Druck auf Journalisten nimmt zu
21. Mai 2019Ein auf den ersten Blick unspektakulärer Artikel beschäftigt das politische Moskau. Die Wirtschaftszeitung Kommersant berichtete am 17. April darüber, dass die Präsidentin des Föderationsrates, der zweiten Parlamentskammer Russlands, Valentina Matwijenko, ihren Job bald aufgeben könnte. In dem Artikel werden Quellen aus dem staatlichen Apparat zitiert. Danach würde Matwijenko die Leitung des staatlichen Pensionsfonds übernehmen. Einzelheiten sollen im Mai bei einem Gespräch zwischen ihr und Präsident Putin erörtert werden. In dem Artikel wird auch ein möglicher Nachfolger an der Spitze des Föderationsrates genannt: Sergej Naryschkin, derzeit Chef des Auslandsaufklärung. Sowohl Matwijenko als auch Naryschkin gehören zu den engen Gefolgsleuten des Präsidenten.
Inzwischen hat Kommersant die Autoren dieses Artikels, Iwan Safronow und Maxim Iwanow, angehalten, die Kündigung einzureichen. Offenbar hatte jemand aus dem Verlag verlangt, Näheres über die Quellen des Artikels zu erfahren. Die Autoren verwiesen auf den im Journalismus üblichen Quellenschutz - woraufhin sie gebeten wurden, Kommersant zu verlassen. Chefredakteur Wladimir Borisovitsch Zelonkin äußerte im Gespräch mit der Deutschen Welle Zweifel an der Existenz der Quellen seiner ehemaligen Autoren. "Ich wollte nicht die Quellen selbst haben, doch wollte sicher gehen, dass es sie gibt. Da habe ich Zweifel", sagte er der DW.
Eine Welle der Solidarität
Am Montagabend haben sich 13 Redakteure mit Iwan Safronow und Maxim Iwanow solidarisch erklärt und das Blatt ebenfalls verlassen. Sie arbeiteten wie Safronow und Iwanow im innenpolitischen Ressort von Kommersant. Der Verlag reagierte schnell: Die Redakteure können jetzt nicht mehr zurück an ihre Computer, ihre Hausausweise sind ungültig. Offenbar verfolgt die Verlagsleitung eine harte Linie.
Die Entlassung werde auf die Arbeit des Blattes keine Auswirkungen haben, glaubt Chefredakteur Wladimir Borisovitsch Zelonkin. Er bestreitet auch, dass der Besitzer des Medienhauses Kommersant, der kremlnahe Oligarch Alischer Usmanow, Druck ausgeübt habe. "Mich hat er nie gefragt, wer hinter dem Artikel steckt", so der Chefredakteur.
Das sehen die entlassenen Redakteure anders. In den sozialen Medien schreiben sie, dass hinter der Entlassung von Safronow und Iwanow der Eigentümer selbst stecken soll. Redakteure, die noch bei Kommersant arbeiten, aber namentlich nicht genannt werden wollen, vermuten dies ebenfalls.
Iwanow und Safronow arbeiten seit vielen Jahren bei der Wirtschaftszeitung und gelten als zuverlässig. Kreml-Sprecher Dimitri Peskow erklärte in einer Stellungnahme zu den Vorgängen bei Kommersant: "Iwan Safronov ist einer der talentiertesten und professionellsten Journalisten, die wir kennen." Besorgt zeigt sich auch Michail Fedotow, Vorsitzender des Menschenrechtsrates beim Präsidenten. Er fordert die Verlagsleitung von Kommersant auf, sich nicht in Redaktionsangelegenheiten einzumischen.
Keine politische Berichterstattung mehr bei Kommersant?
Chefredakteur Wladimir Zelonkin behauptet gegenüber der DW, dass die Redakteure journalistische Standards nicht eingehalten hätten. Dem widersprechen Kommersant-Mitarbeiter: "Es gibt keinen Verstoß gegen Standards, sondern Druck auf Journalisten", heißt es in einer Veröffentlichung, die über 200 Journalisten unterschrieben haben. Sie alle sind für die Media-Holding tätig, in der auch Kommersant herausgegeben wird. Sie informieren die Leser, dass Kommersant bis auf weiteres nicht mehr über die russische Politik berichten kann. Eines der besten russischen Medien werde zerstört, heißt es.
Da gesicherte Informationen fehlen, wird in Moskau spekuliert, weshalb der Artikel über den möglichen Wechsel im Föderationsrat so hohe Wellen schlägt. Offenbar fürchten die genannten Politiker, die Präsidentin des Föderationsrates Matwienko sowie der Chef der Auslandsaufklärung, Naryschkin, dass Artikel ihre weitere politische Karriere gefährden könnte. Möglicherweise haben sie deshalb Druck auf den Verlag ausgeübt.