Eiff: "Russland will seine Position in Südosteuropa stärken"
23. November 2014DW: Viele Beobachter gehen davon aus, dass Europa durch die immer tiefere Kluft zwischen Russland und dem Westen in eine neue Ära des Kalten Krieges eintritt. Was ist zu erwarten, wenn der Dialog scheitert?
Hansjörg Eiff: Der "Kalte Krieg" zwischen West und Ost ist seit über 20 Jahren zu Ende. Es hat wenig Sinn, Formeln, die Vergangenes bezeichnen, auf die Gegenwart anzuwenden. Heute geht es darum, dass die Regeln des friedlichen, gewaltfreien Zusammenlebens beachtet werden, auf die sich die Mitglieder der KSZE (Konferenz zur Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) seinerzeit geeinigt haben. Zu der Politik, die Ukraine-Krise durch Verhandlungen zu regeln, gibt es keine Alternative, auch wenn dies einen längeren Atem braucht. Russland kann kein Interesse an einer Verfestigung der gegenwärtigen Lage haben, in der seine Beziehungen zu Europa und Nordamerika erheblich belastet sind.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die russische Politik gegenüber dem Westbalkan öffentlich in Frage gestellt und in diesem Kontext insbesondere Serbien erwähnt. Ein vertrauliches Papier, das das Magazin Der Spiegel veröffentlicht hat, deutet auf eine wachsende Besorgnis in Berlin in Bezug auf Russlands Balkan-Politik. Teilen Sie diese Sorgen?
Serbien pflegt einerseits traditionell enge Beziehungen zu Russland, andererseits strebt es die Mitgliedschaft in der EU an. Man glaubt, beide Ziele gleichermaßen verwirklichen zu können. Sollten Bemühungen um eine Erweiterung russischen Einflusses, wie sie in letzter Zeit erkennbar sind, die Annäherung Serbiens an die EU behindern, wäre dies inakzeptabel.
Wie würden Sie Russlands Interessen in dieser Region beschreiben? Und welche politische Linie verfolgt Berlin in Bezug auf den Balkan?
Es fällt ins Auge, dass Russland Anstrengungen unternimmt, seinen politischen Einfluss und seine wirtschaftliche und kulturelle Position in Südosteuropa zu stärken. Am deutlichsten wird dies in Serbien, Russlands traditionell wichtigstem Partner in der Region. In den jugoslawischen Nachfolgekriegen unterstützte Russland Serbien politisch. Bis heute verpflichtet es sich Serbien durch Unterstützung in der Kosovo-Frage. (Anm. d. Red.: Serbien erkennt die Unabhängigkeit seiner ehemaligen Provinz Kosovo nicht an, Russland blockierte die Aufnahme Kosovos in die UN) Neuerdings wurde eine "strategische Partnerschaft" vereinbart, in deren Rahmen gemeinsame Militärübungen stattfinden und Aufklärungsinformationen und Personal ausgetauscht werden. Die serbische Energieversorgung wird weitgehend durch russische Unternehmen kontrolliert. Russland dringt auch in den Bankensektor vor. Ein bilaterales Freihandelsabkommen erleichtert den Warenaustausch. Alte kulturelle Bindungen, die auf dem gemeinsamen orthodoxen Bekenntnis beruhen, werden aktiviert. Insbesondere bei der serbischen Rechten kann sich Russland auf zahlreiche Anhänger stützen. Das offizielle Belgrad hat Putin bei der Feier des Jahrestags der Befreiung vom Faschismus im vergangenen Monat einen grandiosen Empfang bereitet. Etwas weniger ausgeprägt, aber doch spürbar ist die russische Präsenz in Montenegro. In Bosnien und Herzegowina unterstützt Russland den Präsidenten der Republika Srpska, der sich Bemühungen widersetzt, den bosnischen Gesamtstaat regierbarer zu machen.
Deutschland setzt sich für die Integration Serbiens in die EU wie bei allen anderen Nachfolgestaaten Jugoslawiens ein, sofern die Voraussetzungen vorliegen. Dies ist die deutsche Politik seit dem Ende Jugoslawiens. Im Falle Serbiens gehört zu den politischen Voraussetzungen die definitive Einigung zwischen Serbien und Kosovo. Ferner wird Serbien auch gewährleisten müssen, dass es sich durch Russland in seinem EU-Engagement nicht behindern lässt. Das russische Verhalten in der Ukraine-Krise und die Entwicklung der serbisch-russischen Beziehungen rechtfertigen die Warnung.
Der Balkan wurde in den vergangen Jahrhunderten immer wieder zum Schauplatz von Konflikten zwischen Großmächten. Könnte das auch im Fall der gegenwärtigen Krise passieren?
Auf dem Balkan droht kein Krieg zwischen Großmächten wie 1914 oder 1941. Wie man sieht, ist ein Ringen um Einfluss deswegen nicht ausgeschlossen. Friedlicher Wettbewerb ist vom Grundsatz her zu bejahen, wenn er der Region nützt und das Verhältnis zwischen den Konkurrenten dabei intakt bleibt.
Der Diplomat und Jurist Hansjörg Eiff war von 1988 bis 1992 deutscher Botschafter in Jugoslawien.