"Ein gutes Jahr" - trotz Abgasskandal
2. Dezember 2016Viele hatten vermutet, dass Deutschlands Automobilbranche nach dem Abgas-Skandal in die Krise fahren könnte. Weit gefehlt, sagte der Präsident des Verbands der Automobilindustrie (VDA), Matthias Wissmann, in Berlin. "Das Vertrauen in die deutschen Produkte ist größer, als manche Kritiker glauben." Und die Absatzzahlen scheinen dem VDA-Präsidenten Recht zu geben. Die deutsche Autoindustrie hat im laufenden Jahr gute Geschäfte gemacht.
Der Umsatz der Hersteller stieg in den ersten neun Monaten um zwei Prozent auf 306 Milliarden Euro. In Westeuropa und in Deutschland ging der Absatz im laufenden Jahr um fünf Prozent, in China gar um 15 Prozent hoch. Das wirkt sich auch auf die Beschäftigung aus: Mit 814.000 Mitarbeitern erreichte die Mitarbeiterzahl bei Herstellern und Zulieferern den höchsten Stand seit 25 Jahren. Im November lag das Plus bei den PKW-Zulassungen in Deutschland bei zwei Prozent. Nur in den USA stagniert der Absatz deutscher Hersteller - ebenso wie er in den Krisenstaaten Brasilien und Russland stark rückläufig war. Für den VDA-Präsidenten bleibt unterm Strich festzuhalten: "Es ist ein gutes Automobiljahr". Der VDA-Präsident führt das vor allem auf eine gut geölte Konjunktur, niedrige Arbeitslosenzahlen und historisch niedrige Zinsen zurück.
Offensivstrategie: Mit Karacho aus der Dieselgate-Krise
All das erstaunt viele Branchenexperten, steht das vergangene Jahr doch auch im Zeichen des VW-Abgasskandals. Durch Betrugssoftware hatte insbesondere VW dafür gesorgt, dass seine Diesel-Fahrzeuge Emissions- und Schadstoff-Tests bestehen. "Das Image der Branche hat dadurch erhebliche Kratzer bekommen", räumte Wissmann ein. Er verteidigte die deutschen Dieselautos gleichzeitig aber gegen Kritik. Deren niedriger Kraftstoffverbauch (25 Prozent weniger als Benziner) und der um 15 Prozent niedrigere Kohlendioxidausstoß, würden weiter für "moderne" Diesel-Fahrzeuge sprechen. "Der Diesel wird gebraucht, um die Klimaschutzziele zu erreichen“, sagt Wissmann. Mit Hilfe der SCR-Technik werde auch weniger Stickoxid ausgestoßen. Für das kommende Jahr erwartet die Branche eine flachere Wachstumskurve, mit stabilen Absätzen in Westeuropa (13,9 Millionen Einheiten) und den USA (17,1 Millionen Einheiten) - und nur noch fünf Prozent Wachstum in China (24,2 Millionen Einheiten). Weltweit werden 2016 voraussichtlich 81,6 Millionen Autos (plus vier Prozent) verkauft. 2017 sollen nochmals gut zwei Prozent hinzukommen, auf dann 83,6 Millionen.
Besonders bei der Elektromobilität erwartet Wissmann ab 2017 eine deutlich steigende Nachfrage. Angekurbelt, auch durch eine neue Modellstrategie der Hersteller - die das Programm zur Imagereparatur "Offensivstrategie" taufen. Bis zum Jahr 2020 planen die deutschen Hersteller demnach, ihre Modellpalette bei Stromautos zu verdreifachen. Von derzeit 30 Modellen auf dann 100. Bis zu 40 Milliarden Euro soll in alternative Antriebstechnologien investiert werden. Knapp die Hälfte des Geldes fließt in die Entwicklung von Elektroautos, die andere Hälfte in die Verbesserung von Verbrennungsmotoren.
Beim VDA wehrt man sich vehement gegen ein Verbot von Verbrennungsmotoren ab dem Jahr 2030, wie es vor allem von grünen Verkehrspolitikern gefordert wird. Wissmann nennt das Überlegungen von "Fantasten", die "völlig verkehrt" seien. Man könne sich aus keiner Antriebsart verabschieden, denn der Verbrennungsmotor werde noch mehrere Jahrzehnte gebraucht. "Wir haben das Ziel, bei beiden Antriebsarten erfolgreich zu sein", sagt Wissmann etwas trotzig. Dass die deutschen Hersteller es, nach Jahren des Zögerns, jetzt aber ernst meinen mit der Elektromobilität, das will die Branche auch dokumentieren. Ein Verbund von Herstellern plant ein Schnellladenetz für Stromer an Hauptverkehrsachsen. Und auch in die Digitalisierung der Branche soll kräftig investiert werden (18 Milliarden bis 2020). All das soll den Preis für Elektroautos senken - und die Reichweite auf über 500 Kilometer steigern. "Wir rechnen damit, dass im Jahr 2025 etwa 15 bis 25 Prozent der Neuzulassungen elektrisch unterwegs sein werden", sagt Wissmann.
Brexit, Trump, China: Die globalen Risiken nehmen zu
Mit besonderer Sorge blickt die Branche auf Großbritannien und die Hängepartie rund um den Brexit: "Je länger die britische Regierung die Unsicherheit andauern lässt, desto größer wird die Investitionszurückhaltung deutscher Hersteller werden", heißt es vom VDA. Auch der unklare Kurs einer amerikanischen Regierung unter dem zukünftigen Präsidenten Donald Trump macht die Hersteller unruhig. Insbesondere die Ankündigung des designierten Präsidenten, Freihandelsabkommen zu kippen und amerikanische Produkte zu bevorzugen, schreckt die exportabhängige Branche auf. An dieser Stelle setzen der Verband und sein Präsident derzeit auf das Prinzip Hoffnung. "Wir werden versuchen, die Einsicht in die Vorteile des Freihandels auch für Amerika zu fördern", so Wissmann.
Im November legten die Autoverkäufe in den USA zum ersten Mal seit Monaten wieder zu. Interessant ist dabei, dass der vom Abgas-Skandal betroffene Hersteller VW im November satte 25 Prozent mehr Umsatz als im Vormonat machte. Analysten führen dies vor allem auf die geringe Verbreitung von Diesel-Fahrzeugen in den USA zurück. Während in Westeuropa knapp die Hälfte aller Fahrzeuge mit Diesel fahren, sind es in den USA nur drei Prozent.
Sorgen bereitet der Branche aber auch der chinesische Markt, auf dem die deutschen Hersteller traditionell stark vertreten sind. Die Überlegungen, verbindliche Quoten für Elektroautos einzuführen, bringt die deutschen Hersteller hier - mit einer derzeit sehr übersichtlichen Modellpalette für Stromer - in die Defensive. Beim VDA wird das auch als Kampfansage an die deutschen Hersteller verstanden. "Es ist zweifelsohne der Versuch, die westliche Konkurrenz in einem noch neuen Markt zu überholen." Die "Offensivstrategie" der Branche soll auch hier dabei helfen, den technologischen Vorsprung deutscher Hersteller zu sichern.