Ein Jahr Präsident Mursi: Die alltägliche Krise in Ägypten
Ein Land ist ernüchtert: Nach der Arabischen Revolution hat sich für die viele Ägypter kaum etwas positiv verändert. Ein Jahr nach Amtsantritt von Präsident Mursi zeigt sich die Krise überall im Kairoer Alltagsleben.
Weiterleben in der "Stadt der Toten"
Seit einem Jahr ist Präsident Mohammed Mursi nun im Amt. Viele Ägypter hofften nach der Revolution auf eine demokratische Zukunft und auf mehr Gerechtigkeit. Abdullah bewacht seit 40 Jahren ein Mausoleum in der "Totenstadt", einem Slum am Stadtrand. Von den Umbrüchen im Zentrum Kairos hat er kaum etwas mitbekommen. "Für die Armen ändert sich doch sowieso nie etwas", meint er.
"Passiver Widerstand" im Straßencafé
Auch in der Mittelschicht hat sich Enttäuschung breit gemacht. Im Straßencafé genehmigen sich ein Richter und ein Verwaltungsangestellter bei einer Wasserpfeife eine kleine Auszeit von ihrer Arbeit. Das sei ihre Form des "passiven Widerstands", erklären sie.
Kampf gegen sexuelle Belästigung
In seiner Freizeit engagiert sich Amr (links) mit Freunden gegen sexuelle Belästigung von Frauen. "Leider ist das hier in den letzten zwei Jahren zu einem großen Problem geworden. Die Leute haben keinen Respekt mehr, und die Polizei tut kaum etwas dagegen", so der Aktivist. Auf gar keinen Fall wolle er die alten Zeiten zurück, aber die neue Regierung müsse mehr für die Sicherheit der Bürger tun.
"Ägypten geht es doch gut!"
Eine Passantin im Kairoer Zentrum ärgert sich, dass im Ausland "nur noch negativ über Ägypten gesprochen wird". Natürlich gebe es im Land Probleme, aber ihr Mann könne gut für sie und ihre drei Kinder sorgen. "Das alles ist nur eine Prüfung Gottes! Er will, dass wir als Volk zusammenstehen", so die Versicherungsangestellte. Für ihre Töchter wünscht sie sich trotzdem ein Leben im Ausland.
"Straßenkunst mit Herz"
Vor der Revolution hat Khalid als Tauchlehrer gearbeitet. Dann zog er nach Kairo, um den Aufstand zu unterstützen. "Aber die Muslimbrüder haben uns die Revolution gestohlen", beschwert sich Khalid. Jetzt verkauft er Handwerkskunst. Für ihn auch eine Form des Protests: "So kann ich unsere großartige kulturelle Vielfalt zeigen, so wie ich sie sehe - und nicht wie der Staat sie zeigen will!"
Politik kein Thema im Unterricht
In der Schule von Maya ist Politik selten ein Thema. "Ich glaube, die meisten Lehrer wollen lieber nicht darüber sprechen", sagt die 16jährige. Das hält Maja aber nicht davon ab, selbst aktiv zu werden. In der Kairoer Innenstadt verteilt sie Flugblätter für mehr Bürgerrechte. Ihre Familie, sagt Maja, habe nichts dagegen, dass sie ihre eigenen Vorstellungen von der Zukunft ihres Landes hat.
Revolution in der Prüfungsphase
Mustafa besucht gerade seine Familie in Kairo. Eigentlich studiert er in Aachen Bauingenieurswesen. Den Anfang der Proteste vor zwei Jahren konnte er deshalb nur aus der Ferne verfolgen. "Da musste ich gerade Klausuren schreiben", erinnert sich der Student. Wenn er in den Semesterferien nach Hause kommt, spürt er viel Unzufriedenheit, aber auch viel Hoffnung bei der jüngeren Generation.
Gutes Essen auch in Krisenzeiten
In Abu Tareks Restaurant treffen sich jeden Mittag Geschäftsleute, Familien und Reisende. Alle wollen sein "Kuscheri", ein typisches Nudelgericht, essen. Er versteht, dass viele Touristen Ägypten aus Angst vor Unruhen in letzter Zeit meiden. Sein Umsatz hat darunter bisher kaum gelitten. Gutes Essen werde eben immer geschätzt - ganz unabhängig von der politischen Lage, so der Restaurantbesitzer.