Drohen Lebensmittelengpässe in der EU?
18. April 2022Den Krieg in der Ukraine bekommen Haushalte weltweit beim Einkaufen zu spüren. Grundnahrungsmittel mit Weizen, Mais oder Speiseöl sind deutlich teurer geworden. Denn: Die Schwarzmeerregion ist gewissermaßen der Brotkorb des Globus. 29 Prozent der weltweiten Weizenexporte stammen aus Russland und der Ukraine, 19 Prozent des Mais und gar 78 Prozent des globalen Sonnenblumenöl-Exports. Der Krieg hat die Lebensmittelproduktion unterbrochen und sorgt auch darüber hinaus für Inflation. Russland hat Getreideexporte untersagt, und in der Ukraine ist völlig unklar, ob und wie dieses Jahr überhaupt geerntet werden kann.
Die UN-Welternährungsorganisation FAO warnte, dass Lebensmittelpreise im März 2022 ein Allzeithoch erreicht hätten - weltweit. Innerhalb der Europäischen Union stiegen die Preise für Lebensmittel, Alkohol und Tabak im Januar bereits um 3,5 Prozent und im Februar noch mal um 4,1 Prozent.
"Wichtig ist, sich klarzumachen, dass diejenigen, die wirklich am härtesten davongetroffen werden, in armen Ländern leben. In Ländern, die von Importen aus der Ukraine wirklich abhängig sind, wie der Nahe Osten und Nordafrika", so Ariel Brunner, Landwirtschaftsexperte bei BirdLife Europa und Zentralasien, einer Naturschutzorganisation. "In Europa dagegen ist das Problem vor allem eine hohe Inflation. Preise werden steigen, aber da geht es erstmal nur um die nahe Zukunft."
EU handelt mit Russland und der Ukraine
Die EU war in Sachen Landwirtschaftsprodukte ein Schlüsselpartner für Russland und die Ukraine. 3,7 Prozent der EU-Exporte und 1,4 Prozent der EU-Importe landwirtschaftlicher Erzeugnisse kamen aus dem Handel mit Russland. Während die EU Soja, Kakao, Raps und Honig exportierte, kamen aus Russland Raps, Weizen, Tierfutter und Dünger. Die Ukraine war gar für 36 Prozent der Getreideimporte in die Europäische Union verantwortlich. Die EU exportierte 2021 Agrarerzeugnisse im Wert von drei Milliarden Euro in die Ukraine.
Die EU-Kommission geht trotz dieser Zahlen davon aus, dass die EU den Wegfall der Handelspartner abfedern kann. In einem Statement aus Brüssel hieß es, "die EU versorgt sich weitestgehend selbst mit Lebensmitteln mit einem hohen Agrarüberschuss. Der Europäische Binnenmarkt kann Schocks absorbieren." Anfang April veröffentlichte die Kommission ein Maßnahmenpaket, in dem es auch darum gehen soll, Landwirte in der EU dabei zu unterstützen, die Produktion von Weizen, Mais und Raps zu steigern.
"Die EU hat einen Exportüberschuss bei Agrarprodukten", erklärt Sommer Ackerman, eine junge Landwirtin und Klimaaktivistin in Finnland, im DW-Gespräch. "Trotzdem führt Putins Angriffskrieg zu Inflation - auch bei den Energie- und Spritpreisen. Das beeinflusst ja auch die Produktion und den Export von Agrarprodukten."
Ein Alarmzeichen für Bauern?
Vieles, was für die Landwirtschaft gebraucht wird, wird teurer. Düngerpreise gehen in die Höhe, die Landwirte europaweit sind in Alarmbereitschaft. In Frankreich und Griechenland demonstrieren bereits einige, sie fordern EU-Unterstützung beim Kauf von Düngemitteln. Die Kommission hat zugesagt, höhere Subventionen zahlen zu wollen, damit gestiegene Düngemittel- und Spritpreise abgefedert werden können.
Für Ariel Brunner von BirdLife ist klar, dass der Krieg auch grundlegende Probleme des gegenwärtigen Landwirtschaftssystems offengelegt hat. "Die starke Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen ist ganz offensichtlich ein Problem. Manchen Farmern wird jetzt erst klar, dass sie sich frei machen sollten von künstlichem Stickstoffdünger, dass sie mehr ökologische Landwirtschaft betreiben sollten", so Brunner. "Problematisch ist auch, dass viele Landwirte sich zunehmend auf ein bestimmtes Produkt konzentrieren, statt viele verschiedene Produkte anzubauen. Unser System ist in die Enge getrieben worden und die Landwirte sind die Schwächsten in dem System. Sie leiden unter geopolitischen Erschütterungen wie Krieg oder natürlich dem Klimawandel, der die größte reale Bedrohung für den Lebensmittelanbau darstellt."
Auf Krisen vorbereitet
Da die Ernährungssicherheit in der EU selbst nicht gefährdet ist, geht es der Union jetzt darum, außerhalb der eigenen Grenzen Lebensmittelknappheit zu bekämpfen. Janez Lenarcic, EU-Kommissar für humanitäre Hilfe und Krisenschutz, befürchtet, dass hohe Lebensmittelpreise vor allem diejenigen treffen, die ohnehin schon wenig haben. "Russlands Invasion der Ukraine verstärkt den Druck auf Lebensmittelsysteme und setzt Millionen Menschen weltweit der Gefahr des Hungers aus. Handeln ist dringend erforderlich." Die EU will jetzt gemeinsam mit der UN handeln und humanitäre Hilfe in betroffene Regionen bringen. Das EU-Parlament hat jüngst ebenfalls dazu aufgerufen, die Produktion innerhalb der EU zu erhöhen - und damit Länder zu unterstützen, die durch den Krieg Versorgungsengpässe ausgleichen müssen.
Friedel Taube hat diesen Text aus dem Englischen übersetzt.