Marozsan: Neuer Fokus
7. Juni 2019Wenn die 18-jährige WM-Debütantin Klara Bühl das "Küken" ist, wie sie sich selbst beschreibt, dann ist Dzsenifer Marozsan die Mutterhenne im DFB-Frauenteam. Als das ungleiche Paar nach der DFB-Pressekonferenz am Donnerstag zusammentrat, bekam Bühl von Marozsan einen beruhigenden Klaps auf den Rücken. Manchmal flößen Pressetermine mehr Respekt ein als ein Länderspiel selbst.
Je näher der Auftakt der deutschen Mannschaft bei Frauen-Weltmeisterschaft gegen China rückt, umso mehr übernimmt Marozsan, obwohl sie gerade erst 27 Jahre alt ist, die Rolle der "Alterspräsidentin". Sie strahlt Ruhe und Gelassenheit aus und übernimmt Verantwortung in einem Team, in dem es einige neue Gesichter gibt.
"Ich helfe ihnen nur, sich auf dem Platz zu zeigen, und ich gebe mein Bestes, um ein wirkliches Team zu formen und zu gewinnen", sagte Marozsan der DW im deutschen Trainingslager bei Rennes. "Ich will vorwärts gehen. Ich hoffe, die jungen Spielerinnen sehen mich an und folgen mir."
Die Nummer "10" Deutschlands ist zwar nicht mehr Kapitänin, eine Position, die sie unter der ehemaligen Trainerin Steffi Jones innehatte. Aber auch ohne die Binde genießt sie viel Respekt, gerade bei den jungen Spielerinnen wie Klara Bühl: "Man kann sich eine dicke Scheibe davon abschneiden, wie sie sich verhält und wie ruhig sie ist."
Vorbild aus Erfahrung
Obwohl Marozsans Zeit als Nachwuchsspielerin lange her ist, kann sie sich immer noch gut in die jüngeren Teamkolleginnen hineinversetzen. Sie erinnert sich gut an ihr internationales Debüt im Jahr 2010, damals ebenfalls im Alter von 18 Jahren, als sie neben zwei Legenden des deutschen Spiels - Birgit Prinz und Inka Grings - gegen Australien auf dem Platz stand.
"Es war hart, weil viele großartige Spieler im Team waren, und ich war wirklich schüchtern", erinnert sich Marozsan. "Ich habe zu ihnen aufgeschaut, ich wollte genau wie sie sein. Aber es war auch großartig, denn so kann man sein Spiel verbessern. Es hilft den jungen Spielerinnen sehr."
Geboren in Ungarn, aber als Deutsche eingebürgert, hat Marozsan eine ganze Menge erlebt, seit sie zum ersten Mal das Deutschland-Trikot trug. Drei Jahre bevor sie Olympiasiegerin wurde, gehörte sie auch schon zu dem Team, das 2013 die Europameisterschaft in Schweden gewann.
Auch die Erfolge der Angreiferin auf Vereinsebene sind nicht zu übersehen: Mit dem 1. FFC Frankfurt und Olympique Lyon hat sie die Champions-League-Trophäe insgesamt schon viermal gewonnen. Nach drei Jahren in Lyon ist Marozsans Bekanntheitsgrad in Frankreich mittlerweile fast größer als in Deutschland.
"Es ist cool, weil ich erst seit drei Jahren hier bin", sagt Marozsan. "Ich bin in einem anderen Land und lerne viele neue Leute kennen, das verbessert mich als Person. Ich bin wirklich stolz auf mich selbst, jetzt spreche ich auch ein wenig Französisch."
Gesundheitsfragen
Die Karriere der wohl besten Spielmacherin kam 2018 jedoch auf beängstigende Weise zum Stillstand. Marozsan erlitt eine Lungenembolie, die durch ein verstopftes Blutgefäß in der Lunge verursacht wird. Sie verpasste drei Monate der Saison, zwischenzeitlich war sogar fraglich, ob sie jemals wieder Fußball spielen würde.
"Meine ganze Familie war schockiert", erzählt Marozsan. "Es war wirklich keine schöne Situation. Ich bin froh, dass ich viel Unterstützung von meinem Verein, vom Nationalteam, meiner Familie und von meinen Teamkolleginnen erhalten habe. Das war wirklich wichtig. Jetzt bin ich einfach glücklich, wieder auf dem Platz zu sein."
Für eine Weile war Marozsan zurückhaltend und wollte nicht offen über ihren Gesundheitszustand sprechen. Sie muss jetzt viel vorsichtiger sein, aufpassen, was sie isst und trinkt, und sie muss auf langen Reisen Kompressionsstrümpfe tragen. Die gesamte Erfahrung hat ihre Sichtweise auf das Leben verändert.
"Wenn man in solch einer Situation ist, merkt man erst, wie wichtig es ist, jeden Tag zu genießen, denn es kann jeden Tag etwas Schlimmes passieren", sagt Marozsan. "Also bin ich jetzt ganz ruhig. Wenn ich eine kleine Verletzung erleide, sage ich mir: Es gibt viele schlimmere Dinge. Bleib ruhig und es wird dir bald wieder besser gehen. Jetzt genieße ich einfach jeden Moment."
Marozsans bisheriger Saisonhöhepunkt war der vierte Titel in der Champions League, doch der Sommer ist noch nicht vorbei. Möglicherweise darf Marozsan am Ende die eine große Trophäe in die Höhe stemmen, die in ihrer Sammlung noch fehlt, vor fast 60.000 Fans an einem Ort, den sie heute ihr Zuhause nennt. "Hoffentlich spielen wir in Lyon", sagt Marozsan. "Das ist mein Traum, also werde ich hart dafür arbeiten. Ich sehne mich nach dem Weltmeistertitel. Ihn zu gewinnen, wäre fantastisch."