Ein bisschen für alle
6. Januar 2013Das erste Klatschen kommt zögerlich. "Gut, bravo" tönt es aus dem Kreis der Zuhörer. Zwischen Rollator und Stützstöcken trippeln Füße um die Rednerin, die, angelehnt an einen Milchlaster, niedrige Milchpreise und Ungerechtigkeit für ehrliche Arbeit anprangert. Im Halbkreis, vor dem Tegernseer Bergpanorama und kunstvoll verzierten Holzbalkonen umringt sie eine Ausflugsgruppe aus 40 Rentnerinnen und Rentnern vor dem Scheunentor der Käserei. Friseure, Bäcker, Monteure, sie alle wissen, was es heißt, handwerklich gearbeitet zu haben und am Ende festzustellen, dass das Geld nicht mehr reicht. Nach dem Arbeitsleben, im Rentenalter.
Den Ausflug in die Käserei hat der Verein Lichtblick e.V. organisiert. Die Vorsitzende des Vereins, Lydia Staltner, reagiert auf das immer drängendere Thema Altersarmut. "Es ist bis heute so, dass Alter kein schönes Thema ist. Frisches, Jugend ist immer schöner. Mit dem Alter konfrontiert sagen viele schnell: 'Das verdränge ich lieber.'"
Abwechslung und Hilfe gegen Armut
Lichtblick e.V. versucht seit knapp zehn Jahren, gesellschaftliche Mängel auszugleichen: Geld geben, wo vom Staat nicht genug kommt, Abwechslung bieten, wo sonst grauer Alltag herrscht. Das war der Antrieb für Lydia Staltner, 2003 den Verein Lichtblick e.V. in München zu gründen. 2007 hat ihr Angela Merkel dafür die Hand geschüttelt. Über die Jahre hat sich ein Stamm aus etwa 2000 Rentnerinnen und Rentnern gebildet, die ihr weniges Geld über private Hilfszahlungen aufbessern. Wer offen legt, dass er von einer kleinen Rente oder nur von der Grundsicherung leben muss, kann darauf hoffen, bei Lichtblick e.V. finanzielle Hilfe zu bekommen.
Inzwischen beteiligen sich einige der Bedürftigen selbst an sozialen Projekten: Vorlesestunden für Kinder, Nachbarschaftshilfe in Sozialwohnungssiedlungen. Die meisten kennen sich untereinander und tauschen sich gern über ihre Lebenssituationen aus.
Minijobs in der Rente
Hermann Heller steht etwas abseits der Gruppe. Sein Blick schweift immer wieder in Richtung Wallberg, dorthin, wo er als junger Mann oft beim Wandern war - lange bevor er 2007 vor einem Supermarkt zusammengebrochen ist. Mit 71 Jahren hatte er einen Schlaganfall, der ihn endgültig arbeitsunfähig machte. "Ich hatte so viele Arbeitsstellen, dass ich nie gedacht hätte, dass ich arbeitslos werden könnte. Da habe ich mich in meinen jungen Jahren sehr geirrt."
Nach dem Krieg ist er mit seinen Eltern von Stadt zu Stadt gezogen. Immer wieder neu auf Arbeitssuche, immer wieder Aushilfsjobs als Fliesenleger, bei verschiedenen Firmen auf Montage. Das ging lange Zeit gut. Dann wurden die Stellen weniger, die Besuche beim Arbeitsamt häufiger. "Mit 50, 60 war es ganz schlimm. Und ich habe gewusst: Wenn ich nicht bis 70 arbeite, bekomme ich wenig Rente. Und genauso ist es gekommen." Seitdem ist Hermann Heller regelmäßig beim Lichtblick e.V. anzutreffen. Einmal täglich kommt er ins eng verbaute Büro im Münchner Zentrum, um sich seine Saftflaschen abzuholen, seit knapp zehn Jahren ist das Teil von Hermann Hellers Alltag.
Gemeinsame Ausflüge
In der Käserei hat sich die Gruppe im Obergeschoss auf Esstische verteilt. Drei warme Gerichte stehen zur Auswahl. "Man geht aus dem Haus, muss nicht kochen, zieht sich was Gutes an, trifft Leute. Das ist ein gewonnener Tag", sagt Lioba Bichl. Sie ist seit zwei Jahren dabei. Seit gut zehn Jahren ist sie Rentnerin, nachdem sie vorher 43 Jahre als Friseurin gearbeitet hat. "Als ich in Rente gegangen bin, gab es noch die D-Mark. Und 1500 D-Mark waren eine relativ große Summe. Die 750 bis 800 Euro, die ich jetzt habe, sind dagegen gar nichts mehr, weil alles doppelt so teuer geworden ist."
Monika Gimpel kennt solche Geschichten. Als Seniorenbeauftragte bei Lichtblick e.V. kommen vor allem Frauen zu einem ersten Gespräch zu ihr: geschieden, häufig in Mutterschutz gewesen, in der Rente dann mit einer neuen Realität konfrontiert. "Meine Generation ist kurz nach dem Krieg zur Welt gekommen und in Zeiten der Vollbeschäftigung groß geworden. Viele haben sich überhaupt keine Gedanken gemacht über die Rente." Auf Monika Gimpels Schreibtisch landen die prall gefüllten Ordner mit Anträgen. Der Stapel wird von Woche zu Woche höher. "Wir können immer nur dagegenhalten und sagen: Stopp, die Armut ist da", sagt sie.
Die Gespräche ihrer Tischnachbarn zeugen von Empörung und Resignation, über Politiker und neureiche Nachbarn. "Einsamkeit ist die neue Armut", erzählt Lydia Staltner. "Leute erzählen uns: 'Ich komme mit meinem Geld zurecht, aber ich würde so gerne wegfahren, mal rauskommen.'"
Auf der steilen Treppe hinunter zum Hofladen helfen sich die Leute gegenseitig. Lange Wanderungen und Abenteuer machen ihre Körper nicht mehr mit. Doch unterwegs sein, raus aus dem Alltag, dieses Gefühl tragen die meisten in sich.