Flüchtling lebt den "deutschen Traum"
22. August 2016"Mein Schirm ist wie Syrien - kaputt." Im Bonner Regen zeigt Nidal Rashow seinen schwarzen Humor. Als ich Nidal im März 2015 zum ersten Mal begegntete, lebte der syrische Flüchtling noch in einer Bonner Containerunterkunft. Der 30jährige lernte damals eifrig Deutsch, um möglichst bald eine Arbeit zu finden und auf eigenen Füßen zu stehen.
Inzwischen hat es Nidal geschafft, sich unabhängig zu machen. "Endlich habe ich alles, eine Arbeit, eine Wohnung und eine Freundin", sagt er strahlend auf dem Weg zum Haus des Mannes, der sich monatelang ehrenamtlich um ihn gekümmert hat.
Der Weg zur Selbständigkeit
Dieser Flüchtlingshelfer heißt Wedig von Heyden und war Generalsekretär des Wissenschaftsrates. In seinem Haus in einem hübschen Vorort von Bonn wird Nidal bereits erwartet und an der Haustür mit einer Umarmung begrüßt.
"Wedig war immer für mich da. Ich hatte großes Glück", sagt Nidal, während es sich die beiden im Wohnzimmer bequem machen. "Ohne ihn hätte ich vielleicht meinen Sprachkurs nicht abgeschlossen, vielleicht lebte ich heute noch in der Flüchtlingsunterkunft. Wir sagen, er ist unser Vater hier in Deutschland", fügt der syrische Kurde hinzu. Mit "wir" meint er sich und seine zwei Brüder, die mit ihm zusammen in Bonn leben. Wedig von Heyden hat alle drei unter seine Fittiche genommen.
Getrieben von dem sehnlichen Wunsch nach Arbeit suchte Nidal im Netz nach Stellenangeboten. Er bewarb sich schließlich bei der Bonner Stadtverwaltung, und durch seine Sprachkenntnisse in Arabisch, Kurdisch, Englisch und Deutsch bekam er dort einen Job. Er hilft heute jungen Flüchtlingen, sich in Deutschland zurechtzufinden.
"Wenn die Syrer mich sehen, kommen sie zu mir, nicht zuletzt, weil ich ihre Sprache spreche", sagt er.
Ein Ausnahmefall?
Nidals Fall ist wohl eher die Ausnahme als die Regel. Nach vorläufigen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit hatten von den fast 300.000 Flüchtlingen, die Ende Juni als arbeitssuchend gemeldet waren, 74 Prozent keine Berufsausbildung. Vertreter der Bundesagentur räumten jedoch ein, die Statistik sei noch nicht vollständig und die endgültigen Zahlen könnten Veränderungen im Bildungs- und Ausbildungsstatus der Migranten zeigen.
Nidals Betreuer Wedig von Heyden glaubt, dass die Zahl syrischer Flüchtlinge mit Berufsausbildung weit höher ist als erwartet. Die Verwaltung sei noch dabei, Daten zu sammeln. Seit er sich 2008 für die Betreuung von Flüchtlingen meldete, hat von Heyden mehr als einem Dutzend von ihnen geholfen, sich in Deutschland zurechtzufinden. Die meisten Migranten suchten Unterstützung bei der Wohnungssuche oder wenn es um einen Arztbesuch ging.
Nidal verdient heute tausend Euro im Monat, genug, um seine eigene Wohnung zu bezahlen. Er sagt, er führe ein angenehmes Leben. Inzwischen macht er eine Ausbildung zum Sozialarbeiter. Wenn sie abgeschlossen ist, wird das seinen Verdienst erhöhen. "Doch die Ausbildung raubt mir immer noch den Schlaf", gibt er zu, er finde es schwierig, dem Unterricht auf Deutsch zu folgen.
Doch insgesamt scheint Nidal sein Leben im Griff zu haben. Vor einem halben Jahr lernte er seine heutige Freundin, die Tschechin Radka, kennen. "Sie ist sehr hübsch, und ich mag sie sehr", sagt er. Sie sind sich in einer Schischa-Bar in Bonn begegnet und inzwischen zusammengezogen.
Migration und Terrorangriffe
So wie Nidal wollen die meisten Syrer so früh wie möglich arbeiten und sich in die deutsche Gesellschaft integrieren.
Doch sie beklagen sich, in den Behörden gingen oft ihre Unterlagen verloren und Beamte bestünden darauf, Deutsch selbst mit erst kürzlich eingereisten Flüchtlingen zu sprechen. Das Verhältnis zu den Deutschen bleibe oft "oberflächlich". Sie finden, man müsse mehr tun, damit sich Flüchtlinge und Deutsche besser kennenlernten.
Der Graben zwischen Flüchtlingen und Deutschen ist tiefer geworden, vor allem seit den Anschlägen von Nizza und Ansbach. Nidal hat zwar in Bonn noch keine Diskriminierung erlebt, aber es schmerzt ihn, dass Krieg und Terror ihn anscheinend überallhin begleiten.
"Ich glaube, als Syrer sind wir alle bedrückt, dass es diese Anschläge gegeben hat. Wir sind Krieg, Terrorismus und Vergewaltigung entflohen, um in dieses schöne Land zu ziehen, das uns mit offenen Armen aufgenommen hat. Wenn ich solche Sachen im Fernsehen sehe, dann schäme ich mich."
Das Leben des syrischen Kurden ist ein Schulbeispiel dafür, wie sich Flüchtlinge erfolgreich in Deutschland integrieren können. "Ich fühle mich vollkommen integriert. Ich brauche keine staatliche Hilfe. Ich lebe wie ein Deutscher: Ich studiere, ich habe Arbeit, und ich habe eine Freundin."