Wochenendausflug: Dresden und Sächsische Schweiz
28. September 2019Als die Schiffsmotoren anspringen, verstummen die Gespräche an Bord. Aber nur kurzzeitig. Unser Schiff legt in Dresden ab zu einer Fahrt elbaufwärts nach Bad Schandau. In der Ferne mache ich bald kleine Kirchtürme aus, die Bilderbuch-Silhouetten kleiner Städte zieht vorüber, ab und zu lugt ein Schloss zwischen den majestätischen Felsen hervor. Das rhythmische Stampfen der Maschinen, das Rauschen des Wassers und der Wind in meinem Haar lösen in mir das angenehme Gefühl eines unbeschwerten Sommertags aus. Um mich herum nur Schönheit. Ich bin überwältigt.
Alle Mann an Bord!
Ich bin Passagierin eines 120 Jahre alte Schaufelraddampfers. Die "Kurort Rathen" gehört zur größten und ältesten Dampfschiffflotte der Welt, der Weißen Flotte Dresden. Neun Boote gibt es, alle perfekt restauriert. Täglich fahren sie elbauf und -abwärts, 700.000 Gäste transportieren sie jährlich. 1837 brach das erste Dampfschiff mit Gästen an Bord zu einer Elbrundfahrt auf, die "Königin Maria".
An Bord mache ich die Bekanntschaft einer reizenden älteren Dame, Hannah Hahn. Hannah, die seit über 60 Jahren in Dresden lebt, ist ein großer Fan der Weißen Flotte. Sie kennt sich auf dem Schiff bestens aus, zeigt mir, wo ich einen Blick auf den Schiffsmotor werfen kann und erklärt mir, wie der Dampf die Schaufelräder antreibt. Bei Gesprächen über Technik bleibt es nicht, Hannah erzählt mir bald aus ihrem Leben und gibt mir Tipps für meinen anschließenden Ausflug in die Sächsische Schweiz. Als ich ihr von meinen Wanderplänen erzähle, warnt sie mich: "Geh nicht auf die Bastei. Du wirst von Touristenmassen überrannt. Ich rate immer, den Fußweg auf der anderen Flussseite zu nehmen. Man kann von dort auch die Bastei sehen - aber ganz ohne Gedränge." Ich werde darüber nachdenken.
Die Bastei ist eine Felsformation im Nationalpark Sächsischen Schweiz. Ihre bizarren Felsnadeln entstanden vor Millionen von Jahren durch Erosion. Von der Aussichtsterrasse der Bastei genießt man einen traumhaft schönen Panoramablick über das Elbtal. Eine Landschaft, die im Laufe der Jahrhunderte Maler und Dichter inspiriert hat, sie galt als Inbegriff einer romantischen Landschaft. Wie kein anderer hat der Maler Caspar David Friedrich die Stimmung im Elbtal eingefangen. Zu seinen bekanntesten Werken zählen "Wanderer über dem Nebelmeer" oder "Felsenlandschaft im Elbsandsteingebirge".
Eine Fahrt mit dem Dampfschiff entschleunigt auf wundersame Weise. 29 Euro kostet die Fahrt von Dresden nach Bad Schandau und zurück. Dreieinhalb Stunden Nichtstun, einfach nur Schauen. Mit Hannah an meiner Seite vergeht die Zeit wie im Flug. Wir sprechen auch über traurige Themen, etwa die Tragödie des Zweiten Weltkriegs. Während des Bombenangriffs auf Dresden, in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945, wurde die Stadt dem Erdboden gleichgemacht, über 20.000 Menschen starben. Auch die berühmte Dresdner Frauenkirche war nur noch eine Ruine. Fast 60 Jahre lang ragten die Überreste als Mahnmal in den Himmel. Ab 1994 wurde die Kirche dann mit Spendengeldern aus der ganzen Welt wiederaufgebaut und 2005 feierlich wiederöffnet. Heute ist sie wieder ein Wahrzeichen Dresdens, vor allem aber ein starkes Symbol für Frieden und Versöhnung.
Hannah plaudert gern und ich höre gern zu. Sie ist allein unterwegs wie ich, aber als Fan der Weißen Flotte ist sie im Gegensatz zu mir im Besitz einer Jahreskarte. Sie verbringt den Tag genussvoll damit, mit ihrer kleinen Digitalkamera zu fotografieren. Stolz zeigt sie mir ihre Ausbeute. Was für eine nette Frau ich da getroffen habe.
Bastei - Auf dem Balkon der Sächsischen Schweiz
In Bad Schandau trennen sich unsere Wege. Ich will ja noch zur Bastei. Das muss einfach sein. Obwohl Hannah mir abgeraten hat, nehme ich den Wanderweg. Er führt mich zunächst durch dichten Wald und über offene Wiesen, bei Rathen geht es dann das letzte Stück steil nach oben. Die Felsen der Bastei ragen fast 200 Meter über der Elbe auf. Der Aufstieg ist also ganz schön anstrengend. Aber er ist die Anstrengung absolut wert. Ich wusste zwar, was mich oben erwartete, so viele Fotos hatte ich schon gesehen. Aber dann verschlägt es mir bei dem Anblick dann doch die Sprache. Und ich habe sogar Glück. Weil ich mir Zeit gelassen habe, sind die meisten Touristen schon wieder auf dem Rückweg. Was für ein Genuss, diese Landschaft ganz in Ruhe betrachten zu können.
Die Felsen der Bastei sind über eine 76,5 Meter lange Sandsteinbrücke miteinander verbunden. Ihre sieben elegant geschwungenen Bögen überbrücken eine 40 Meter tiefe Schlucht. Beim Blick in die Tiefe bekomme ich weiche Knie. Zwar gibt es links und rechts eine schützende Balustrade, trotzdem empfinde ich den Abgrund unter mir als schwindelerregend. Auf der anderen Seite geht es zu den Ruinen der Felsenburg Rathen, der Eintritt kostet 2 Euro. Es war einmal eine der größten Burgen des Mittelalters, vermutlich erbaut im 11. Jahrhundert. Das Sensationelle ist der Ausblick: Von hier kann man die Basteibrücke samt Umgebung überblicken.
Dresden – aus Trümmern auferstanden
Neuer Tag, neues Programm. Es ist Sonntag Morgen, nach meinem Schiffsausflug und meiner Wanderung, erkunde ich heute Dresden. Es ist 9:30 Uhr, ich sitze in der Kreuzkirche und lausche den Klängen der größten Orgel in der Stadt. Sie hat mehr als 6.300 Orgelpfeifen. Die evangelische Hauptkirche der Stadt hat fünf Feuer überstanden, das letzte während des Zweiten Weltkriegs. Man schätzt, dass bei dem Luftangriff der Alliierten im Februar 1945 etwa 4000 Tonnen Bomben auf Dresden niedergingen. Die Stadt versank in einem alles vernichtenden Feuersturm.
Heute erstrahlt die Innenstadt wieder in neuem Glanz, viele der historischen Gebäude wurden über die Jahre restauriert und orginalgetreu wiederaufgebaut. Wohin ich auch schaue, ringsum mich herum barocke Architektur. Aber funkelnagelneu! Die meistbesuchte Sehenswürdigkeit ist zweifellos die barocke Frauenkirche. Die Schönheit und Eleganz des Gebäudes setzt sich auch im Inneren fort. Schlicht und doch majestätisch. Als ich meinen Blick durch den Raum schweifen lasse, denke ich an Hannah zurück, die mir davon erzählte, wie es hier aussah, als die Kirche eine Ruine war. Da, wo ich jetzt sitze, war nichts, nur ein Haufen schwarzer Steine.
Dresdens Altstadt wirkt auf mich wie ein Freilichtmuseum, an dem ständig gebaut wird. Der Dresdner Zwinger wurde in den 1950er und -60er Jahren restauriert, 1985 wurde die Semperoper wiederöffnet, die Arbeiten am Dresdner Schloss begannen vor 60 Jahren und dauern noch an. Irgendwo ragt wohl immer ein Baukran in den Himmel.
Das andere Gesicht von Dresden
Im Schatten der geschichtsträchtigen Gebäude tummeln sich Touristengruppen. Menschentrauben scharen sich um Straßenmusiker und Maler, die ihre Werke auf dem Boden ausbreiten. Ich geselle mich dazu und treffe auf Keerthana Srinivasan. Sie stammt wie ich aus Indien und studiert Molkularbiologie. Seit 2016 lebt sie in Dresden. "Es ist eine tolle Erfahrung. Die Stadt hat einen guten Spirit, aber ich habe hier auch einige schlechte Erfahrungen gemacht." Sie erzählt mir von einem Vorfall in einem Bus, als eine Frau plötzlich auf sie zeigte und sie anbrüllte. Keerthana verstand nicht, was sie rief, war eingeschüchtert und verließ an der nächsten Haltestelle den Bus. Niemand hatte reagiert oder ihr Hilfe angeboten. Es war nicht das einzige Erlebnis dieser Art. Trotzdem will Keerthana in Dresden ihren Abschluss machen und hier einen Job suchen. Sie fühlt sich hier zuhause.
Situationen wie sie Keerthana erlebt hat, sind hier nicht selten. Auch mich erwischt es. Ich werde unverholen angestarrt. Aus einem vorbeifahrenden Auto ruft mir jemand eine rassistische Bemerkung zu. In den letzten Jahren hat sich Sachsen zu einer Hochburg des Rechtsextremismus entwickelt. Die Ideologie der rechten Gruppierungen, ihre Fremdenfeindlichkeit sind für Menschen wie Keerthana, die hier im Bundesland Sachsen studieren, arbeiten und leben wollen ein nicht zu leugnendes Problem.
Darüber denke ich nach, als ich den Fürstenzug abschreite. Es ist fast nicht zu glauben, dass die 23.000 Fliesen aus Meißner Porzellan den Zweiten Weltkrieg heil überstanden haben. Der Fürstenzug ist das weltweit größte Kunstwerk aus Porzellan. In einer langen Prozession zeigt es die Herrscher Sachsens bis ins 20. Jahrhundert hinein.
Nachdem ich so viel über die Vergangenheit Dresdens gelernt habe, wird mir klar, wer über die Zukunft der Stadt entscheidet: Es sind die Menschen. Mit ihrem Mut, mit ihrer Kraft haben sie ihre völlig zerstörte Stadt wieder zum Leben erweckt. Was für eine Leistung! Die Menschen hier werden es auch sein, die über die Zukunft Dresdens entscheiden. Sie bestimmen, wofür Dresden steht. Ich will daran glauben, dass Menschen wie Hannah Hahn, die offen sind und Freundlichkeit ausstrahlen, die stärkere Kraft sind, wenn der Moment der Entscheidung kommt.