Ein Tod in Kambodscha
13. Juli 2016Kem Ley war ein mutiger Mensch, der sich den Mund nicht verbieten ließ. Auch wenn er wusste, dass das in einem Land wie Kambodscha gefährlich sein konnte und er der Führung um Premierminister Hun Sen deshalb schon lange ein Dorn im Auge war. Doch das hielt ihn nicht davon ab, sich öffentlich gegen Korruption oder soziale Ungerechtigkeit einzusetzen. Immer wieder kritisierte er dabei auch seinen als äußerst korrupt geltenden Regierungschef - besonders im Umfeld der letzten Nationalwahlen im Jahr 2013.
Noch in der vergangenen Woche war Kem Ley zuletzt in den Medien aufgetreten. Beim Sender Radio Free Asia hatte er über das weit verzweigte Wirtschaftsimperium der Familie von Hun Sen gesprochen. Kurz zuvor hatte NGO Global Witness einen Report veröffentlicht, in dem es um das Ausmaß der Geschäftsbeziehungen der Herrscherfamilie und um den Vorwurf der Bereicherung in großem Stil ging. Eigentlich war geplant, weitere Folgen der Radiosendung auszustrahlen. Doch dazu sollte es nicht mehr kommen.
Am Sonntag (10.07.) wurde Kem Ley in Phnom Penh ermordet. Er wurde erschossen im Laden einer Tankstelle. Nur wenig später wurde ein mutmaßlicher Täter festgenommen. Er gab Medienberichten zufolge an, den Aktivisten getötet zu haben, weil dieser Schulden bei ihm gehabt und nicht zurückgezahlt habe. Doch an dieser Darstellung gibt es Zweifel. "Viele Beobachter sprechen von einem politischen Mord gegen einen Regimekritiker und glauben nicht an die Verhaftung eines Täters, der schon einige Minuten nach der Tat von der Polizei gefasst wurde", meint Khim Sophanna, Projektkoordinator der Friedrich-Naumann-Stiftung für Kambodscha. An diesem Mittwoch (13.07.) hat die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den Mann erhoben.
Abschreckender Vorgeschmack auf den Wahlkampf?
Premierminister Hun Sen reagierte via Facebook auf den Tod des Aktivisten. "Ich spreche den Angehörigen von Kem Ley mein Beileid aus. Er wurde von einem Killer umgebracht. Ich verurteile diesen brutalen Mord", steht dort geschrieben. Außerdem orderte der Regierungschef eine Untersuchung des Falles an. Darauf drängt auch der kambodschanische Auslandspresseclub in einer schriftlichen Stellungnahme zu dem Fall. "Wir fordern eine gründliche und unabhängige Untersuchung der Todesumstände und auch der wachsenden politisch motivierten Gewalt und Unterdrückung im Land." Mit Kem Ley habe Kambodscha einen wichtigen politischen Kommentator verloren. "Wir sind sehr besorgt, dass dieser Mord die Redefreiheit eindämmt und kritische Stimmen zum Schweigen bringt."
Das, so fürchtet der Auslandspresseclub, könnte Auswirkungen auf die anstehenden Wahlen haben. Im kommenden Jahr sind in dem südostasiatischen Land Kommunalwahlen geplant, gefolgt von den nächsten Nationalwahlen 2018. Khim Sophanna von der Naumann-Stiftung sieht es ähnlich. Er bezeichnet die Tat als einen "Mord inmitten einer schwierigen politischen Krise". Die Opposition der Cambodia National Rescue Party (CNRP) um ihre Anführer Sam Rainsy und Kem Sokha erlebe derzeit schwere Zeiten. "Sam Rainsy ist seit November 2015 zum dritten Mal im Exil. Ihm droht in seiner Heimat Haft wegen mutmaßlicherer Verleumdung des ehemaligen Außenministers. Kem Sokha wurde als Vize-Parlamentspräsident im Oktober 2015 entmachtet. Er steht seit Mai 2016 unter Hausarrest."
Bilanz nach mehr als drei Jahrzehnten unter Hun Sen
Und das sind nur die derzeit prominentesten Fälle. Die Liste derer, die sich den Zorn der Regierung zugezogen haben und jetzt die Konsequenzen tragen müssen, ist deutlich länger. Aktuell befänden sich 15 CNRP-Aktivisten, vier Mitarbeiter einer Menschenrechtsorganisation sowie der Vize-Generalsekretär der nationalen Wahlkommission in Haft, so Sophannna weiter. Die jüngste Verhaftungswelle liegt erst wenige Wochen zurück. Damals hatte Hun Sen eine deutliche Warnung an seine Kritiker ausgesprochen und gewarnt, dass er Demonstrationen gegen seine Regierung als "Akte der Rebellion" betrachte.
Seit 31 Jahren sind Hun Sen und seine Cambodian Peoples's Party (CPP) schon an der Macht. In den 1970er Jahren hatte er auf Seiten der Roten Khmer gekämpft, galt als mittlerer Kader. Er regiert das Land mit eiserner Faust. Repressionen und Einschüchterungen sind fester Bestandteil seines politischen Stils. Die eindeutige Botschaft von ihm: Wer sich traut, den Mund aufzumachen, der lebt gefährlich. Und das hat - genau wie vom Auslandspresseclub befürchtet - Auswirkungen auch auf diejenigen, die vielleicht früher offen gesprochen hätten, jetzt aber lieber schweigen.
Sämtliche Interviewanfragen der Deutschen Welle bei Journalisten oder politischen Analysten im Land verliefen im Sande. Aus Angst um das eigene Leben und das der Familie wollte sich niemand äußern. Denn nicht nur Haftstrafen sondern auch mutmaßlich politisch motivierte Morde wie der an Kem Ley sind in Kambodscha kein Einzelfall.
Zwei unbequeme Stimmen, verstummt
So wurde im Januar 2004 Chea Vichea getötet. Der aus Sicht der Regierung unbequeme Anführer der Freien Arbeitergewerkschaft (Free Trade Union of Workers of the Kingdom of Cambodia) wurde auf offener Straße von einem Motorrad aus erschossen. Auch in diesem Fall waren schnell zwei Schuldige gefunden. Die Männer wurden zu jeweils 20 Jahren Gefängnis verurteilt. Sowohl lokale als auch internationale Organisationen wie Internationale Arbeitsorganisation ILO oder das Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte kritisierten den Prozess als unfaire Farce. Mehr als fünf Jahre verbrachten die mutmaßlichen Täter hinter Gittern, bevor das Oberste Gericht des Landes das Urteil zurücknahm und die beiden aus Mangel an Beweisen freisprach.
Auch der bekannte kambodschanische Umweltaktivist Chut Wutty starb durch Kugeln. Im Frühjahr 2012 wurde er von der Militärpolizei erschossen, als er in Begleitung von zwei Journalisten Abholzung von Wäldern dokumentieren wollte. Der Aktivist hatte Nachforschungen über eine Beteiligung der Regierung an illegalem Holzhandel angestellt.
"Wir werden dich nicht vergessen"
Mit Kem Ley kommt jetzt ein weiterer Name hinzu. Der 46-Jährige hinterlässt eine schwangere Frau und vier Kinder. In der Hauptstadt Phnom Penh ist die Anteilnahme der Bevölkerung nach dem Mord an dem Aktivisten groß. Als seine Angehörigen den Leichnam in einem Kombiwagen mit geöffneter Heckklappe durch die Straßen zur buddhistischen Verbrennung fahren ließen, schlossen sich spontan tausende Menschen zu einem Trauermarsch an.
Auch im Internet drücken viele Kambodschaner ihre Gefühle aus. "Er war eine Stimme der Verantwortlichkeit. Er stand für Basisdemokratie und hatte keine Angst, für seine Überzeugung einzutreten", meint Vanna bei Twitter. Panhuvath Chan Heng schreibt bei Facebook: "Politik ist zu grausam. Es ist egal, auf welcher Seite er stand. Er war in erster Linie ein Gelehrter, ein Forscher, Lehrer, Vater und großartiger Mensch, der uns viel zu früh verlassen musste." Und Kim Anna sendet ihm in den sozialen Medien einen letzten Gruß: "Dein geliebtes Land wird dich und deinen Namen nicht vergessen. Finde Frieden, während wir deinen Weg weitergehen."