Drogenpolitik: Kontrollieren statt verbieten
24. September 2018Den Vereinten Nationen zufolge konsumierten 2015 weltweit rund 275 Millionen Menschen mindestens einmal eine illegale Substanz. 450.000 Menschen starben an den direkten oder indirekten Folgen ihres Rauschmittelkonsums. Weltweit gibt es damit sowohl zahlenmäßig als auch prozentual immer mehr Drogenkonsumenten, obwohl die Politik in vielen Ländern den Drogen schon vor langer Zeit den Kampf angesagt hat.
In den USA etwa prägte der damalige Präsident Richard Nixon in den 1970er Jahren den Begriff "War on Drugs", dazu gehörte ein hartes strafrechtliches Vorgehen gegen Konsumenten und Dealer - mit dem Ergebnis, dass die USA eine der höchsten Raten an Inhaftierten im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung haben. In Russland gehen die Behörden ebenfalls sehr hart gegen Drogenkriminalität vor, dennoch gibt es immer mehr Suchtkranke. Und Afghanistan ist trotz vieler Maßnahmen weiterhin das globale Zentrum des Opium-Anbaus.
Repressive Drogenpolitik funktioniert nicht
Eine Erkenntnis aus der Drogenpolitik der letzten Jahrzehnte ist, dass auch die härtesten Gesetze den Konsum nicht verringern konnten. Einige Länder haben diesen Schuss gehört und probieren vorsichtig einen anderen Umgang mit Drogen aus. Auch die Weltkommission für Drogenpolitik fordert in ihrem neuen Bericht einen anderen Kurs: Staaten sollten Rauschgifte regulieren statt sie einfach nur zu verbieten und größtenteils in kriminellen Händen zu lassen.
In dem Bericht des Gremiums aus ranghohen Politikern, Geschäftsleuten und Menschenrechtlern heißt es: "Die Regulierung und der Umgang mit gefährlichen Produkten und Verhaltensweisen sind überall auf der Welt Aufgabe der Behörden - außer bei Drogen." Das trifft in Deutschland besonders zu: Während wir ansonsten von Gebrauchsanleitungen, Mindesthaltbarkeitsdaten und Geschwindigkeitsbegrenzungen - also Regulierungen - umgeben sind, überlässt der Staat die Bürger in puncto Drogen größtenteils sich selbst, beziehungsweise der organisierten Kriminalität.
Willkürliche Unterscheidung zwischen legal und illegal?
Die beiden Ausnahmen, für den Suchtforscher Heino Stöver von der Frankfurt University of Applied Sciences absolut widersprüchlich, sind Alkohol und Zigaretten: "Diese beiden Produkte dürfen so stark beworben werden wie in keinem anderen Land der EU und sind an jeder Ecke erhältlich. Auf der anderen Seite werden als illegal klassifizierte Drogen wie Cannabis oder Amphetamine sehr restriktiv gehandhabt."
Diese Unterscheidung ist - so sind sich mittlerweile viele Experten einig - aus medizinischer Sicht unhaltbar. Juristisch führt die Kriminalisierung des Handels und Konsums bestimmter Substanzen ebenfalls zu Problemen. "16 Prozent der Inhaftierten sitzen in Deutschland wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz ein. Viele andere sind zwar offiziell wegen Diebstahls im Gefängnis, dahinter steht aber eigentlich Beschaffungskriminalität", erklärt Stöver. Das seien bedenkliche Zahlen, die den Staat unnötigerweise viel Geld kosteten und Biografien vieler Menschen zerstörten.
Ähnlich wie die Weltkommission für Drogenpolitik hält der Professor für sozialwissenschaftliche Suchtforschung die Politik der Verbote für überholt: "Das funktioniert nie, das hat man schon an der Alkoholprohibition in den USA gesehen. Mit dem in Deutschland und in vielen anderen Ländern ähnlich gefahrenen Modell befeuern wir im Gegenteil sogar die organisierte Kriminalität. Es ist die denkbar schlechteste Art, mit Drogen umzugehen."
Wie könnten Alternativen konkret aussehen?
Die Kommission für Drogenpolitik schlägt vor, aktuell verbotene Substanzen zu regulieren. Was sich radikal anhören mag, wird in einigen US-Bundesstaaten oder etwa im südamerikanischen Uruguay zumindest bei Cannabis schon umgesetzt: Sowohl Anbau als auch Vertrieb werden staatlich kontrolliert und müssen Auflagen erfüllen. Cannabis und Heroin für medizinische Zwecke kommen in Deutschland ebenfalls aus solchen kontrollierten Produktions- und Distributionsketten.
"Natürlich könnte man nicht alle Substanzen gleich behandeln, sondern müsste je nach Suchtpotenzial und Risiken der Applikation unterscheiden", erklärt Stöver. Sei bei Cannabis etwa der Erwerb in Fachgeschäften denkbar, könnte bei Heroin eine Apothekenpflicht sinnvoll sein.
Sowohl die Kommission für Drogenpolitik als auch Stöver betonen, dass damit die bislang illegalen Substanzen keineswegs verharmlost werden sollen. Anders als derzeit in Deutschland bei Alkohol und Zigaretten sollen demnach Warnhinweise, Aufklärungskampagnen und Werbeverbote das regulierte Angebot flankieren. Stöver fordert, dass alle Steuereinnahmen durch Rauschmittel für Aufklärungszwecke eingesetzt werden sollen.
Deutschland noch weit von "humaner Drogenpolitik" entfernt
Nachdem zwar Juristen, Sozialwissenschaftler und Mediziner bereits für eine andere Drogenpolitik plädieren, lässt in Deutschland jedoch eine in diese Richtung gehende Politik weiterhin auf sich warten. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler, kommt von der CSU, die auch in der Drogenpolitik eher für eine konservative Haltung steht. Auf der Seite der Drogenbeauftragten lässt sich dementsprechend nachlesen, dass man sich immer noch an der Nationalen Strategie von 2012 ausrichtet, in der Repression als eine der "Grundlagen verantwortungsvoller Drogen- und Suchtpolitik" genannt wird.
Suchtexperte Stöver hält die "Antworten von Frau Mortler für untragbar". Früher oder später werde man sich auch in Deutschland der Realität stellen müssen: "Menschen nehmen gerne Drogen, das kann man nicht zurückdrehen. Man kann es nur beaufsichtigen."