In Berlin wurden die "Russian Seasons" eröffnet
9. Januar 2019Alexandra Dovgan ist gerade mal 11 Jahre alt und sehr süß anzuschauen. Am 7. Januar, dem russischen Weihnachtstag, schwebte die Nachwuchspianistin, ein Produkt der immer noch exzellenten russischen Früherziehung für Hochbegabte, auf die Bühne der Berliner Philharmonie. Wie ein Weihnachtsengel, ganz in Weiß, läutete sie mit Bachs himmlischen Klängen den Start der "Russian Seasons Germany" in Deutschland ein.
Es folgte "Jolanta" - Pjotr Tschaikowskis letzte Oper, dargeboten von den überwiegend jungen Solisten des Petersburger Mariinsky-Theaters und dem Orchester des berühmten Hauses unter der Leitung von Valery Gergiev. Im zauberhaften Märchen wird die blinde Prinzessin Jolanta durch Liebe sehend.
Man könnte das Programm des Abends als symbolischen Versuch betrachten, die bösen Geister der Politik durch die verbindende und versöhnende Kraft der Kultur zu bannen. Die Musik soll wohl düstere Ereignisse wie die Annexion der Krim, den Donbass-Krieg oder den Schauprozess gegen den russischen Theatermacher Kirill Serebrennikov verdrängen.
Gastspielprogramm statt Kulturjahr
Kulturaustausch ist ja ein bewährtes Mittel, auch in unguten Zeiten miteinander im Dialog zu bleiben. Als das politische Klima noch weniger rau war, setzten Russland und Deutschland eher auf das Modell der bilateralen Kulturjahre: etwa 2002/2003 und dann wieder 2014/2015. Die Programme dazu wurden von beiden Ländern entwickelt und sahen neben Gastspielen auch gemeinsame Projekte vor.
Die "Russischen Saisons" sind dagegen eher eine Einbahnstraße: Das 2016 ins Leben gerufene und vom russischen Staat geförderte Programm sieht eine massive Präsenz russischer Kulturschaffenden in einem gezielt ausgewählten Land vor.
Nach Japan 2017 und Italien 2018 steht nun Deutschland 2019 im Mittelpunkt. Wobei Berlin wohl kurzfristig ins Visier der Strategen des russischen Kultusministeriums geraten ist, nachdem die USA und einige weitere Länder aus aktuellen Gründen als weniger passende Partner ausgeschieden waren.
Breite und Menge
Nun kommt Deutschland also in den Genuss des russischen Kulturexports, und zwar nicht nur in Großstädten wie Berlin oder München, sondern auch in Darmstadt, Zerbst oder etwa Quakenbrück. Nach Auskunft der "Russian Seasons", eines Subunternehmens des russischen Kultusministeriums, sind in den kommenden 12 Monaten 453 Veranstaltungen in 77 deutschen Städten geplant.
Das Programm liest sich wie ein Who's who der russischen Subventionskultur mit der ihr eigenen Mischung aus Tradition und Kommerz. Es wird viel getanzt – auf Brettern und auf Eis: da sind die Schüler der legendären Petersburger Waganowa-Ballettakademie, das Boris-Eifmann-Ballett oder die Eiskunstakrobaten des Musicals "Carmen on Ice" von Ilja Averbuch.
Groß angelegte Ausstellungsprojekte waren in der knappen Zeit nicht zu stemmen, dafür viele kleine, wie die Fotoausstellung "Petersburg aus Engelssicht. Blick von der Isaakskathedrale", die 2019 für Düsseldorf vorgesehen ist.
Die vom Kreml hofierten Dirigenten Wladimir Spiwakow und Juri Baschmet - letzterer vormals auch als großartiger Geiger und Bratschist berühmt - sind 2019 mit ihren Orchestern dabei. Und Altmeister Wladimir Fedossejew, der an der Spitze des Großen Sinfonieorchesters des Landes auftreten wird.
Valery Gergiev, inoffizieller Musikminister von ganz Russland, schweißt als überragende Künstlerfigur das etwas diffuse musikalische Programm zusammen. Der Maestro ist während des Jahres mehrfach mit seinen Musikregimenten zu erleben - in München, Baden-Baden, Frankfurt am Main und zuletzt in Berlin, wo das russische Kulturjahr unter seiner Leitung im Dezember 2019 dann auch ausklingen wird, begleitet von einem russischen Weihnachtsmarkt.
"Djagilew 2.0"
Gebrandet ist die Aktion etwas willkürlich mit der Bezeichnung für die berühmten "Saison Russe" des großen Impresarios Sergei Djagilew, der mit gewagten Ballett- und Opernaufführungen vor einem Jahrhundert ganz Paris begeisterte und die russische Kultur von der Peripherie in den Mittelpunkt des internationalen Kulturlebens katapultierte.
Der Unternehmer und Künstlerfreund Djagilew riskierte damals viel und kämpfte bisweilen mit der finanziellen Pleite. Die neue Auflage der "Seasons" ist finanziell vom russischen Staat abgesichert und in der Gesamtaussage eher risikoscheu: Das Wachtangow-Theater aus Moskau und das Alexandrinski-Theater aus Petersburg vertreten mit etwas blassen klassischen Produktionen enttäuschend harmlos die sprudelnde russische Theaterlandschaft.
Eine Kulturinstitution wie das Gogol-Zentrum des wohl bedeutendsten russischen Theatermachers Kirill Serebrennikov, der seit über einem Jahr wegen Verdachts auf Veruntreuung staatlicher Gelder unter Hausarrest steht, sucht man in der Liste vergebens. Keiner der deutschen Partner habe sich für ein Gastspiel von ihm interessiert, so die russische Vizeministerpräsidentin Olga Golodez bei der Programmvorstellung in Berlin.
Hatte die deutsche Seite bei der Programmgestaltung überhaupt ein Wort mitzureden? "Das war von Projekt zu Projekt zu Projekt unterschiedlich", so die diplomatische Antwort von Mikhail Schwydkoi, dem außerordentlichen Vertreter von Präsident Putin in Fragen der internationalen kulturellen Zusammenarbeit.
So viel sei verraten: Im russischen Budget sind für die "Russian Seasons" 120 Millionen Rubel vorgesehen, knapp 1,5 Millionen Euro. Man braucht kein Experte zu sein, um zu verstehen, dass man damit nicht Hunderte von Kulturveranstaltungen finanzieren kann.
Und wer deckt den Fehlbetrag? Schwydkoi lächelt und verweist auf die bekannten Akteure vom Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft und deren russische Partner. Auch so ein Klassiker.