24. August 2004

Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit und im Schatten der latenten Konflikte im Kaukasus vollendet sich in diesen Tagen das Schicksal eines weiteren kaukasischen Volkes: der Mescheten.

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Mehrere tausend Angehörige dieser türkisch-tatarischen Minderheit packen ihre Koffer in Südrussland, um Russland für immer zu verlassen. Zwischen 5000 und 10.000 Mescheten leben zurzeit noch in der Region Krasnodar, ein Gebiet an der russischen Schwarzmeerküste, nordwestlich des Kaukasus. Auf Einladung der amerikanischen Einwanderungsbehörden wandern die Mescheten nun kollektiv in die USA aus. Dankbar nahmen sie das humanitäre Angebot der amerikanischen Behörden an, um endlich den Schikanen der russischen Behörden zu entgehen. Als letzten Ausweg tauschen die Mescheten nun den russischen Albtraum gegen den "American Dream" ein.

Unerwünscht und deportiert

Das Tragische: Es ist das dritte Mal in sechzig Jahren, dass die Mescheten Häuser und Höfe aufgeben, um an einem anderen Ort wieder von vorne anzufangen. Ursprünglich hatten die mehrheitlich sunnitischen Muslime seit dem 19. Jahrhundert im heutigen Georgien an der Grenze zur Türkei gelebt. Dort brach die erste Katastrophe über die turksprachige Minderheit herein. Stalin ließ die Mescheten 1944 - wie auch eine ganze Reihe anderer Völker, darunter Tschetschenen, Kalmücken und Krimtataren - in Viehwaggons verfrachten und nach Zentralasien, in das heutige Usbekistan, deportieren.

Während die meisten deportierten Völker in den 60er und 70er Jahren rehabilitiert wurden und in ihre ehemaligen Siedlungsgebiete zurückkehren durften, blieb den Mescheten die Rückkehr - wie übrigens auch den Wolgadeutschen - verwehrt. In der Endphase der Perestroika wurden die Mescheten erneut zu Flüchtlingen. Als es im Sommer 1989 zu Pogromen im usbekischen Ferganatal gegen die ehemals Deportierten kam, ließ das Politbüro kurzerhand rund 16.000 Mescheten nach Russland ausfliegen. Die meisten davon ließen sich in der Region von Krasnodar nieder.

Gefährlicher Präzedenzfall

Doch auch dort blieb die türkischstämmige Minderheit unerwünscht. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion verweigerten die russischen Behörden ihnen nicht nur die russische Staatsbürgerschaft, sondern auch die Registrierung. Die Mescheten hatten nur ihre alten sowjetischen Pässe, die inzwischen abgelaufen sind. Ohne polizeiliche Anmeldung kann in Russland niemand eine Wohnung mieten und eine Arbeit annehmen. Selbst die Gesundheitsvorsorge und der Schulbesuch sind an die Registrierung gekoppelt. Der Gouverneur der Region, Alexander Tkatschow, ließ - offenbar mit Duldung des Kremls - die Minderheit seit Jahren schikanieren, um die unerwünschten Siedler ins Exil zu treiben.

Die ständigen Polizeirazzien und zum Teil sogar gewalttägigen Diskriminierungen haben aus der Sicht des örtlichen Machthabers nun zum Erfolg geführt. Die Auswanderung in die USA scheint für die verfolgte türkischstämmige Minderheit die letzte Chance auf ein menschenwürdiges Leben. Die ersten Gruppen sind bereits vor einigen Wochen ausgeflogen. Man muss den amerikanischen Behörden Respekt für ihr humanitäres Engagement zollen. Doch die kollektive Auswanderung hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack. Damit habe der Kreml einen gefährlichen Präzedenzfall geschaffen, warnen russische Menschenrechtler.