ECOWAS: Westafrikas Bündnis-Baustelle
10. August 2023Die Militärjunta im Niger hat eine neue Regierung für das westafrikanische Land verkündet.
Die Putschisten, die Ende Juli die Macht übernahmen, verlasen dazu im staatlichen Fernsehen eine
Namensliste mit 21 Personen, die Minister werden sollen. Gleichzeitig beschäftigt sich die westafrikanische Staatengemeinschaft (ECOWAS) mit der Frage, wie eine Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung im Niger durchgesetzt werden kann.
Doch welche Möglichkeiten hat das Bündnis überhaupt, nachdem binnen weniger Jahre vier Länder in die Hände von Putschisten fielen? Ein Überblick.
Ein wichtiges Wirtschaftsbündnis
Die ECOWAS (französisch; portugiesisch CEDEAO) gehört mit 15 Mitgliedsstaaten zu den größeren regionalen Wirtschaftsgemeinschaften in Afrika. Rund 400 Millionen Menschen leben in den dazugehörigen Ländern auf etwas mehr als fünf Millionen Quadratkilometern. Gegründet wurde die ECOWAS 1975 in Nigeria mit der Unterzeichnung des Vertrags von Lagos. Heute gilt ein überarbeiteter Vertrag, der von Cotonou (Benin). In ihrer Ausdehnung entspricht das heutige Bündnis etwa den französischen Kolonien in Westafrika, es umfasst aber auch zwei ehemalige portugiesische Kolonien und eine Handvoll anglophone Länder, darunter die führende afrikanische Volkswirtschaft Nigeria.
Auf ihrer Website zeichnet die ECOWAS die Vision einer Region "ohne Grenzen", die ihrer Bevölkerung "Zugang zu ihren überquellenden Ressourcen" gibt und ein Leben "in Würde, in Frieden und Sicherheit" ermöglicht. Besonderen Stellenwert nimmt der gemeinsame Wirtschaftsraum ein: Die acht frankophonen Länder der Region haben mit dem "Franc CFA" eine gemeinsame Währung, die - wie ihr zentralafrikanisches Pendant - an den ehemaligen französischen Franc und damit an den Euro gekoppelt ist. Seit Jahren werden eine übergreifende Währungsunion aller ECOWAS-Länder und eine Entkopplung vom Euro diskutiert - doch an der Umsetzung hapert es.
Friedenssicherung in Westafrika, Ohnmacht gegen den Terror
Auch Einsätze zur Friedenssicherung sehen die Regularien vor. In den 1990er Jahren entsandten die ECOWAS-Länder Truppen zur Beendigung der Bürgerkriege in Liberia und Sierra Leone. Auch in der Elfenbeinküste, in Guinea-Bissau und Mali intervenierte die ECOWAS. Als Gambias Präsident Yahya Jammeh sich 2017 weigerte, die Macht an seinen demokratisch gewählten Nachfolger Adama Barrow zu übergeben, schickte das Bündnis ebenfalls Soldaten.
Seit rund einem Jahrzehnt stellt der islamistische Terror im Sahel die Region vor neue Herausforderungen. Zahlreiche Militäroperationen mit internationaler Beteiligung konnten das Problem nicht eindämmen. Die Bevölkerung der armen Sahelländer Mali, Burkina Faso und Niger ist desillusioniert, zwischen 2020 und 2023 haben sich mehrfach Militärs an die Macht geputscht.
2022 einigten sich die ECOWAS-Länder, eine dauerhafte gemeinsame Truppe aufzustellen. Doch kleinere Bündnisse mit Beteiligung von ECOWAS-Ländern, darunter das G5-Bündnis der Sahelstaaten, zeigen wenig Erfolg. Die Schlagkraft der geplanten Truppe werde entscheidend von den Finanzen abhängen, mahnen Experten: "Es geht nicht allein darum, so eine Truppe aufzustellen", sagt der Islamforscher Abdoulaye Sounaye vom Leibniz-Zentrum Moderner Orient, "sondern darum, sie effektiv zu machen: Wie greift sie ein, lässt sie sich auf Kampfhandlungen ein, wie wird sie finanziert?" Eine freiwillige Finanzierung durch die Mitgliedsstaaten habe sich bisher nicht bewährt.
Welche Druckmittel hat die ECOWAS?
Die Krise der Sahel-Staaten ist auch eine Krise der ECOWAS: Nach Mali und Burkina Faso haben jetzt auch im Niger Putschisten die Macht übernommen. Und auch das südwestlich angrenzende Guinea wurde Schauplatz eines Putsches. Als Wirtschaftsbündnis hat die ECOWAS in solchen Fällen verschiedene Sanktionsmöglichkeiten.
So kann sie die Bewegungsfreiheit einschränken, indem sie Grenzen schließt und Flüge streicht. Insbesondere im CFA-Währungsraum kann sie über die Währungsunion auch Konten sperren und Geldflüsse blockieren. Eines der schärfsten Mittel ist die Suspendierung von Mitgliedern. So sind zurzeit alle vier Putschregierungen suspendiert. Doch damit ist der Spielraum weitgehend erschöpft. Bounty Diallo, Sozialwissenschaftler in der nigrischen Hauptstadt Niamey, weist darauf hin, dass die Sanktionen in Mali und Burkina Faso ins Leere gelaufen seien und trotz des wirtschaftlichen Drucks für Regierung und Bevölkerung kein Umdenken bewirkt hätten.