Weibliche Genitalverstümmelung im Sudan
9. Mai 2008Nada Awad ist nervös. Mit festen Schritten, die ihr Mut
machen sollen, überquert sie den staubigen Vorplatz zur
Moschee von Abu Seeid in Khartum. Nada legt
den Schleier noch etwas fester um ihr Gesicht. Sie
versucht zu lächeln. "Ja, natürlich bin ich beschnitten. Das
war ganz normal bei uns. Sie sagten dir nicht genau,
worum es dabei eigentlich geht. Aber meine Familie
versprach mir viele Geschenke, sie bemalte meinen
Körper mit Henna und kaufte mir neue Kleider und
Schmuck. Alles, was ich wissen musste, war, es ist gut für
mich."
Ein lebenslanger Leidensweg beginnt
In dem kleinen kühlen Seitenflügel der Abu Seeid Moschee hocken etwa 20 Frauen aufgereiht wie auf einer Perlenschnur. Sie sind misstrauisch, denn Nada erzählt von Dingen, über die hier keiner gerne offen spricht. Nada ist 23, viel jünger als all die anderen Frauen im Raum. Immer wieder fährt sie mit der Hand über den Plastiktorso einer Frau, zur Anschauung:
"Hier, so sieht es aus, wenn Frauen nach der Sunna-Methode beschnitten werden. Auch ich bin so beschnitten. Obwohl es die schwächste Ausprägung einer Beschneidung ist, habe ich während meiner Periode immer sehr starke Schmerzen."
Der Mann als treibende Kraft
Seit gut einem Jahr streift Nada gemeinsam mit anderen Freiwilligen durch die Vororte Khartums. Die Aufklärungskampagne ist ein Pilotprojekt der Ahfad-Universität. Auch Ashraf Bedri ist Teil des Projekts. Das sei wichtig, meint er und nimmt einen tiefen Zug von seiner Zigarette, „allein schon deshalb, weil ich ein Mann bin. Die Frauen machen das, weil die Männer sie dazu drängen. Man sagt den Männern, heiratet eine beschnittene Frau, dann wisst ihr, sie ist Jungfrau.“ An diesem unsinnigen Mythos müsse man arbeiten, sagt der Dozent an der medizinischen Fakultät der Ahfad-Uni. Und ist sich sicher, dass die Praxis der Genitalverstümmelung erst aufhört, wenn auch die Männer überzeugt sind.
Neuer Wind in der Provinz
In Kassala sei man da schon weiter, erklärt Alhassan Adam und schmunzelt. Die Beschneiderin und Hebamme, vom Alter gebeugt, streckt die Hand in die Höhe. „Schwören mussten wir, dass wir nie wieder ein Mädchen beschneiden.“ Die Provinzhauptstadt im Osten Sudans ist die erste, die vergangenes Jahr einen Gesetzesentwurf vorlegte, der alle Formen der Mädchenbeschneidung verbietet. „Wirklich alle Formen“, beteuert Alhassan, „und nicht nur wie bisher die pharaonische Beschneidung, die schlimmste“. Die vergangenen 30 Jahre hat Alhassan Adam die Mädchen in Kassala beschnitten. Mit einer scharfen Klinge, mit einem Messer. Über 300 verschiedene Formen der ‘Altahur’, der Beschneidung, kenne sie. Bis noch vor wenigen Jahren glaubten hier alle an das Ritual, so Alhassan. „Wenn jemand entdeckte, dass ein Mädchen nicht beschnitten ist, sagten alle, sie wolle kokettieren. Wir haben die Mädchen beschnitten, um ihre Jungfräulichkeit zu bewahren.“ Etwa 75 Prozent der Frauen seien in der Provinz Kassala beschnitten, weiß das Kinderhilfswerk UNICEF.
„Eine Tugend für den Mann. An der Frau ein Verbrechen.“
Jeden Freitag hält Sheikk Abdul Al Karouri eine Ansprache im staatlichen sudanesischen Fernsehen. „Beschneidung ist ausschließlich gut für Männer, nicht für Frauen“ verkündet Al Karouri. „So verstehe ich unsere Religion und so handhabe ich das auch innerhalb meiner Familie. Meine Tochter Safwa hat drei Mädchen. Keines von ihnen wurde beschnitten.“ Al Karouri schwenkt eine handliche blaue Broschüre. Das knapp zwanzigseitige Pamphlet gegen die Mädchenbeschneidung hat der Sheikk selbst verfasst und verteile es bei jeder Gelegenheit an Schulklassen, an Eltern, in Moscheen. “Ich hoffe, irgendwann auch andere islamische Gelehrte überzeugen zu können. Bis jetzt unterscheiden wir im Sudan noch zwischen verbotenen und erlaubten Arten der Beschneidung. Und genau das ist das Problem.“ Sheikk Al Karouri drängt auf eine unmissverständliche Fatwa, ein Rechtsgutachten, das die Verstümmelung weiblicher Genitalien als ein strafbares Verbrechen einstuft. „Wenn die Fatwa zu dieser Einsicht kommt, und das ist durchaus möglich, dann hätten wir mit unseren Diskussionen unter den Gelehrten schon viel erreicht.“
Doch solange gehört der Sudan weiterhin zu den Ländern mit der höchsten Rate an weiblicher Genitalverstümmelung. Ein Eingriff, bei dem auch Mädchen sterben.
Autorin: Stefanie Duckstein
Redaktion: Peter Koppen