Maulkorb für Schwule und Lesben in Russland
11. Juni 2013Oleg S. kannte offenbar seine Mörder. Der stellvertretende Direktor eines Regionalflughafens auf der fernöstlichen Halbinsel Kamtschatka wollte Ende Mai mit einem Bekannten ausgehen. Er wurde jedoch in einen Hinterhalt gelockt und mit mehreren Messerstichen ermordet. Die russische Polizei geht davon aus, dass die "nicht-traditionelle sexuelle Orientierung" des 38-Jährigen das Tatmotiv gewesen ist. Wenige Wochen zuvor gab es einen ähnlichen Fall in Wolgograd, bei dem ein 23-Jähriger grausam sterben musste. Aktivisten der Schwulenszenen wie Nikolai Alexejew aus Moskau schlagen Alarm. Mitverantwortlich für die jüngsten Morde sei die russische Politik. Sie heize die negative Stimmung gegen Homosexuelle an. Beispiel dafür sei das Verbot von "Homosexuellen-Propaganda".
Das russische Parlament verabschiedete nun in zweiter und dritter Lesung ein landesweites Gesetz, das öffentliche Äußerungen über "nicht-traditionelle sexuelle Orientierungen" bestraft. Das Gesetz solle Kinder und Jugendliche schützen, erklärte vor der Abstimmung Elena Misulina, Vorsitzende des Familienausschusses der Staatsduma. Im Gesetzestext heißt es, wer gleichgeschlechtliche Liebe attraktiv erscheinen lasse sowie russischen Kindern und Jugendlichen vermittele, Liebe zwischen zwei Frauen oder zwei Männern sei "sozial genauso wertvoll" wie zwischen Mann und Frau, solle bestraft werden.
Hohe Geldstrafen und Arrest möglich
Die vom Gesetz vorgesehenen Geldbußen variieren zwischen umgerechnet 100 Euro für Privatpersonen und über 23.000 Euro für Firmen oder Organisationen. Werden für die "Propaganda" Medien genutzt, werden zehn bis 20 Mal höhere Strafen fällig. Wer zum Beispiel in seinem Blog schreibt, homosexuelle Liebe sei in Ordnung, riskiert demnächst in Russland mit bis zu 2000 Euro belangt zu werden. Firmen oder Organisationen zahlen in solchen Fällen deutlich höhere Strafen. Sie können sogar für bis zu 90 Tage geschlossen werden.
Auch ausländische Bürger können in Russland bestraft werden. Sie haben mit ähnlichen Konsequenzen wie die Russen zu rechnen. Darüber hinaus können Ausländer für bis zu 15 Tage festgenommen und anschließend des Landes verwiesen werden.
Seit rund einem Jahr stehen in Russland Schwule und Lesben zunehmend unter Druck der Behörden. So wurden zunächst in einigen Regionen des Landes, darunter in der zweitgrößten Stadt Sankt Petersburg, Verbote von "Homosexuellen-Propaganda" erlassen. Immer öfter werden Märsche untersagt, mit denen Schwule und Lesben für ihre Rechte auf die Straße gehen wollen. Auch am Tag der Abstimmung über das landesweite Verbot von "Homosexuellen-Propaganda" nahm die Polizei rund zwei Dutzend Menschen vor dem Parlamentsgebäude in Moskau fest, die gegen das Gesetz protestieren wollten.
Homophobie auf dem Vormarsch
Umfragen zeigen, dass die russische Gesellschaft Homosexualität inzwischen immer stärker ablehnt. Fast die Hälfte der Russen (47 Prozent) halte die Einschränkung der Rechte von Schwulen und Lesben für richtig, fand das unabhängige Moskauer Meinungsforschungsinstitut Lewada-Zentrum im April 2013 heraus. 2012 waren es lediglich 40 Prozent. Fast drei Viertel der Befragten (73 Prozent) sind der Meinung, der Staat solle das öffentliche Ausleben von Homosexualität unterbinden.
Es sind solche Umfragen, mit denen der russische Präsident Wladimir Putin seine Politik rechtfertigt. Die harten Gesetze seien nur ein Spiegel der russischen Gesellschaft, so seine Botschaft. "Ich finde, dass unsere Gesetzgebung ziemlich liberal ist", sagte Putin beim Gipfel mit der Europäischen Union Anfang Juni 2012 in Jekaterinburg. Eine Diskriminierung von Schwulen und Lesben gebe es in Russland nicht, so der Kremlchef.
Die EU sieht das anders. Sie appellierte an Russland, das umstrittene Gesetz über "Homosexuellen-Propaganda" nicht zu verabschieden. Kritisch äußerten sich auch der Generalsekretär des Europarates, Thorbjørn Jagland, sowie die Menschenrechtsorganisation "Amnesty International". Sogar der Leiter des beim russischen Präsidenten angesiedelten Menschenrechtsrats, Michail Fedotow, hält das Gesetz für unnötig.
Wird Elton John bestraft?
Doch Russland zeigt sich von der internationalen Kritik unbeeindruckt. Manchmal nimmt der politische Kampf gegen Homosexuelle groteske Züge an. So wurden die US-Popdiven Madonna und Lady Gaga für ihre freizügigen Auftritte bei Konzerten in Sankt Petersburg scharf kritisiert. Eine staatlich eingesetzte Kommission befand, die Konzerte hätten für Jugendliche unter 18 Jahren nicht freigegeben werden dürfen.
Wenn im Juli der britische Popsänger Elton John im südrussischen Krasnodar auftreten wird, könnte das umstrittene Gesetz bereits in Kraft sein. Elton John macht aus seiner Homosexualität kein Geheimnis. Dass er bestraft wird, gilt als unwahrscheinlich. Doch einige Lokalpolitiker haben den Sänger ernsthaft aufgefordert, zumindest sein "schrilles Bühnenkostüm gegen eine festliche Kosakenuniform" zu tauschen.