Das Schweigen brechen
14. Juni 2013
Wer sich Pino Maniacis Studios nähert, merkt das nicht nur an den Carabinieri, den Polizisten, die diskret in der Nähe Wache halten. Er merkt es auch am stechenden Geruch von Zigarettenqualm. Der Journalist und TV-Moderator Pino Maniaci raucht drei Packungen am Tag, "manchmal sogar vier", grinst er.
Er liebe sein Land, erklärt Maniaci der DW. "Und dieses Land braucht Journalisten, die ihren Job als wahre Mission begreifen". Journalistische Erfahrung brachte er für seine täglich zweistündige Anti-Mafia-Live-Nachrichtensendung nicht mit. "Ich wollte zuverlässige, glaubwürdige Nachrichten verbreiten", meint Maniaci. "Das heißt, man muss die Dinge sagen wie sie sind."
Der Inhaber einer kleinen Baufirma kaufte 1999 einen lokalen Fernsehsender in Partinico, einer unscheinbaren Kleinstadt etwa 30 Kilometer von der sizilianischen Hauptstadt Palermo entfernt. Von da an änderte sich sein Leben grundlegend. Ein Jahr später war "Telejato" der erste und der einzige Anti-Mafia-Fernsehsender Siziliens - und Maniaci bei der örtlichen Mafia der Feind Nummer Eins.
Maniaci markiert den starken Mann, während er an seiner Zigarette zieht, flucht und Witze über seine Gegner macht. Nicht, weil ihm die Gefahren seiner Berichterstattung über die Mafia nicht bewusst wären. Die Autoreifen haben sie ihm mehrfach aufgeschlitzt, Bremsleitungen durchgeschnitten, seine Wagen brannten aus, wurden beschossen, die Windschutzscheibe von Kugeln zerschmettert. Der Journalist hat schon so viele Drohbriefe erhalten, dass er aufgehört hat, sie zu lesen. Angst um sich und seine Familie hat er aber trotzdem, gibt Maniaci zu.
Einen Anschlag auf sein Leben hat Maniaci mit vier gebrochenen Rippen, einem gebrochenen Bein, einem blauen Auge und zerbrochenen Zähnen überlebt. Er erzählt, wie er damals davongekommen ist: Sein Vater habe ihm, als er noch jung war, beigebracht, den Schlips mit einem doppelten Knoten zu binden. "Sie versuchten mich zu erwürgen, indem sie an beiden Enden fest zogen. Mein Vater hat mich gerettet, denn ein doppelter Knoten lässt sich nicht sehr eng zuziehen."
Seine Arbeit ist seine Mission
Maniaci verlässt sich nicht auf Pressemitteilungen oder Nachrichtenagenturen: Wenn es eine Eilmeldung gibt, sprintet sein Team an den Ort des Geschehens. Freiwillige sind dabei, manchmal auch seine Tochter als Reporterin, oder sein Sohn als Kameramann. "Telejato" sei immer als erster da, erklärt Maniaci. "Wir sind immer vor Ort, wenn bei uns irgendetwas passiert - auch bei Verhaftungen der Mafia."
Die Berichte des Senders haben bereits zu Dutzenden Verhaftungen geführt. Das Team arbeitet auch eng mit der Squadra Catturandi di Palermo zusammen, einer Spezialeinheit für die Suche nach untergetauchten Verbrechern.
"Telejato" nennt immer die Namen der verhafteten Mafiosi - ein Tabubruch, denn sizilianische Journalisten geben aus Angst vor Racheakten sonst nur die Initialen preis. "Sie sehen sich als Ehrenmänner, und für uns ist es eine Frage der Ehre, sie zu entehren", sagt Maniaci.
Informationen aus erster Hand
Im Sendegebiet von "Telejato" hat sein Mut schon viel bewirkt. Maniaci sagt, 90 Prozent der Geschäftsinhaber zahlen kein Schutzgeld mehr, das pizzo. Der Reporter erklärt, er habe sich das Vertrauen der Zuschauer erarbeitet: "Partinico hat 32.000 Einwohner, und wir haben 32.000 Informanten", so Maniaci. "Wenn ein Auto brennt, rufen sie nicht die Feuerwehr, sondern mich, und ich rufe dann die Feuerwehr."
Diese positive Resonanz spornt Maniaci an, weiterzumachen. "Guter Journalismus hat eine starke Wirkung, er lenkt und korrigiert", zitiert der Reporter Giuseppe Fava, einen sizilianischen Kollegen, der 1984 von der Mafia getötet wurde.
Erstaunlicherweise gehört die Mafia zu seinen eifrigsten Zuschauern. Seit der Einführung von DVB-T kann "Telejato" in der gesamten Provinz Palermo per Antenne digital empfangen werden. Sogar Gefängnisinsassen schauen seine Sendung, sagt Maniaci. Vor einigen Jahren gab der Bruder eines der mächtigsten Mafiabosse in einem Interview mit dem Sender im Städtchen Corleone zu, "Telejato" zu schauen. Kurz darauf erfuhr man, sein untergetauchter Bruder Bernardo Provenzano habe seine Antenne so ausgerichtet, dass er "Telejato" empfangen könne. "Wenn man die Polizeibänder abhört, hört man unsere Erkennungsmelodie", meint Maniaci.Maniaci ist zuversichtlich, dass sich seine Heimat zum Besseren wandelt. Ein Großteil der Mafia-Aktivitäten habe sich nach Norditalien verlagert, erklärt er - der Beweis dafür, dass Sizilien "Antikörper" entwickelt habe.
Zweifellos hat er zu dieser Entwicklung beigetragen - mit der Gründung von LiberJato, einer der vielen neuen lokalen Anti-Mafia-Organisationen, und mit der freien Journalistenschule Telejunior. 2012, im ersten Jahr ihres Bestehens, hatte die Schule 50 Studenten, dieses Jahr gibt es 150 Plätze.
Die Anerkennung für seine mutige Haltung zur Mafia zeigt Maniaci, dass seine Landsleute langsam begreifen: Die Mafia ist nicht unbezwingbar. Die Tage der Mafia sind gezählt, sagt er lächelnd mit einem Augenzwinkern. "Es gibt 5000 Mafiosi, und wir sind fünf Millionen", stellt er fest. "Das ist einer gegen Tausend. wir können es ihnen locker zeigen!"