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Ecuador vor Zerreißprobe

Angela Göpfert18. März 2006

In Ecuador halten die Proteste gegen ein Freihandelsabkommen mit den USA an. Das könnte zur Destabilisierung des Landes führen und den Zerfall der Andengemeinschaft weiter beschleunigen, warnen Experten.

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Die Indios in Ecuador sind über das Freihandelsprojekt entzürntBild: AP

Ecuador steht vor einer Zerreißprobe. Für den 23. März 2006 ist eine letzte Verhandlungsrunde zwischen den USA und dem Andenland über ein Freihandelsabkommen geplant. Doch trotz eines Appells von Präsident Alfredo Palacio setzen die Indios ihre Proteste gegen das Abkommen fort. Claudia Zilla, Lateinamerika-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), warnt deshalb im Gespräch mit DW-WORLD vor einer "Destabilisierung" Ecuadors und einer "schweren Regierungskrise".

Auch Palacio selbst ist sich des Ernsts der Lage bewusst: Zum "Schutz der Demokratie" müssten sich alle Beteiligten verantwortungsbewusst zeigen und Ruhe bewahren. Nur so könne die fragile Demokratie ein halbes Jahr vor der Parlamentswahl gesichert werden. Am Mittwoch (15.3.2006) war bereits Innenminister Alfredo Castillo zurückgetreten, nachdem er vor "einem neuen Putsch" gewarnt hatte.

US-Ölfirmen zählen zu den Profiteuren eines Freihandelsabkommens

Proteste der Indios in Ecuador gegen das Freihandelsabkommen
Präsident Alfredo Palacio ruft Ecuadors Bevölkerung zur Ruhe aufBild: AP

"Die Proteste der Indios richten sich nicht gegen einzelne Inhalte des Freihandelsabkommens, sondern vielmehr gegen das, was das Freihandelsabkommen symbolisiert: mehr Globalisierung und ein enges wirtschaftliches Zusammenrücken mit den USA", ist Lateinamerika-Expertin Zilla überzeugt. So fordert die Konföderation indigener Nationalitäten Ecuadors unter anderem von ihrer Regierung, die an das US-Unternehmen Occidental Petroleum erteilte Ölförderlizenz zu widerrufen.

Ecuador ist der fünftgrößte Erdölproduzent Lateinamerikas, Öl das wichtigste Exportgut. Insofern würden auf Seiten der USA vor allem Ölfirmen von einem Freihandelsabkommen mit Ecuador und den dadurch verbesserten Investitionsbedingungen profitieren.

Bilaterale Abkommen sind für USA "ungeliebte Ersatzstrategie"

Proteste der Indios in Ecuador gegen das Freihandelsabkommen
Indios demonstrieren in Quito gegen das FreihandelsabkommenBild: AP

Dennoch ist das avisierte Freihandelsabkommen mit Ecuador auch für die USA nur eine "second best"-Lösung: Ursprünglich hatten die USA vor, mit der gesamtamerikanischen Freihandelszone "Free Trade of the Americas" (FTAA) einen "gemeinsamen Markt von Alaska bis Feuerland" zu schaffen.

Doch auf dem IV. Amerika-Gipfel im argentinischen Mar del Plata im November im November 2005 hatte der venezolanische Präsident Hugo Chávez das Proejkt FTAA für "tot und begraben" erklärt. Die bilateralen Abkommen sind nur eine "ungeliebte, mühselige Ersatzstrategie für das US-Prestigeobjekt FTAA", sagt Politikwissenschaftlerin Zilla.

Andengemeinschaft löst sich auf

Landkarte der Andenländer
Zur Andengemeinschaft zählen Bolivien, Ecuador, Kolumbien, Peru und VenezuelaBild: AP Graphics/DW

Zugleich treiben die USA mit diesen bilateralen Handelsabkommen, die sie unter anderem bereits mit Kolumbien und Peru abgeschlossen haben, den Zerfall der Andengemeinschaft weiter voran. Durch die Ländergemeinschaft aus Bolivien, Ecuador, Kolumbien, Peru und Venezuela zieht sich ein tiefer Riss, der auf zwei diametral entgegen gesetzten wirtschaftlichen Integrationsprozessen beruht: Während Kolumbien und Peru bereits Freihandelsabkommen mit den USA abschlossen, sind Bolivien und Venezuela Mitglieder des "Gemeinsamen Markt des Südens" (Mercosur).

Vor allem der Beitritt Venezuelas habe die Position des Mercosurs gestärkt, die auf eine Entwicklung des Binnenmarktes in Lateinamerika setzt, sagt Lateinamerika-Expertin Zilla.

EU muss ihre Lateinamerika-Politik "grundlegend überdenken"

Dieser Auflösungsprozess der Andengemeinschaft hat auch Folgen für die Lateinamerika-Politik der Europäischen Union: Diese müsse grundlegend überdacht werden, fordert SWP-Expertin Zilla. Ecuador strebt, wie seine Partner in der Andengemeinschaft, ein Assoziations- und Freihandelsabkommen mit der EU an. Die EU ist aber nicht bereit, mit Einzelstaaten zu verhandeln, sondern nur mit der Andengemeinschaft.

Doch angesichts der Heterogenität der Fünf-Länder-Gruppe betont Zilla: "Ein Assoziierungsabkommen zwischen EU und Andengemeinschaft ist nicht mehr tragbar. Man kann die Andenländer nicht mehr als Einheit betrachten, sondern muss differenzierte Strategien für die einzelnen Länder entwickeln!"