Ein Stern geht unter
25. April 2008Am Vormittag des 25. April 1983 ist in Hamburg die Hölle los. Im Verlagshaus von Gruner+Jahr drängen sich mehr als 200 Journalisten aus aller Welt zu einer Pressekonferenz. "Hitlers Tagebücher entdeckt" steht auf der Ausgabe Nummer 18, die an den Kiosken liegt und extra früher erschienen ist. Bereits eine Woche später aber ist klar: Der vermeintliche Fund ist nur eine raffinierte Fälschung. Mit einem Schlag wird aus einem Knüller eine spektakuläre Katastrophe für den "Stern".
Drehbuchartige Geschichte
Die Katastrophe gleicht einem Drehbuch: die Protagonisten sind ein Sächsisch sprechender Kunsthändler aus Stuttgart, Konrad Kujau, und Gerd Heidemann, ein Stern-Reporter, der wegen des Ankaufs von Hermann Görings Jacht in tiefen Geldsorgen steckt. Heidemann hatte Kontakte zu Kunsthändlern, die sich auf Objekte des Dritten Reichs spezialisiert hatten. Dabei lernte er auch Konrad Kujau kennen. Dieser fertigt – von Protokollen der Wehrmacht und seiner eigenen Fantasie inspiriert – "persönliche Berichte" Adolf Hitlers an. Heidemann, selber an Nazi-Relikten interessiert, bekommt Wind davon. Zusammen mit seinem Leiter vom Ressort "Zeitgeschehen", Thomas Walde, geht er mit der Geschichte nicht zur Chefredaktion. Sondern direkt zur Verlagsleitung.
Denn einer der damaligen Chefredakteure habe Heidemann untersagt, "sich weiter mit Hitler-Scheiße zu beschäftigen", sagt Michael Seufert. Er war Journalist beim Stern und wurde nach dem Auffliegen der Fälschung vom "Stern"-Gründer Henri Nannen 1983 mit der internen Aufarbeitung des Skandals beauftragt. Die Verlagsleitung wittert das große Geschäft entscheidet, mit zwei Millionen Mark ins Risiko zu gehen. Kujau, unter dem Decknamen "Fischer" unterwegs, liefert 60 Tagebücher. Dafür zahlt der Verlag Gruner+Jahr insgesamt 9,34 Millionen DM.
Zweifel werden aus dem Weg geräumt
Zwar kommen schnell erste Zweifel an der Echtheit der Schriften auf. Aber die wenigen Redakteure, die bis kurz vor der Veröffentlichung eingeweiht sind, ignorieren sie. Zu sehr glauben sie an einen großen Fund, einen journalistischen Knüller. "Die Welt stand bei Gruner und Jahr auf dem Kopf", sagt Seufert.
Erstes Indiz für eine Fälschung hätten die Initialen "FH" auf den Umschlägen sein müssen. Kujau hatte in der Texturschrift A - für Adolf - und F verwechselt. Doch der Verwechsler wurde weggeredet. Statt "AH" für Adolf Hitler, wie es auf einem Tagebuch zu erwarten gewesen wäre, stünde "FH" für "Führer Hitler" oder "Führerhauptquartier". Walde und Heidemann wurde die exklusive Auswertung der Tagebücher zugesichert. "Sie waren Herren des Verfahrens", sagt Seufert.
Bestärkt wurde der Glaube an die Echtheit von ersten Schriftgutachten. Gutachter in der Schweiz und den USA hätten Hitler-Handschriften aus den 40er Jahren zum Vergleich verlangt. "Und die gab es nicht im Archiv. Da hat Heidemann Kujau gefragt: Hast Du was? Und Kujau hatte natürlich", sagte Seufert. "Und so haben die Gutachter Kujau mit Kujau verglichen - mit dem bekannten Ergebnis."
"GAU der deutschen Pressegeschichte"
Erst kurz vor der Veröffentlichung wurde die Chefredaktion um Chefredakteur Peter Koch informiert. Dieser äußerte Zweifel an der Echtheit der Tagebücher. Danach wurden Gutachten des Hitler-Kenners Trevor-Roper sowie der Schriftexperten Frei-Sulzer und Michel eingeholt, welche die Authentizität der Tagebücher bestätigten. Auch das Bundesarchiv und das Landeskriminalamt des Bundeslandes Rheinland-Pfalz waren zuerst von der Echtheit überzeugt. Erst das Gutachten des Bundeskriminalamtes vom 5. Mai fällt ein vernichtendes Urteil: Papier und Tinte stammten aus der Nachkriegszeit – eine "simple Fälschung".
Inhaltlich habe Kujau "lustlos" aus bekannten Chroniken abgeschrieben, "zum Beispiel: 'Eröffnung des Reichsparteitags'. Nichts weiter. Oder einfach: 'Besprechungen'", sagt Buchautor Seufert. "Es war der GAU der deutschen Pressegeschichte."
Schmerzhafte Folgen
Der "Stern" erlitt einen Auflageneinbruch, von dem er sich nur langsam erholen konnte. Die Chefredaktion um Peter Koch trat zurück. Kujau und Heidemann wurden 1985 wegen Betrugs zu Haftstrafen verurteilt. Der Fälscher sonnte sich später in seinem Ruhm und vermarktete ihn. Er starb im Jahr 2000 an Krebs. Heidemann beharrt bis heute darauf, dass er die Gruner+Jahr-Millionen bis auf die letzte DM an Kujau ausgehändigt habe. Heute lebt der 76-Jährige Rentner in Hamburg von Sozialhilfe, berichten Hamburger Medien.
Filmregisseur Helmut Dietl drehte 1992 seine Filmsatire "Schtonk", die den Skandal um die gefälschten Hitler-Tagebücher aufgreift. Dafür erhielt er den Deutschen Filmpreis 1992. (vg)