Brexit? Halb so wild
5. Januar 2018Keine Nein-Sager mehr!
Großbritannien hat in den vergangenen 40 Jahren die EU mit geformt und viele Veränderungen angestoßen, sagte der ehemalige Europa-Abgeordnete Alexander Graf Lambsdorff. Ohne die Briten, die ständig Nein sagten zu Gesetzesvorschlägen der EU-Kommission, werde manche Entscheidung einfacher, glaubt ein EU-Beamter. Ohne die britischen Blockierer im Ministerrat könnten sich viele andere EU-Staaten nicht mehr hinter dem großen Vereinigten Königreich verstecken. Sie müssten selbst Farbe bekennen. Ob Entscheidungen wirklich einfacher werden, bezweifelt der EU-Experte Janis Emmanouilidis von der Denkfabrik "European Policy Centre". Allerdings fielen viele Ausnahmeregelungen und der Rabatt bei den Mitgliedsbeiträgen für die teilweise störrischen Briten einfach weg.
Herrlich! Lasst uns ein Exempel statuieren!
Frankreich setzt sich dafür ein, die Briten möglichst schnell aus dem Klub hinauszuwerfen. Nach Meinung französischer Diplomaten muss es wirklich weh tun, damit andere euroskeptische Staaten davon abgehalten werden, dem britischen Beispiel zu folgen. Keine Milde mit dem "Deserteur" hat auch der Chef der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, gefordert. Die französische Parlamentsabgeordnete Elisabeth Guigou: "Wir müssen die Zentrifugalkräfte bekämpfen und zeigen, dass wir wirklich Konsequenzen aus einem Brexit ziehen." Rechtspopulisten, wie Marine Le Pen in Frankreich oder Geert Wilders in den Niederlanden, die die EU auflösen wollen, sollen abgeschreckt werden.
EU-Armee rückt näher!
Großbritannien hat bisher alle Versuche torpediert, eine eigenständige EU-Armee und schlagkräftige Militär-Mission ohne Beteiligung der NATO aufzubauen. Ohne die Bremser können EU-Militärstrategen nun frohlocken. Der EU-Gipfel vom Dezember 2017 hat -ohne die Briten - beschlossen, die ersten Schritte zu einer "Verteidigungsunion" einzuleiten. Auch die Staaten, die für mehr Protektionismus, Intervention des Staates in Wirtschaftsfragen und für eine lockere Haushaltspolitik eintreten, können sich freuen, wenn London nicht mehr dazwischenfunkt. Die EU dürfte östlicher und südlicher werden, wenn der Pol Großbritannien fehlt, meinen EU-Forscher in den Denkfabriken in Brüssel.
Eine Menge Jobs werden frei!
Zumindest langfristig werden britische Staatsbürger aus den Diensten der EU-Kommission, des Auswärtigen Dienstes, des Europäischen Parlaments, des Europäischen Gerichtshofes, des Rechnungshofes, des Wirtschaft- und Sozialausschusses und vielen anderen Institutionen ausscheiden. Es geht um mehrere tausend Stellen. Großbritannien hat zwar weniger Bedienstete als das viel kleinere Griechenland in Brüssel platziert, aber relativ viele Führungskräfte und Direktoren untergebracht. Allerdings wird der Personalwechsel viele Jahre in Anspruch nehmen, da die Arbeitsverträge nicht automatisch mit dem Ausscheiden Großbritanniens aus der EU enden.
Mehr feines Französisch, weniger holperndes Englisch!
Bis vor 15 Jahren war Französisch die Hauptsprache auf den Fluren der EU-Institutionen. Ein EU-Kommissar, der nicht fließend Französisch sprach? Früher undenkbar. Seit der Aufnahme der osteuropäischen Staaten hat sich das geändert. Plötzlich wurde Englisch zur Hauptsprache in der EU. Auch Deutsch hat an Bedeutung verloren. Wenn jetzt das größte Englisch-muttersprachliche Land wegbricht, gibt es vielleicht eine Chance, dass Französisch wieder zulegen kann. Darüber freuen sich französische Sprachinstitute und Kulturwissenschaftler in Brüssel. Allerdings ändert sich im praktischen Arbeiten für die Dolmetscher und Übersetzer in Brüssel nichts. Englisch bleibt vermutlich Arbeitssprache der EU, weil Irland neben Irisch und Malta neben Maltesisch auch Englisch als Landessprache führen. Allerdings hatte nur Großbritannien Englisch wirklich als Amtssprache der EU angemeldet. Da werde man eine Lösung finden, glaubt die EU-Europaabgeordnete Danuta Hübner.
Weniger Nervensägen!
Die EU-feindlichen britischen Abgeordneten werden aus dem Europäischen Parlament verschwinden. Besonders nervend waren für überzeugte Europäer die Tiraden einiger britischer Konservativer und die scharfen Angriffe der "United Kingdom Independence Party" (UKIP). Deren Chef Nigel Farage sei zwar ein technisch guter Redner, aber den "Unsinn, den er verzapft hat, werden wir nicht vermissen", sagte eine sozialdemokratische Abgeordnete, die lieber anonym bleiben möchte.