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Ein Gespräch mit Alice Schwarzer

22. Oktober 2011

Seit über 40 Jahren kämpft Alice Schwarzer für die Rechte der Frauen - mit einigem Erfolg. Jetzt hat die international bekannte Feministin ihre Biografie geschrieben.

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Alice Schwarzer, Gründerin und Herausgeberin der Frauenzeitschrift 'Emma', stellt auf der Frankfurter Buchmesse 2011 ihre Biografie 'Lebenslauf' vor (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

DW-WORLD.DE: Alice Schwarzer, ich glaube, es ist nicht übertrieben zu sagen, dass Sie die meist beschimpfte Frau Deutschlands sind. Und zwar nicht nur von Männern, sondern auch von Frauen - interessanterweise auch von Frauen aus der Frauenbewegung. Was waren denn die Angriffspunkte aus der Frauenbewegung?

Alice Schwarzer: Wenn wir Frauen uns einig wären - wir sind 52 Prozent der Weltbevölkerung -, dann bräuchten wir über den ganzen Quatsch gar nicht mehr zu reden. Eine amerikanische Feministin hat mal Anfang der 70er Jahre gesagt, der erste Schritt der Frauenbewegung ist die Versöhnung mit den Frauen. Nicht die mit den Männern. Die Frauen haben einfach eine jahrtausendealte Tradition von Konkurrenz und Rivalität. Jede andere Frau war für sie eine Bedrohung bei der Gunst eines Mannes, von der sie abhingen. Und sie haben, weil sie so lange ein unterdrücktes Geschlecht waren und teilweise noch sind, natürlich auch diese Selbstverachtung auf andere Frauen übertragen.

Das Archivbild vom 12.10.1968 zeigt Angehörige des 'Aktionsrates zur Emanzipation der Frau' des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS), die auf einer SPD-Veranstaltung in der Frankfurter Paulskirche zum 50. Jahrestag des Frauenwahlrechts mit Transparenten demonstrieren (Foto: dpa)
1968: Der "Aktionsrat zur Emanzipation der Frau" demonstriert in FrankfurtBild: picture-alliance/dpa

Was nun die Frauenbewegung angeht: Es war von Anfang an eine sehr breite Palette. Da gab es die unterschiedlichsten Standpunkte. Und diese Unterschiede sind nur in der allerersten Phase des Aufbruchs verdeckt gewesen. Dann gab es später linke Feministinnen, die sagten, der Klassenkampf ist das Wichtigste, danach kommt erst der Geschlechterwiderspruch. Oder es gab Lesbengruppen, die sagten, Homosexualität ist die Strategie zur Befreiung und Heterosexualität ist Verrat. Vor allem gab es in Deutschland eine sehr dogmatische Frauenbewegung. Das hat natürlich etwas mit dem deutschen Erbe zu tun. Auch die ganze linke Szene war sehr dogmatisch. Und das hat mich, als ich aus Paris zurück kam, schon schockiert, dass es nur immer richtig - falsch, schwarz - weiß, Freund – Feind gab. Das war ich aus Paris gar nicht gewohnt. Die Frauenbewegung dort hatte viele anarchische Züge. Wir kannten keine Geschäftsordnung und wir hatten auch Spaß an Widersprüchen. Damit bin ich ziemlich schnell angeeckt.

Es ging um heftige Emotionen dabei. Ich frage mich, wie Sie das ausgehalten haben?

Das fragen Sie zu Recht. Die Angriffe von außen, die können zwar auch unangenehm sein, klar. Ich komme hier an, rüttele an Säulen, stelle Bestehendes in Frage. Na klar kriege ich Ärger. Weh tut aber natürlich eigentlich nur das von innen. Das war sehr schwierig für mich. Nach meinem Buch "Der kleine Unterschied und seine großen Folgen", in dem es um die Funktion der Sexualität und der Liebe beim Machtverhältnis der Geschlechter geht - ein Thema, das heute wieder ganz angesagt ist - habe ich mich sofort in die Arbeit zurückgezogen.

Ich werde immer die 'Stimme der Frauenbewegung' genannt. Die arme Frauenbewegung (lacht). Die hat ja viele Stimmen, und es ist auf jeden Fall falsch, mit einer Stimme zu reden. Zu Recht haben einige dagegen protestiert. In Wahrheit war ich doch immer eher eine Einzelgängerin, die sich Kampfgefährtinnen gesucht hat, um bestimmte Aktionen und Sachen zu machen.

Die Publizistin Alice Schwarzer zeigt die erste Ausgabe ihrer Zeitschrift Emma vom Februar 1977, rechts, und das Heft zum dreißigjährigen Jubiläum der Frauenzeitschrift im Dezember 2006 (Foto: AP)
Die erste Ausgabe der "Emma" erschien im Februar 1977Bild: AP

Sie haben Wirkung gehabt. Nicht nur, dass viele Mädchen Alice genannt worden sind oder nach Ihrer eigenen Zeitschrift Emma. Sie haben, das kann man wohl sagen, international tatsächlich die Welt ein bisschen verändert. Gibt es jetzt eine solide Basis der Emanzipation oder haben Sie das Gefühl, dass es auch schon wieder Rückschläge gibt?

Wo großer Fortschritt ist, ist natürlich auch immer Rückschlag. Und die Verhältnisse sind auch komplizierter geworden. Als wir in den 70er Jahren aufbrachen, da durften die Frauen noch nicht ihren eigenen Beruf haben. Sie durften im Bundestag - wenn sie überhaupt da waren - keine Hosen anziehen (lacht). Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Seither ist sehr viel passiert, und wir haben ungeheure Erfolge errungen. Sicherlich ist die Frauenbewegung die soziale Bewegung, die am meisten erreicht hat im 20. und beginnenden 21. Jahrhundert. Aber gerade diese Erfolge verdecken manchmal die Gefahren.

Ich sehe mit Beunruhigung die Pornographisierung der gesamten Kultur. Wobei ich unter Pornographie jetzt nicht Erotik verstehe, sondern die tiefe Verknüpfung sexueller Lust mit Lust an Erniedrigung und Gewalt. Gleichzeitig gibt es in der Sexualität das, was die Sexualforscher den Trend zur kommunikativen Sexualität auch zwischen Männern und Frauen nennen - also eine gleichberechtigte, gegenseitige Sexualität. Beide Phänomene stehen nebeneinander.

Es gibt den religiösen Fundamentalismus. Da sind die Islamisten ganz weit vorn. Aber die Christen holen auf. Und nicht zufällig stehen dabei die elementarsten Menschenrechte der Frauen als erstes im Visier. Die Fortschritte, die wir erreicht haben sind nicht gesichert. Darum müssen wir uns kümmern.

Frauen und Mädchen am Rande einer Kundgebung zum Internationalen Frauentag 2005 in Berlin (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/ dpa/dpaweb

Was würden Sie jungen Frauen heute mit auf den Weg geben?

Nicht um jeden Preis geliebt werden wollen! Konfliktfreudig sein! Das ist ganz wichtig. Und da, wo Frauen mit Männern zusammen sind, Rechte auch einklagen. Karrierefrauen, Quote und das alles ist ja herrlich, da bin ich ja auch dafür und das betreiben wir mit der Zeitschrift Emma ja auch heftig. Aber es ist genauso wichtig, über die eigenen Interessen hinaus sich für die Welt zu interessieren und zu engagieren. Ein sinnvolles Leben führen: Das macht richtig Spaß!


Das Gespräch führt Gabriela Schaaf
Redaktion: Sabine Oelze


Alice Schwarzer: Lebenslauf. Kiepenheuer & Witsch, ISBN 978-3-462-04350-1, 464 Seiten, 22,99 Euro.

Hörbuch-Ausgabe: Lebenslauf. Gelesen von Alice Schwarzer. Argon Hörbuch. 6 CDs. 24,95 Euro.