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Viele Coronavirus-Fälle bleiben unentdeckt

24. März 2020

Flächendeckende Tests, eine konsequente Isolation alle Infizierten und strikte Verhaltensregeln könnten das Coronavirus wirkungsvoll eindämmen. Das zeigen ermutigende Erfahrungen aus Südkorea.

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Coronavirus in Südkorea Drive-Through-Test
Bin ich infiziert, obwohl es mir gut geht? So herrscht schnell Klarheit!Bild: Imago Images/Xinhua/Wang Jingqiang

So unterschiedlich die Länder, so unterschiedlich sind auch die Strategien, mit denen die jeweiligen Regierungen das Coronavirus eindämmen wollen. Unterschiedlich bewerten die Gesundheitsbehörden etwa die asymptomatische Übertragung. Gewöhnlich zeigen Infizierte innerhalb von fünf Tagen erste Symptome. In Ausnahmefällen kann die Inkubationszeit offenbar bis zu drei Wochen betragen.

Nach Angaben der chinesischen Regierung könnte die Zahl der "stillen Träger", also der positiv Getesteten, die keine oder erst verzögert Symptome zeigen, bei rund 30 Prozent liegen, berichtet die South China Morning Post. 

Bestätigt werden die chinesischen Zahlen auch von einer Gruppe japanischer Experten unter der Leitung von Hiroshi Nishiura, einem Epidemiologen der Universität Hokkaido. Bei den aus Wuhan evakuierten japanischen Patienten liege der Anteil der symptomfreien Infizierten bei 30,8 Prozent.

Vieles deute darauf hin, "dass eine beträchtliche Anzahl von Fällen unterdiagnostiziert ist", schrieben die japanischen Experten in einem Brief an das International Journal of Infectious Diseases. 

Diese hohen Zahlen stehen im krassen Gegensatz zu Aussagen der WHO, wonach eine asymptomatische Übertragung "extrem selten" sei. Laut WHO machten asymptomatische Infektionen in der Europäischen Union nur ein bis drei Prozent der Fälle aus. 

Mehr dazu: Coronavirus: Lachen erlaubt!

Polymerase-Kettenreaktionsgerät am Fraunhofer Institut für Molekularbiologie und Ökologie in Schmallenberg
Bisher wird das Coronavirus vor allem durch Polymerase-Kettenreaktion (PCR) nachgewiesen. Bild: DW/F. Schmidt

Flächendeckende Tests auch ohne Symptome  

In den meisten europäischen Ländern und in den USA, wo nur diejenigen mit Symptomen getestet werden, steigt die Zahl der Infektionen weiterhin rapide an. In Deutschland zum Beispiel wird laut Bundesgesundheitsministerium  nur getestet, wer grippeähnliche Symptome hat UND sich in den letzten 14 Tagen in einer Region mit Coronavirus-Fällen aufgehalten hat ODER in den letzten 14 Tagen Kontakt zu einem bestätigten Coronavirus-Fall hatte. Wer symptomfrei ist und Kontakt zu einem Infizierten hatte, wird in Deutschland ohne Test in eine vierzehntägige Selbst-Quarantäne geschickt, die aber kaum kontrolliert wird.

In China und Südkorea dagegen, den ursprünglichen SARS-CoV-2-Hotspots, geht die Zahl der Neuinfektionen spürbar nach unten. In den beiden Ländern wird jeder getestet,  der engen Kontakt zu einem Infizierten hatte, unabhängig davon, ob er selber Symptome zeigt.

Wer dort positiv getestet wurde, wird unter Quarantäne gestellt und engmaschig per Telefon überwacht, selbst wenn er keine Symptome zeigt.

In Südkorea werden Verstöße gegen die Quarantäne bislang mit einer Geldstrafe von bis zu 3 Millionen Won ($2500) belegt. Ein neuer Gesetzentwurf sieht vor, Verstöße mit einer Geldstrafe von 10 Millionen Won und bis zu einem Jahr Gefängnis zu ahnden. 

Unkomplizierte Testmöglichkeiten 

Nach dem rasanten Anstieg Ende Februar konnte Südkorea die Zahl der Neuinfektionen deutlich reduzieren. Aktuell sind knapp 9000 der rund 50 Millionen Einwohner infiziert. Täglich kommen weniger als 100 Infektionen hinzu, 120 Südkoreaner sind bislang an COVID-19 gestorben.

Vielerorts gibt es Kontrollpunkte und Zelte, wo jeder sich schnell, unkompliziert und vor allem kostenlos auf das neue Coronavirus testen lassen kann. Bislang wurden so in Südkorea rund 300.000 Tests durchgeführt. Pro Tag können rund 20.000 Einwohner getestet werden, auch dank der landesweit mehr als 40 Drive-Trough-Coronatest-Anlagen, die mittlerweile auch andere Länder nachgemacht haben. 

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Coronavirus in Südkorea Drive-Through-Test
Mal eben kurz anhalten und eine Probe abgeben - so testete Korea gut ein halbes Prozent seiner Bevölkerung. Bild: AFP/Jung Yeon-je

Insgesamt wurden so in Südkorea im Vergleich viel mehr Menschen getestet als anderswo, nämlich 5,6 je 1000 Einwohner. Zum Vergleich: In Deutschland können laut Robert-Koch-Institut maximal 160.000 Corona-Tests pro Woche durchgeführt werden - das entspricht 1,9 pro 1000 Einwohner. In den USA wurden bislang insgesamt nur rund 30.000 Tests durchgeführt. 

Erfolgreiche Eindämmungspolitik 

Die Eindämmung gelang Südkorea, ohne dass es dort eine Ausgangssperre und drastische Reisebeschränkungen gab. Zwar ist das öffentliche Leben auch massiv heruntergefahren und alle sollen Abstand zueinander halten, aber noch will das Land nicht komplett dicht machen. "Südkorea ist eine demokratische Republik. Wir glauben, Abriegelungen sind keine vernünftige Wahl", zitiert das Fachmagazin "Science"  Kim Woo-Joo, einen Spezialisten für Infektionskrankheiten der "Korea University".

Stattdessen führte Südkorea "das weltweit ausgedehnteste und bestorganisierte Testprogramm durch, verbunden mit starken Anstrengungen, infizierte Personen zu isolieren, ihre Kontakte aufzuspüren und unter Quarantäne zu stellen", heißt es in dem "Science"-Artikel.

Durch die intensiven Tests wurden womöglich auch viele "stille Träger" im näheren Umfeld eines Infizierten entdeckt, bevor sie weitere Personen infizieren konnten. "Korea hat derzeit eine deutlich höhere Rate asymptomatischer Fälle als andere Länder, was vielleicht auf unsere umfangreichen Tests zurückzuführen ist", sagte Jeong Eun-kyeong, der Direktor des Koreanischen Zentrums für Seuchenkontrolle und Verhütung (KCDC), vergangene Woche. 

Weitreichende Befugnisse der Regierung

Daneben greift Südkorea tief in die Persönlichkeitsrechte seiner Bevölkerung ein. Um das Infektionsrisiko zu minimieren, erhalten die Bürger personalisierte Informationen zum Corona-Risiko in ihrer näheren Umgebung. Die lokalen Behörden haben Zugang zu detaillierten Informationen über die Infizierten samt Alter, Geschlecht und Bewegungsprofil.

Seit der MERS-Krise von 2015  hat die Regierung die gesetzliche Befugnis, unter anderem Mobiltelefon- und Kreditkartendaten zu sammeln, um Bewegungsprofile von positiv Getesteten zu rekonstruieren. Diese dann aber entpersonaliserten Daten werden auch an Apps weitergegeben, mit denen jeder erkennen kann, ob er möglicherweise einer infizierten Person begegnet ist. 

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DW Mitarbeiterportrait | Alexander Freund
Alexander Freund Wissenschaftsredakteur mit Fokus auf Archäologie, Geschichte und Gesundheit@AlexxxFreund