Kartenspiel für Soldaten
9. September 2012Mitten in Rom sitzt die amerikanische Archäologin Laurie Rush auf einer Bank auf einem der zahllosen Plätze, auf denen die Vergangenheit die Gegenwart durchdringt. Auf der einen Seite ragt der Janusbogen auf, ein massives marmornes Eingangstor aus dem vierten Jahrhundert. In einiger Entfernung sind die Überreste römischer Kaiserpaläste des Palatin-Hügels zu sehen.
Nach zwei Jahrtausenden Geschichte - einschließlich Invasionen, Besetzungen und Bombardierungen – ist immer noch viel vom kulturellen Erbe Italiens erhalten. "Dafür müssen wir dem italienischen Volk außerordentlich dankbar sein", sagt Rush, die von 2010 bis 2011 als Gastwissenschaftlerin an der Amerikanischen Akademie in Rom arbeitete, im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Viele dieser außergewöhnlichen Kunstschätze könnten wir heute nicht bewundern, wenn die Italiener nicht außergewöhnliche Schutzmaßnahmen ergriffen hätten."
Ein Schutzwall für das Fresko von da Vinci
Im Forum Romanum zeigt das Relief der Trajanssäule die Kriege zwischen den Römern und den Dakern. Während der beiden Weltkriege im 20. Jahrhundert wurde die Säule selbst nicht zerstört - dank eines Schutzwalls, den die Italiener darum errichtet hatten. Auch Leonardo da Vincis "Abendmahl" ist nur deswegen heute noch zu bewundern, weil die Italiener, bevor die Bomben fielen, mit Sandsäcken die Wand stabilisiert hatten, auf der sich das Fresko befindet.
Die 56jährige Archäologin Rush hat in den USA die Strategien der Italiener zur Erhaltung der Kulturgüter untersucht. Die Archäologin ist zivile Angestellte der US-Armee mit dem Auftrag, kulturelles Erbe bei Kampfeinsätzen zu schützen. Sie ist ein modernes Äquivalent zu den sogenannten "Monuments Men", einer Gruppe von Militärs und Zivilisten aus 13 Nationen, die sich im Zweiten Weltkrieg darum bemühte, architektonische und künstlerische Meisterwerke in Europa zu schützen.
Rush entwickelte mit ihren Kollegen ungewöhnliche Spielkarten: Kreuzbube auf der einen Seite und ein Detail über das kulturelle Erbe im Irak, in Afghanistan und in Ägypten auf der anderen. Die in den Kampfzonen stationierten Truppen können in ihren freien Stunden Poker spielen und dabei Fotos von alten Minaretten im Irak, die Bamian Buddhas in Afghanistan und vieles mehr betrachten.
Auf der Rückseite der Karten ist der Hinweis zu lesen, dass die Soldaten unbedingt aufhören sollen zu graben, wenn sie antike Gegenstände finden. Doch das ist nicht alles. "Ohne Frage, die Herz Fünf ist mein Favorit", sagt Rush beim Durchblättern der Karten: "Es ist ein Bild von einem Soldaten Hand in Hand mit einer kleinen irakischen Kind und es ist klar, dieser Soldat und dieses Kind haben eine sehr positive Beziehung."
Grundkurse in Archäologie für Soldaten
Ein Feldwebel sagte der Archäologin, dass er durch diese einfachen Karten in der Lage war, etwas über das kulturelle Erbe des Irak zu lernen. Das habe ihm später geholfen, die Beziehungen zu den Einheimischen zu verbessern. Andere Soldaten brachten Rushs Karten dazu, Baggerarbeiten in einer historischen Stadt östlich von Bagdad zu stoppen. Der Ort wurde abgesichert, um Schäden zu vermeiden.
Doch die Karten sind nicht die einzige "Waffe" im pädagogischen Arsenal der Archäologen. Rush und ihre Kollegen informieren Soldaten und ihre Familien inzwischen bereits im Vorfeld eines Einsatzes über die archäologischen Besonderheiten der jeweiligen Region.
In Fort Drum in New York, Rush, der Heimatbasis von Laurie Rush, wurden archäologische Stätten nachgebaut, um realistisch üben zu können. In Großbritannien sind traumatisierte Soldaten an archäologischen Ausgrabungen beteiligt. Die Beschäftigung mit dem kulturellen Erbe hilft ihnen bei der Bewältigung ihrer traumatischen Erlebnisse. Inzwischen bietet die österreichische Nationale Verteidigungs-Akademie Trainingsseminare zum Schutz von kulturellem Eigentum für Streitkräfte aus der ganzen Welt an.