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Politik

Russlands neue Rakete

Roman Goncharenko
5. Dezember 2018

Mit NATO-Unterstützung erhöhen die USA den Druck auf Russland: Es soll den INF-Abrüstungsvertrag verletzt haben. Es geht um eine neue Rakete. Details über sie hat der US-Geheimdienstchef Coats bekannt gemacht.

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Russland Iskander Rakete
Die russische Kurzstrecken-Rakete "Iskander": möglicherweise die Basis der neuen MittelstreckenraketeBild: Reuters/S. Karpukhin

Nachdem US-Präsident Donald Trump im Oktober angekündigt hat, aus dem INF-Abkommen mit Russland auszusteigen, geht der Zwist nun in die nächste Runde: Nach der Sitzung der NATO-Außenminister am Dienstag in Brüssel stellte sich die Allianz auf die Seite der USA und schloss sich den Vorwürfen gegen Moskau an: Es verletze den 1987 unterzeichneten Abrüstungsvertrag mit den USA, der alle landgestützten Marschflugkörper mit Reichweiten zwischen 500 und 5500 Kilometer verbietet. Nun stellte Washington Moskau ein Ultimatum, innerhalb von 60 Tagen zur Einhaltung des Vertrags zurückzukehren. Andernfalls steige man aus dem Vertrag aus.

Der Streit dreht sich um eine Rakete, die in den Medien "Novator 9M729" oder, im NATO-Code, "SSC-8" genannt wird. Vor dem jüngsten NATO-Beschluss hatte das Pentagon seine Geheimdienstinformationen mit den Partnern geteilt. Es gibt aber auch zahlreiche öffentliche Quellen über den Marschflugkörper.

Eine neue russische Rakete: wie alles begann

Es war Ende Juli 2014, als die "New York Times" zum ersten Mal über den Verdacht Washingtons berichtete, dass Moskau gegen den INF-Vertrag verstößt. Der damalige US-Präsident Barack Obama habe seinen russischen Kollegen Wladimir Putin in einem Brief darüber informiert. Dabei soll Russland mit Tests der neuen Rakete bereits 2008 begonnen haben. Laut NYT hat die Obama-Regierung das Thema mehrfach mit Russland besprochen, jedoch scharfe öffentliche Äußerungen vermieden - offenbar in der Hoffnung, sich mit dem Kreml zu einigen. Fünf Besprechungen habe es dazu seit 2014 auf technischer Expertenebene gegeben, teilte am Dienstag das US-Außenministerium in einer Erklärung mit. Doch Moskau habe mit "Dementi, Verschleierung und Unwahrheiten" reagiert.

INF-Vertrag zwischen den USA und der UdSSR
Ronald Reagan und Michail Gorbatschow stoßen auf den unterzeichneten INF-Vertrag an (Dezember, 1987)Bild: picture-alliance/dpa

Erst die neue Regierung unter Donald Trump hat die Bezeichnung der Rakete, die angeblich gegen den INF-Vertrag verstößt, öffentlich gemacht. Im Washingtoner Wilson-Centre sagte Christopher Ford, Mitglied des Nationalen Sicherheitsrats, es handele sich um die Rakete vom Typ 9M729 vom Raketenbauer "Novator" in Jekaterinburg am Ural. Das Unternehmen, Teil des staatlichen Rüstungskonzerns "Almas-Antei", hat auch die neuen seegestützten Marschflugkörper "Kalibr" sowie eine interkontinentale Rakete der neuesten Generation mit atomarem Antrieb entwickelt.

Wie die Rakete 9M729 laut USA entwickelt wurde

In Russland gibt es kaum offizielle Informationen über die Entwicklung oder technische Daten der Novator 9M729. In den USA hat Daniel Coats, Chef aller US-Geheimdienste, Ende November 2018 erstmals Details publik gemacht. Demnach soll Russland Mitte der 2000er Jahre mit der Entwicklung der landgestützten Mittelstreckenrakete begonnen haben.

Daniel R. Coats USA Botschafter in Deutschland
Daniel Coats, Chef der nationalen US-NachrichtendiensteBild: AP

Dabei habe "Novator" den Auftrag erhalten, "eine Rakete zu bauen, die sehr ähnlich" zu anderen sein soll, die zu dem Zeitpunkt entwickelt wurden, wie etwa die taktische Boden-Boden-Rakete vom Typ "Iskander", die mit verschiedenen konventionellen und atomaren Gefechtsköpfen bestückt werden kann. Die ballistische Iskander wird - wie auch der Lenkflugkörper Kalibr - als mögliche Basis für die Neuentwicklung gehandelt.

Bis 2015 habe Russland ein umfassendes Flugtestprogramm abgeschlossen, so Coats. Tatsächlich erlaube der INF-Vertrag gewisse Tests von Lang- und Mittelstreckeraketen auch an Land, wenn sie nicht als landgestützte Systeme konzipiert sind, sondern für Marine oder Luftwaffe. Russland habe die Tests als vertragstreu getarnt, sagte Coats und beschrieb, wie Russland das angestellt haben soll.

"Sollte Coats Beschreibung stimmen, wird der Wunsch Russlands offensichtlich, die Tatsache zu verschleiern, dass eine landgestützte Rakete für eine durch den INF-Vertrag verbotene Reichweite getestet wurde", sagte der russische Journalist und Militärbeobachter Alexander Golz der DW. Er nennt die US-Argumente schlüssig: "Zumindest kann man die Logik nachvollziehen."

9M729 - eine direkte Gefahr für Europa?

Offiziell nennen die USA keine Reichweite der neuen russischen Rakete, doch man ist sicher, dass sie den Vertrag bricht. Das denkt auch Steven Pifer, Abrüstungsexperte beim US-Think-Tank "The Brookings Institution" in Washington: "Ich bezweifle, dass die Russen den Vertag brechen würden, um eine Rakete zu entwickeln, die etwas mehr als 500 Kilometer weit fliegt", sagte Pifer der DW. "Ich habe einmal geschätzt, dass sie rund 2000 Kilometer weit fliegt, aber das ist nur eine Vermutung."

Russland Fregate Admiral Essen im Mittelmeer greift Ziele des IS bei Deir al-Zor in Syrien
September 2017: Eine russische Fregatte feuert aus dem Mittelmeer eine "Kalibr" auf Stellungen des "Islamischen Staats" abBild: Reuters/Russian Defence Ministry

Washington glaubt, dass die neue 9M729 Rakete inzwischen einsatzbereit ist. Die NYT schrieb im Februar 2017 über zwei mit neuen Raketen bestückte Einheiten, die eine auf dem Testgelände Kapustin Jar bei Wolgograd und die andere an einem nicht genannten Einsatzort. US-Geheimdienstchef Coats bestätigte, dass es sich um mehrere Einheiten handele und dass sie eine "direkte Gefahr" für die meisten Teile Europas sowie Teile Asiens darstellen würden. US-Beobachter verweisen darauf, dass es sich um Raketen handelt, die - wie bereits existierende Systeme - klein und mobil sind. Daher dürfte es sehr schwer sein, sie aufzuspüren.

Was Russland zu den Vorwürfen sagt

Russland gibt die Existenz der Raketen vom Typ 9M729 zu, bestreitet jedoch, dass sie gegen den INF-Vertrag verstoßen. Das Verteidigungsministerium äußert sich dazu nicht. Als erste sagte die Sprecherin des Außenministeriums Maria Sacharowa in Dezember 2017, dass es solche Raketen gebe. Sie sagte aber auch, dass Raketen mit verbotenen Reichweiten weder getestet, noch entwickelt worden seien. Als Sacharowa am Dienstag die neuen NATO-Vorwürfe und das US-Ultimatum kommentierte, sagte sie, Moskau erfülle in Gänze die Vertragsbestimmungen.