Ehemalige Guerrillera wird Präsidentin
1. November 2010Anders als ihre politischen Wurzeln vermuten lassen, gilt die frühere Guerilla-Kämpferin Dilma Rousseff als Vertreterin eines pragmatischen Linkskurses, der eine investorenfreundliche Wirtschaftspolitik mit umfassenden Sozial- und Infrastruktur-Programmen verbindet. Allerdings pocht Rousseff auf eine stärkere Rolle des Staates in Schlüsselindustrien – allen voran bei den Rohstoffschätzen des Landes, zu denen auch gigantische, aber schwierig zu erschließende Ölfelder tief unter dem Meeresgrund zählen.
Dilma Vana Rousseff wurde am 14. Dezember 1947 in Belo Horizonte geboren. Die Tochter eines bulgarischen Einwanderers hat Wirtschaftswissenschaften studiert und ist erst seit 2001 Mitglied der Arbeiterpartei Partido de los Trabalhadores (PT).
Revolutionäre Vergangenheit
In den sechziger Jahren schloss sich Dilma Rousseff der Guerilla-Gruppe "Vanguardia Armada Revolucionaria Palmares" (Bewaffnente Revolutionäre Avantgarde Palmares) an, die gegen die Militärdiktatur in Brasilien (1964-1985) aktiv war. Unter dem Decknamen Stella koordinierte sie mehrere Widersandszellen und kümmerte sich um die Logistik. Auf das Konto der Gruppe gingen zahlreiche Banküberfälle, Bombenanschläge, Entführungen sowie Attentate. Rousseff selbst hat wiederholt betont, sie habe nie einen Schuss abgefeuert. Während einer dreijährigen Haft wurde sie von den Schergen der Militärjunta gefoltert.
Steile politische Karriere
Nach ihrer Freilassung 1973 studierte sie Wirtschaftswissenschaften an der Universität von Porto Alegre, wo sie 1977 ihren Abschluss machte. Zu Studentenzeiten lehrte sie ihre Kommilitonen die Theorie des Marxismus. Nach der Militärdiktatur half sie zunächst ihrem damaligen Mann, den sie während ihrer Zeit bei der Guerilla kennengelernt hatte, beim Aufstieg in die Landespolitik; kurz darauf begann sie ihre eigene Karriere in der damaligen Arbeiterpartei Brasiliens, die sich später in Demokratische Arbeiterpartei Brasiliens umbenannte.
Sie war zunächst Energiestaatssekretärin auf Landesebene in Rio Grande do Sul. Als die Regierungskoalition zerbrach, verließ sie die Demokratische Arbeiterpartei und wechselte 2001 zur PT, zu deren Gründervätern Lula da Silva zählt. Kurz vor seinem Amtsantritt empfing der frisch gewählte Präsident Lula da Silva sie 2003 in Brasilia. Ihre Ausführungen über die Mängel im brasilianischen Energieversorgungssystem überzeugten Lula so nachhaltig, dass er sie zur Ministerin für Bergbau und Energie ernannte.
Dilmas große Stunde schlug mit der "Mensalao"-Krise, die 2005 beinahe der gesamten Regierung ihr Mandat kostete. Ein Politiker der Regierungskoalition hatte gegenüber der Presse über ein Schmiergeld-Schema geplaudert, mit dessen Hilfe sich die Regierung die im Kongress fehlenden Stimmen kaufe. Im Regierungslager stürzte daraufhin eine Parteigröße nach der anderen. Daraufhin wechselte Dilma Rousseff an die Spitze der Staatskanzlei. In den vergangenen Jahren war sie zudem für das wichtigste Investitionsprogramm der Regierung mit einem Volumen von umgerechnet 200 Milliarden Euro verantwortlich. Das sicherte ihr viel Aufmerksamkeit.
Temperamentvolle Technokratin
Dilma, wie sie sich in der Öffentlichkeit nennen lässt, gilt als gradlinig und ist bekannt für ihr explosives Temperament. Sie sei eine von Zahlen besessene Technokratin, attestieren ihr Kritiker wie Bewunderer gleichermaßen. Nicht von ungefähr hat sie den Spitznahmen "Power-Point-Königin".
Im Wahlkampf hat Dilma von den hohen Popularitätswerten des amtierenden Präsidenten Lula profitieren können, der bei über 80 Prozent der Brasilianer auf Zustimmung stößt. Der Präsident wiederum hat im Wahlkampf keine Gelegenheit ausgelassen, seine Kanzleramtschefin zu loben.
Schicksalsschlag gemeistert
Im Wahlkampf gab sich die 62-Jährige als "sorgende Mutter der Nation". Die zweimal geschiedene Politikerin ist Mutter einer Tochter aus ihrer ersten Ehe und ist gerade zum ersten Mal Großmutter geworden. Im vergangenen Jahr erkrankte sie an Lymphdrüsenkrebs. Nach einer erfolgreichen Operation kehrte sie noch während der Chemotherapie auf die politische Bühne zurück, tauchte regelmäßig, mit Perücke, im Fernsehen auf. Ihre Krankheit war in Brasilien ein Medienereignis ersten Ranges und hat ihr zusätzliche Sympathiepunkte eingebracht.
Politisch ist sie jedoch bislang konkrete Perspektiven und Aussagen schuldig geblieben. Daher befürchten viele Kritiker, Lula könnte nach dem Ende seiner Amtszeit aus dem Hintergrund weiter die Fäden ziehen und die Präsidentin Dilma Rousseff wie eine Marionette steuern.
Autorin: Mirjam Gehrke (dpa, kna, rtr)
Redaktion: Christian Walz