Burj Khalifa in Belgrad
18. März 2015Kalemegdan bietet einen einmaligen Blick. Unterhalb dieser alten Belgrader Festung mündet die Save in die Donau. Wer oben steht, genießt das Panorama der serbischen Hauptstadt: vorne die große grüne Insel, die von der türkischen Besatzung geprägte Altstadt, und im Hintergrund unzählige Wohnblockreihen aus der kommunistischen Zeit. Doch dieses Bild könnte sich in den kommenden Jahren gewaltig verändern. Auf 180 Hektar soll am rechten Save-Ufer unter dem Namen "Belgrad am Wasser" ein High-Tech-Viertel errichtet werden: mit Luxusapartments, Büroräumen und dem größten Einkaufszentrum der Balkan-Region, mit viel Glas und Beton. Und einem 220 Meter hohen Wolkenkratzer, einer Hommage an den Burj Khalifa, das Wahrzeichen Dubais. Der Vergleich ist kein Zufall, denn "Belgrad am Wasser" sollen Geldgeber aus den Vereinigten Arabischen Emiraten finanzieren. Die noch nicht gebauten Wohnungen kann man schon jetzt erwerben.
"Serbische Champs-Élysées" ohne Vertrag
Die Vorbereitungsarbeiten laufen schon, auf vielen großen Plakatwänden wird in der Stadt für das Projekt geworben. Das macht Radomir Lazović wütend. "Die Machthaber nehmen sich das Recht, die Identität der Stadt zu verändern, ohne Bürger oder Experten zu fragen. Das wäre eine Vergewaltigung der Architektur und des Gesetzes", sagt der junge Aktivist von der Initiative "Flutet Belgrad nicht!". Die Überbauung des Save-Bogens im Stadtzentrum ist ein alter Traum - schließlich gibt es dort bislang nur Eisenbahnschienen, langsam verrostende Waggons und illegal gebaute Häuschen mit Blechdach. Doch Radomir und viele Belgrader würden hier gerne etwas anderes sehen: mehr Parks, mehr öffentliche Plätze, mehr Freiraum. "Das öffentliche Leben und der Zugang zum Fluss sind in einer europäischen Metropole bedroht. Die Save sollte den Bürgern gehören."
Die Regierung unter der Führung der konservativen Fortschrittspartei ist von dieser Kritik und den Protesten nicht begeistert. Das Großprojekt war im vergangenen Jahr das zentrale Thema im Wahlkampf. Serbien hat mit einer desolaten Wirtschaftslage zu kämpfen: gewaltige Staatsschulden, hohe Inflation, rund 25 Prozent Arbeitslosigkeit. Deswegen wirbt der Premier Aleksandar Vučić für "Belgrad am Wasser" als Investoren-Magnet und Arbeitgeber - von 200.000 Jobs in der Bau-Branche ist die Rede. Glanzvoll soll es werden. "Wir werden hier die Champs-Élysées Belgrads haben", verspricht Vučić. Rund drei Milliarden Euro soll die Firma Eagle Hills aus den Vereinigten Arabischen Emiraten investieren. Bei den Verhandlungen vermittelte kein Geringerer als der Thronfolger der Emirate, Muhammad bin Zayid Al Nahyan, den Vučić als einen "persönlichen Freund" bezeichnete.
Ob es um Freunde gehe oder nicht: für den Bau benötige man einen Vertrag, den es aber bis heute nicht gebe, kritisiert Nemanja Nenadić, Leiter des serbischen Büros von Transparency International. "Wir wissen noch nicht, was in diesem Vertrag stehen wird, welche Rechte, Pflichten und Risiken die serbische Seite trägt. Es ist nicht einmal bekannt, ob man hier dem Investoren das Grundstück verpachtet, verkauft oder schenkt", sagt Nenadić im Gespräch mit der DW. Das erste Gebäude von "Belgrad am Wasser" ist schon fertig - ein "temporäres Infozentrum" direkt am Fluss. "Eigentlich bloß eine Kneipe", spottet die regierungskritische Wochenzeitung Vreme. Nach Recherchen dieser Zeitung wurden der Bau des Infozentrums sowie weitere Aufträge regierungsnahen Firmen erteilt.
Juristische Akrobatik
Für "Belgrad am Wasser" gibt es in Serbien ein eigenes Gesetz, das Vorrang vor anderen Gesetzen hat. So wird es möglich, private Luxuswohnungen, Büroräume und Einkaufszentren zu bauen, statt gemeinnützige Flächen wie Parks und Promenaden. Und zwar ohne Ausschreibung - ganz legal. Die Basis dafür bildet ein Abkommen zwischen Serbien und den Vereinigten Arabischen Emiraten, das vor einem Jahr unterzeichnet wurde. "Es ist absurd, dass unsere Gesetze, die den Wettbewerb schützen, angewendet werden, wenn es um kleine Ausschreibungen geht - nicht aber bei einem milliardenschweren Auftrag wie Belgrad am Wasser", kritisiert Nenadić.
Das futuristische Viertel ist wohl das größte, aber nicht das erste umstrittene gemeinsame Projekt der aktuellen serbischen Regierung und der wohlhabenden Scheichs. Seit Oktober 2013 fliegt die serbische Fluggesellschaft unter dem Namen Air Serbia mit dem Management von Etihad, der Fluggesellschaft des Emirates Abu Dhabi. 49 Prozent der Anteile hat das Unternehmen aus den Emiraten erworben und kann mit üppigen Subventionen aus dem mageren serbischen Etat rechnen, die wenig transparent sind. So hat der staatliche Belgrader Flughafen der Fluggesellschaft Schulden in Höhe von etwa 15 Millionen Euro erlassen. Daraufhin konnte Regierungschef Vučić triumphierend erklären, die serbische Airline habe "zum ersten Mal in der Geschichte" grüne Zahlen geschrieben.
Geht das überhaupt?
Für den 76-jährigen Architekten Dragoljub Bakić ist das Projekt "Belgrad am Wasser", im Unterschied zum Geschäft rund um die Fluggesellschaft, nicht realisierbar. Und das nicht nur, weil Bakić die gewaltigen Wolkenkratzer zu konventionell und für Belgrad unpassend findet. "Eine Megalopolis mit zwei Millionen Quadratmetern Wohn- und Büroraum wird ohne jegliche Infrastruktur geplant. Wo sollen das nötige Wasser oder der Strom herkommen? Wo sollen die 40.000 Parkplätze entstehen, die Pflicht sind? Die Straßen in der Umgebung kann man nicht einfach breiter machen", sagt er. Zusammen mit weiteren Mitgliedern der Serbischen Akademie der Architektur verlangte Bakić in einem offenen Brief einen sofortigen Baustopp. Sonst, so sein Fazit, werde "unvorstellbares Chaos" herrschen.
Ausgerechnet auf die Schlampigkeit der Regierung hofft Aktivist Lazović. Er glaubt, dass der Bau scheitern wird, weil der Investor irgendwann weggeht. Oder weil das Projekt politisch unpopulär werden könnte. Wenn die Regierung auf "Belgrad am Wasser" beharrt, wollen der junge Aktivist und seine Mitstreiter auf eine letzte Karte setzen: ein Referendum. Das wäre allerdings eher eine symbolische Geste, denn gemäß der serbischen Verfassung darf ein Referendum internationale Verträge gar nicht infrage stellen.