Dresdner Sinfoniker: Roboter übernehmen den Taktstock
14. Oktober 2024Drei Roboter stehen auf Sockeln und recken ihre vermeintlichen Hände in die Höhe, jeder trägt einen leuchtenden Stab. Ihre Aufgabe: die Dresdner Sinfoniker zu dirigieren.
Das 25. Jubiläum des Orchesters wollte Intendant Markus Rindt mit einem ganz besonderen Konzert feiern. "Ich bin technisch sehr interessiert, ich spiele gerne mit der Entwicklung solcher Projekte", sagte er der DW. Und seine Sinfoniker haben sich darauf eingelassen: 16 Blechbläser und vier Schlagzeuger folgten den Anweisungen der Roboterdirigenten. Das Projekt sei sehr spannend, aber auch sehr stressig, so eine Musikerin, und einer ihrer Kollegen ergänzt: "Wenn der Arm anhält und sich auf eine bestimmte Weise bewegt, bekomme ich eine Gänsehaut."
Wie kann ein Roboter dirigieren?
Der Roboter "Franka Emika" ist ein sogenanntes "Leichtbau"-Exemplar, mit dem man jedes kleinste Detail steuern kann. Zwei Jahre hat Markus Rindt mit dem Leiter der Robotik-Forschungsgruppe der TU Dresden Frank Peters an der Idee getüftelt, dass sich "Franka Emika" mit seinen sieben Gelenken bewegt wie ein menschlicher Arm beim Dirigieren.
Letztendlich musste Markus Rindt im wahrsten Sinne des Wortes selbst Hand anlegen. "Wir haben den Roboter in einen Betriebsmodus gebracht, dass er bei jeder kleinsten Berührung nachgegeben hat", erläutert Frank Peters der DW. "Markus Rindt hat sich dann den Roboterarm genommen und ihn geführt, wie er es auch mit einem menschlichen Dirigentenlehrling machen würde." Für jeden Roboter wurden die Bewegungen extra abgespeichert. Sie haben gelernt, den Takt zu schlagen und stellenweise auch die Dynamik anzuzeigen.
Spektakuläre Aktionen der Dresdner Sinfoniker
Markus Rindt und seine Dresdner Sinfoniker sind für innovative und auch politisch provokante Aktionen bekannt. "Wir haben zum Beispiel während der Pandemie 16 Alphörner auf Hochhäuser platziert und einen ganzen Stadtteil in Dresden von oben beschallt", erzählt Rindt.
Gegen "Mauergewalt" hat sein Orchester an der Mauer zwischen Mexiko und den USA, mit Musikerinnen und Musikern aus beiden Ländern gespielt und protestiert. Der damalige US-Präsident Donald Trump wollte durch die Mauer die Einwanderung von Menschen aus Lateinamerika verhindern.
Mit einer "Sinfonie for Palestine" brachte Rindt 2013 israelische und palästinensische Musiker auf einer Tour durch das Westjordanland zusammen. Und gemeinsam mit türkischen und armenischen Musikern erinnerten die Dresdner Sinfoniker an den Genozid in Armeniern.
Wie komponiert man für einen Roboter
Und nun also das Projekt "Robotersinfonie". Dabei treibt Markus Rindt die alte Frage der Interaktion zwischen Mensch und Maschine um: Wie weit helfen Roboter dem Menschen und ab wann wird der Roboter zur Gefahr, etwa wenn er in künstlerische Prozesse eingreift? "Ich habe großen Respekt vor der Gefahr, die sich da abzeichnet für die Musik, für Komponisten und Arrangeure. Deshalb würde ich jetzt kein Projekt mit künstlicher Intelligenz machen", sagt Markus Rindt, "aber mich hat es fasziniert, mit einem Roboter den Horizont musikalisch zu erweitern."
Es geht bei dem Projekt also nicht darum, den Menschen durch die Maschine zu ersetzen, sondern für einen Roboter spezielle Musik zu komponieren, die ein Dirigent nicht oder nur schwer umsetzen könnte.
Präzision der Roboter eröffnet neue Horizonte
Im Auftrag der Dresdner Sinfoniker, die schon immer offen waren für Neue Musik, hat Wieland Reissmann das Stück "#Kreuzknoten" komponiert. Zwei Roboter kommen dabei zum Einsatz. Jeder von ihnen dirigiert eine Orchestergruppe. Die eine beginnt langsam und wird schneller, die andere beginnt schnell und wird langsamer. In der Mitte, im "Knoten", spielen sie für kurze Zeit das gleiche Tempo.
Auch die Auftragskomposition "Semiconductor's Masterpiece" von Andreas Gundlach, bei dem alle drei Roboterarme zum Einsatz kommen, spielt mit verschiedenen Tempi und Rhythmen, die gegeneinander laufen. "Genau diese wechselnde Abfolge von Asynchronität, dass die Roboter verschiedene Tempi und Taktarten spielen, dann aber zu einem genau gewollten Moment wieder synchron spielen können, das kriegen zwei oder drei Dirigenten nicht hin", sagt Frank Peters. Diese Präzision habe es in der Musik noch nicht gegeben. Für Frank Peters und Markus Rindt eine kleine Sensation.
Der Dirigent bleibt unersetzbar
Auf einen Dirigenten aus Fleisch und Blut konnte das Orchester aber auch beim Jubiläumskonzert nicht verzichten. Die Musik, die für die Roboter komponiert wurde, sei sehr komplex, meint der norwegische Dirigent Magnus Loddgard. "Da braucht man die Probenarbeit zur Orientierung, um zu wissen, auf welchen Arm soll ich als Musiker gerade gucken." Der Roboter habe schließlich kein Auge, um zu sehen, was im Orchester passiert und er könne auch nicht reden und Dinge erklären, sagte Loddgard im Gespräch mit der DW.
Er hat nicht nur die Roboterstücke mit dem Orchester besprochen, sondern stand auch ohne Roboterhilfe am Pult. Er hat Werke dirigiert, die zwar nicht für Roboter geschrieben wurden, aber mit den neuen Technologien spielen.
Mit künstlicher Intelligenz musikalisch spielen
So wie das Stück "f..A..lling. l..I..nes" (Falling in Lines) von Markus Lehmann-Horn, eine Konzertouvertüre, bei der die Klänge und die motivischen Versatzstücke so durcheinander gewirbelt werden, als hätte man eine künstliche Intelligent damit beauftragt, das Werk zu komponieren. Denn Tools, die mit künstlicher Intelligenz arbeiten, greifen zurück auf das Musikrepertoire, das bereits im Internet vorhanden ist. Sie würden Sequenzen daraus vielleicht ähnlich aneinanderreihen.
Auch ein Werk der griechischen Komponistin und Musikprofessorin Konstantia Gourzi kam zur Aufführung. Sie hat sich in ihrer energiegeladenen, sphärisch anmutenden Komposition mit den technologischen Errungenschaften der Raumfahrt beschäftigt. In ihrem Stück "Voyager 2" hat sie den Blick von der Raumsonde im All auf die Erde vertont.
Die Zukunft der Neuen Musik
Dirigent Magnus Loddgard ist technisch aufgeschlossen. Durch die Roboter fühlt er sich nicht in seiner Existenz bedroht. Ein Roboter, der alles genau nach Maß dirigiert, sei faszinierend, könne aber auch eintönig wirken. "Kunst ist ja etwas Lebendiges", sagt Loddgard. Der Mensch wolle nicht von einem Roboter instruiert werden, wie er zu spielen habe. "Es geht ja darum, zusammen im Orchester zu überlegen, wie wir gemeinsam ein Klangbild finden."
Musik für Roboter werde auch nicht die klassische Musik verdrängen, meint Intendant Markus Rindt. "Auch die Synthesizer-Musik der vergangenen Jahrzehnte hat sich ja einfach als parallele Branche zur Klassik etabliert." In diesem Sinne freut sich Markus Rind, wenn weitere Komponisten den Gedanken der Dresdner Sinfoniker aufgreifen und auch in Zukunft spezielle Musik für Roboter komponieren.
Und wie fand das Publikum die ungewöhnliche Aufführung? "Es war faszinierend, aber natürlich nicht mit einem menschlichen Dirigenten zu vergleichen, dessen Gesicht Emotionen zeigt", meint eine Zuschauerin, eine andere resümiert: "Zwischenzeitlich war das ganz schön gruselig. Vor allem, als die Roboter sich am Ende verbeugt haben." Die Kinder im Saal hatten daran auf jeden Fall ihren Spaß.
Die DW hat das Jubiläumskonzert der Dresdner Sinfoniker gestreamt.