Ein Polizeichef nach Dutertes Geschmack
23. September 2018In der Polizeistation von Ozamiz geht es zu wie im Taubenschlag. Polizisten rauschen mit Aktenstapeln unter den Armen vorüber, ein steter Strom Menschen fließt in das unscheinbare, zweistöckige Gebäude, manche suchen Hilfe, andere geben Beschwerden auf. Am hinteren Ende des Empfangsraums führt eine Stahlgittertür in die vollgestopfte Zelle der Wache.
In all dem Trubel würde man Polizeichef Jovie Espenido vielleicht kaum bemerken, wäre da nicht der übermäßige Respekt, den ihm Polizisten wie Besucher zollen. Der zierliche Mann wirkt jovial, spricht sanft und lächelt gern. Aber sein Ruf eilt ihm voraus: Der 49-Jährige bekämpft das Verbrechen mit unerbittlicher Entschlossenheit. Im ganzen Land ist er bekannt, weil er den Bürgermeister von Ozamiz getötet hat. Reynaldo Parajinog wurde beschuldigt, eine der berüchtigtsten Verbrecherorganisationen der Philippinen geleitet zu haben.
Kurzer Prozess mit korrupten Eliten
Bewohner der Stadt sagen, die Parajinogs hätten den Drogenhandel kontrolliert und sich die Taschen durch zügellose Korruption vollgemacht - bis Espenido im vergangenen Jahr Polizeichef in Ozamiz geworden sei. Jeder - von Taxifahrern bis zum reichen Geschäftsmann - habe den Parajinogs Schutzgeld zahlen müssen.
Wer sich ihnen entgegen stellte, erzählen sie, den hätten die Schläger im Sold der Familie umgebracht. Die Leichen hätten sie im dichten Dschungel, der die Stadt umgibt, oder im Hafenbecken mit Gewichten an den Füßen, entsorgt.
Nur wenige Monate nach Espenidos Ankunft in dem verschlafenen Hafenstädtchen auf der Insel Mindanao war der Bürgermeister tot. Bei einer Razzia in dessen Wohnhaus töteten die Polizisten Reynaldo Parajinog, seine Ehefrau sowie 13 weitere Familienmitglieder und Gefolgsleute.
Es war nicht das erste Mal, dass eine Begegnung mit Espenido einen Bürgermeister das Leben kostete. Auf seinem vorangegangenen Posten in der Kleinstadt Albuera starb der Bürgermeister Roland Espinosa auf mysteriöse Weise in seiner Zelle der Polizeistation.
Espenido beteuert, dass beide Männer in Selbstverteidigung getötet wurden. Espinosa habe eine Pistole in die Zelle geschmuggelt, in Ozamiz sei das Feuer auf die Polizisten eröffnet worden, als sie das Haus von Bürgermeist Parajinog durchsuchen wollten. Espenidos Gegner sagen, die Polizei habe eine Granate in das Haus geworfen, obwohl sich Parajinog bereits ergeben hätte.
Dutertes Aushängeschild
In den Philippinen ist es nicht selten, dass lokale Politiker ihre Gemeinden wie Stammesfürsten regieren und dem organisierten Verbrechen vor Ort vorstehen.
Espenido ist diese Verquickung von Politik und Verbrechen zuwider. Und er sieht sich auf einer Mission, dagegen zu kämpfen. Ermittlungen wegen der getöteten Bürgermeister gibt es nicht. Dürfen Polizeichefs also außergerichtliche Exekutionen vollziehen, um mächtige Verbrecher zu beseitigen?
Espenido streitet jegliches Fehlverhalten ab, steht aber fest zu seinen Überzeugungen: "Wenn Du die Dinge richtig machst, sind wir Brüder und Schwestern, wenn nicht, werde ich dich mit allen Mitteln bestrafen."
Seine Skrupellosigkeit ist Präsident Rodrigo Duterte nützlich. Er hat einen blutigen Krieg gegen die Drogen ausgerufen. Seit er 2016 gewählt wurde, haben Polizei und Todesschwadronen Tausende verdächtige Drogenkonsumenten und Dealer getötet. Auch die Korruption hat Duterte im Visier. Parajinog ist einer von zehn Bürgermeistern, die getötet wurden, nachdem der Präsident sie auf eine Liste mit Politiker gesetzt hatte, die er des Drogenhandels verdächtigt.
Dankbare Bürger
Kritiker - wie Senator Antonio Trillanes - sagen, Dutertes Drogenkrieg habe bereits 22.000 Menschenleben gefordert, ohne den Drogenhandel einzudämmen. Das wahre Ziel des Präsidenten sei, die politische Opposition einzuschüchtern.
Mit Espenido hat Duterte einen willigen Gehilfen für seine harte Linie. "Seit Espenido bekannt ist", sagt Trillanes, "fungiert er als Aushängeschild für die Sorte Polizist, die Duterte will: die Art, die willkürlich tötet."
Doch viele in Ozamiz sind Espenido dankbar. Andres Fernandez, ein bekannter lokaler Anwalt, sagt, seine Vorgänger hätten sich vom Bürgermeister schmieren lassen oder hätten sich ihm aus Angst vor seinen Beziehungen zur Regierung gebeugt. "Wir haben Dutertes Entscheidung begrüßt, Espenido zu schicken", sagt Fernandez, "Er ist ein Polizist, der sein Leben riskiert. Er hat sich den Parajinogs gnadenlos entgegengestellt."
Predigten für Gefangene
Für den Polizeichef ist seine Arbeit eine religiöse Pflicht. Als strenggläubiger Christ und Mitglied der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten arbeitet Espenido sonntags nicht. Er ist strenger Vegetarier und trinkt nie Alkohol. Sein Glaube gibt ihm schier unerschöpfliche Energie und einen Missionseifer, der auch das Leben in der Polizeistation bestimmt.
Mit seiner Frau bewohnt er einen kleinen Raum hinter der Polizeiwache - eine Vorsichtsmaßnahme gegen Racheakte seitens der versprengten Mitglieder der Parajinog-Gang, sagt er.
Jeden Morgen um fünf Uhr versammelt er die Insassen aus der Polizeizelle vor der Wache. Dort sitzen sie dann auf Plastikstühlen gegenüber dem Eingang und singen zu dem religiösen Gedudel aus einer billigen Stereoanlage, bis der Polizeichef ihnen eine Predigt hält. Dann gehen die Häftlinge zurück in die Zelle, bis Espenido die Zeremonie am Abend wiederholt. Er ist überzeugt, dass Glaube zu Erlösung führt, und seine Botschaft der Vergebung scheint anzukommen.
"Jovie Espenido ist ein guter Mann", sagt Butch Merino, der einmal die Rechte Hand von Parajinogs Tochter war. "Ich sage ihnen, dass er ein guter Mann ist, weil er uns eine zweite Chance im Leben gegeben hat." Mit seinen tätowierten Armen und seinem bedrohlichen Auftreten wirkt Merino wie ein Paradegangster. Er wurde bei der tödlichen Razzia festgenommen. Danach begann er, mit der Polizei zu kooperieren, und half, seine ehemaligen Komplizen ausfindig zu machen. Nun steht er unter Zeugenschutz, allerdings in Haft. Aber er steht nun auf Espenidos' Seite und unterstützt den Polizeichef bei dessen Kreuzzug gegen das Verbrechen.