"Ein Aufschub verlängert die Unsicherheit"
19. März 2019Für EU-Chefunterhändler Michel Barnier (Artikelbild) ist eine Verschiebung des ursprünglich für den 29. März geplanten Brexits noch keine ausgemachte Sache. Die 27 verbleibenden EU-Staaten müssten die Gründe und den Nutzen einer solchen Verlängerung genau abwägen, sagte Barnier in Brüssel. Ein Aufschub verlängere auch die Unsicherheit.
Entscheidend sei ein konkreter Plan aus London. Sollte Premierministerin Theresa May einen größeren Aufschub planen, müsse dies auch mit "etwas Neuem" verbunden sein, verlangte Barnier. Er sprach dabei von "einem neuen Ereignis, einem neuen politischen Prozess". Für diesen Fall war in der Vergangenheit über Neuwahlen oder ein zweites Brexit-Referendum spekuliert worden.
Brief nach Brüssel
Ein Sprecher der britischen Regierungschefin teilte derweil mit, May sei fest entschlossen, einen Weg zu finden, den Willen des britischen Volkes möglichst rasch umzusetzen. Dazu braucht Downing Street 10 nach eigener Einschätzung aber erst einmal mehr Zeit. Spätestens am Mittwoch werde ein Brief nach Brüssel abgehen, in dem May um einen Brexit-Aufschub bitte. Zur Dauer der erhofften Verlängerung könne er nichts sagen, so der Sprecher.
Nach Informationen der Sender BBC und ITV soll es um drei Monate gehen - also einen Zeitraum bis Ende Juni. In anderen Berichten ist von einem Jahr die Rede; auch hier ist also alles ungewiss. Sicher ist nur: Adressat des Schreibens ist EU-Ratspräsident Donald Tusk, der am Donnerstag und Freitag den EU-Gipfel in Brüssel leiten wird. Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union mit Ausnahme Mays müssten dann einen Brexit-Aufschub einstimig billigen.
Kette für das Königreich?
Um aus der Sackgasse herauszukommen, bot Barnier nun nochmals an, ein Zusatzpapier zum Brexit-Deal "ehrgeiziger" zu fassen. Der eigentliche Vertragstext, das hatte die EU immer wieder betont, soll nicht mehr angefasst werden. Die Vereinbarungen zu den künftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien, also eine politische Erklärung, die dem Vertrag beigegeben wird, könnten dagegen weiter verändert werden. Den Brexit-Hardlinern dürfte das jedoch kaum genügen, um im Parlament die Seite zu wechseln.
Dahinter steckt der festgefahrene Streit um den sogenannten Backstop: eine Notlösung, welche die Grenze zwischen dem EU-Mitglied Nordirland und dem britischen Nordirland offen halten soll, von der eingefleischte Brexit-Befürworter indes befürchten, sie kette das Königreich dauerhaft an die EU.
400 Jahre alte Regeln
Das britische Unterhaus hatte den mit Brüssel ausgehandelten Ausstiegsvertrag vor einer Woche abgelehnt - zum zweiten Mal hintereinander. Eine dritte Abstimmung über die gleiche Vorlage sei nicht möglich, erklärte Parlamentssprecher John Bercow am Montag; das verbiete eine mehr als 400 Jahre alte Regel. Damit machte Bercow der Regierung, die den Deal erneut den Abgeordneten vorlegen wollte, unerwartet einen Strich durch die Rechnung.
"Das ist ein Moment der Krise für unser Land", räumte Brexit-Minister Steve Barclay ein. Die Regierung prüfe aber Optionen, um ein drittes Votum doch noch möglich zu machen.
Während auf der Insel weiterhin alles offen ist, mahnen die europäischen Partner zur Eile. "Liebe Freunde in London, bitte liefert - die Uhr tickt", sagte Deutschlands Europa-Staatsminister Michael Roth in Brüssel. Und der schwedische EU-Minister Hans Dahlgren rief mit geradezu britischer Höflichkeit in Erinnerung: "Wir haben in der EU mit einer ganzen Menge anderer Dinge zu tun." Als da wären: Jobs, Sicherheit, Umwelt und Klima. "Lasst es uns anpacken."
jj/qu (dpa, afp, rtr)