Piratenprozess Hamburg
23. Mai 2011Seit 33 Prozesstagen ist es immer das gleiche Bild: Durch einen Hintereingang betreten zehn junge somalische Männer den Saal 337 des Hamburger Landgerichts. Zielsicher steuert jeder der Angeklagten einen Sitzplatz an, begrüßt kurz seinen Pflichtverteidiger und setzt sich einen Kopfhörer auf. Alles was in dem Gerichtssaal vor sich geht, wird den jungen Männern auf diese Kopfhörer übersetzt: Sechs Sachverständige wurden bisher angehört und elf Zeugen wurden vernommen. Hinzu kommen unzählige Anträge von Verteidigung und Staatsanwaltschaft.
Keine Ahnung vom Leben in Somalia
Nach ursprünglicher Planung sollte das Verfahren schon seit zwei Monaten abgeschlossen sein. Doch ein Ende ist auch jetzt noch nicht in Sicht. Gabriele Heinecke ist die Anwältin einer der mutmaßlichen Piraten – und auch sie wird langsam ungeduldig. Zwar sei es juristisch erforderlich, im Detail festzustellen, was genau von Bord passiert sei, als Piraten im Frühjahr 2010 das deutsche Schiff "Taipan" kaperten. "Aber über die wesentliche Frage, was die Motivation dafür ist, dass zehn junge Menschen aus Somalia ein Schiff überfallen, ist bisher kaum gesprochen worden", so die Verteidigerin.
Es ist die Frage, die für den Prozessausgang entscheidend sein könnte: Was hat die Somalier dazu getrieben, ihr Leben aufs Spiel zu setzen und ein Schiff zu überfallen? Doch um dies beantworten zu können, müssen die Lebensumstände der zehn jungen Männer bekannt sein. Wie groß war ihre Armut? Wie ausweglos war ihre Lage? Wie sehr gehört Gewalt zum Alltag in ihrer Heimat?
Der vom Gericht bestellte Sachverständige gibt sich große Mühe, ein Bild der Lage in Somalia zu zeichnen. Mithilfe dutzender Overhead-Folien versucht Somalia-Experte Volker Matthies, Clanstrukturen und Verwaltungsaufbau des Landes zu erklären. Doch auf die meisten Fragen der Anwälte hat auch er keine Antwort. Aufgrund der Sicherheitslage war der Politikwissenschaftler selbst jahrelang nicht mehr in der Region. "Selbstverständlich ist es schwierig angesichts der akuten Kriegssituation und des Verfalls staatlicher Strukturen solide und seriöse Daten zu gewinnen", gibt der Experte zu. Bei fast allen Zahlen handele es sich deshalb nur um grobe Schätzungen oder um Angaben der wenigen Hilfsorganisationen, die noch vor Ort seien.
Geringe Erwartungen an den Prozess
Aufgrund dieser Informationslücken erwartet sich auch Max Johns vom Verband Deutscher Reeder nicht viel von dem Hamburger Prozess. Stattdessen verweist er auf die Idee der Vereinten Nationen, eine Art Internationales Straftribunal für Piraterie einzurichten. Gerade in den letzten Monaten hätten Piratenangriffe am Horn von Afrika wieder dramatisch zugenommen. Zudem gingen viele Piraten zunehmend brutal vor. Deshalb müsse es ein internationales Gericht geben, das mit solchen Fällen professionell und informiert umginge. "Es ist doch wenig sinnvoll, wenn sich jetzt überall Juristen und Gerichte auf ein Exotenfach spezialisieren müssen und möglicherweise zu ganz unterschiedlichen Urteilen kommen", meint der Verbandsvertreter.
Ein wenig zynischer sehen das einige Prozess-Beobachter. Sie behaupten, es sei ohnehin egal, welches Gericht sich um den Fall kümmere und was für ein Urteil am Ende verkündet werde. Eigentlich seien die mutmaßlichen Piraten doch froh, dass sie irgendwo auf der Welt in Haft säßen und damit rundum versorgt seien. Doch dieses Argument lässt Anwältin Gabriele Heinecke nicht gelten. Die Tatsache, dass ihr Mandant in Hamburg genug zu essen habe, bereite ihm ein schlechtes Gewissen. "Seine Frau und seine zwei kleinen Kinder in Somalia haben nämlich nicht genug – und das ist schon ein großer Grund, dass er sich Sorgen macht", so die Verteidigern.
Doch seine Familie wird der Angeklagte wohl nicht so schnell wiedersehen können. Denn die meisten Beteiligten gehen davon aus, dass sich der Prozess noch weiter hinziehen wird. Frühestens im Spätsommer wird mit einem Urteil gerechnet. Und bis dahin werden alle zehn Somalier weiter in Untersuchungshaft bleiben.
Autor: Jan-Philipp Scholz
Redaktion: Lina Hoffmann