Ein Nobelpreis macht noch keinen Frieden
Von Arafat bis Abiy Ahmed: Bei manchen Friedensnobelpreisträgern gehen die Meinungen auseinander, ob sie eine würdige Wahl waren. Ein Überblick über die umstrittensten Entscheidungen seit 1901.
Pioniere und Polemik
Schon 1901, als der Friedensnobelpreis erstmals an den Schweizer Henry Dunant (l.) und Frédéric Passy aus Frankreich verliehen wurde, war die Nobel-Kommission über diese Entscheidung uneins. Dunant hatte das Internationale Rote Kreuz gegründet und gilt zusammen mit Passy als Initiator der ersten Genfer Konvention. Man überlegte, ob das Abkommen dem Krieg nicht seinen Schrecken nehmen würde.
Friedensstifter und Demagoge
Woodrow Wilson, der 28. US-Präsident, bekam ebenfalls den Preis "für seine Verdienste um die Beendigung des Ersten Weltkriegs und die Gründung des Völkerbunds", der indirekt als Vorläufer der UN gilt. Innenpolitisch war er nicht als Verfechter der Völkerverständigung bekannt, propagierte er doch die Überlegenheit der weißen Rasse. Dazu war er ein Befürworter der Sklaverei und des Ku-Klux-Klans.
Erst der Preis, dann der Frieden
Der US-Außenminister Henry Kissinger (l.) und der Leiter der vietnamesischen Militäraktionen Le Duc Tho (r.) haben maßgeblich an dem Vietnam-Friedensvertrag 1973 mitgearbeitet. Der Nordvietnamese Le Duc Tho verweigerte allerdings die Annahme des Preises, weil in seinem Land noch kein Frieden herrsche: Die letzten Bomben auf Vietnam, Laos und Kambodscha fielen erst zwei Jahre später.
Putschist und Preisträger
Ägyptens Präsident Anwar al-Sadat (l.) setzte sich mit Israels Regierungschef Menachem Begin (r.) für den Frieden zwischen beiden Ländern ein. 1978 wurden sie für das Camp-David-Abkommen geehrt. Doch der Preis sorgte für Wirbel: Der Geheimbund "Freie Offiziere" war für den Militärputsch gegen König Faruq verantwortlich. Sadat galt als deren Mitbegründer und soll von dem Plan gewusst haben.
Friedenstruppe, aber keine Friedensengel
Blauhelmtruppen kämpfen im Namen der Vereinten Nationen für den Frieden. Dafür wurde ihnen 1988 der Nobelpreis verliehen. Wenige Jahre später blieben Blauhelmtruppen bei den Genoziden in Ruanda und im serbischen Srebrenica jedoch untätig. Seitdem gab es immer wieder Berichte, in denen Blauhelmsoldaten selbst zu Täter wurden, indem sie Frauen vergewaltigten oder Kinder misshandelten.
Gefallene Heldin
Als sie 1991 den Friedensnobelpreis erhielt, war Aung San Suu Kyi eine Lichtgestalt: Sie hatte gewaltlos für Demokratie in ihrem Heimatland Myanmar gekämpft. In den 2010ern geriet sie jedoch in Verruf: Ihr wird vorgeworfen, die muslimische Rohingya-Minderheit 2017 nicht vor dem Genozid beschützt zu haben. Sie durfte zwar selbst nicht an die Macht, ihre Partei hielt aber die Mehrheit im Parlament.
Der Mann mit den zwei Gesichtern
Obwohl er vor seiner Zeit als südafrikanischer Präsident als Verfechter der Apartheid galt, war Frederik Willem de Klerk maßgeblich an der Abschaffung der Rassentrennung in Südafrika beteiligt. Er entließ Nelson Mandela und andere Politiker des ANC aus ihrer Haft, setzte sich für die Pressefreiheit ein und hob die Apartheid-Gesetze auf. 1993 erhielt er zusammen mit Mandela den Friedensnobelpreis.
Ein Ex-Terrorist mit Friedensnobelpreis
Einen großen Eklat gab es 1994. PLO-Chef Jassir Arafat (l.), Israels Premier Yitzhak Rabin (r.) und Außenminister Schimon Peres (m.) erhielten die Auszeichnung für ihre Friedensbemühungen im Nahen Osten. Ein norwegischer Politiker trat anschließend aus dem Nobelkomitee aus, da Arafat ein "unwürdiger Preisträger" sei. Arafat wird als Mitgründer der Fatah Mitschuld an Terroranschlägen gegeben.
Hilfe und Hilflosigkeit
2001 wurden die UN und ihr damaliger Generalsekretär Kofi Annan geehrt - "für ihren Einsatz für eine besser organisierte und friedlichere Welt". Kritiker sehen in den UN einen zahnlosen Tiger - etwa wegen der Dauer-Blockade im Sicherheitsrat. Und Annan? Der machte als Blauhelm-Chef zur Zeit des Genozids in Ruanda schwere Fehler, statt zu deeskalieren. "Ich hätte mehr tun sollen", sagte Annan 2004.
Hoffnungsträger und Drohnenkrieger
Neun Monate war Barack Obama US-Präsident, als er die Auszeichnung erhielt. Die Begründung: Seine "außergewöhnlichen Bemühungen, die internationale Diplomatie und die Zusammenarbeit zwischen den Völkern zu stärken". Kritiker fanden den Zeitpunkt viel zu früh. Später ordnete Obama Drohnenangriffe an, die völkerrechtlich sehr umstritten sind, und bei denen Hunderte Zivilisten getötet wurden.
Festung und Schutzort
2012 erhielt die Europäische Union den Friedensnobelpreis - für die "Förderung von Frieden und Versöhnung, Demokratie und Menschenrechten in Europa". Allerdings gilt der europäische Umgang mit Flüchtlingen vielen als inhuman: Kritiker klagen über vielerorts überfüllte Lager, Grenzzäune und fehlende Solidarität untereinander und den kompletten Rückzug aus der Seenotrettung im Mittelmeer.
Ein bisschen Frieden
Ohne Zweifel: Seitdem Abiy Ahmed 2018 zum äthiopischen Premierminister aufstieg, hat er viel bewegt. Auch im festgefahrenen Grenzkonflikt mit dem kleinen Nachbarn Eritrea, diplomatische Annäherung und Grenzöffnung inklusive. Der Friedensprozess ist aber längst ins Stocken geraten - und während Abiy den Ruhm des Nobelpreises genießt, herrscht in Eritrea Isayas Afewerki weiter mit eiserner Hand.