Dresden: Kraftwerk Mitte wird neues Kulturareal
16. Dezember 2016Lange haben die Mitarbeiter der Dresdner Staatsoperette auf diesen Tag gewartet. Über zehn Jahre verzichteten die Ensemblemitglieder der Operette auf einen Teil ihres Gehaltes - zugunsten eines neuen Hauses. Bei acht Prozent kultureller Spareinlage sind auf diese Weise 13 Millionen Euro zusammengekommen. An diesem Freitag (16.12.2016) wurde die Staatsoperette am neuen Standort Kraftwerk Mitte eröffnet. Noch ist nicht alles fertig, aber nach dem Festakt am Abend stehen die Türen des ehemaligen Kraftwerks allen Besuchern zur Besichtigung offen.
Das neue Kulturareal ist eine gelungene Mischung aus Alt und Neu: restaurierte Backsteinfassaden, Ziegelmauerreste integriert in schwere Fundamentsockel, viel lichtgrauer Sichtbeton als Gegensatz zum Ziegelrot der historischen Industriebauten. Die alte Maschinenhalle wurde komplett entkernt, die schweren 65-Tonnen-Kräne hängen stählerne Zeitzeugen aus der Zeit der Industrialisierung der Region noch sichtbar unter der Decke.
Aufbruch in eine neue Kulturliga
Für die Operette wurde ein neuer Bühnensaal mit 700 Sitzplätzen angebaut. "Absichtlich etwas plüschig", sagt Projektleiter Florian H. Brandenburg, "in Altrosa". Modernste Bühnentechnik und eine hervorragende Akustik sollen Kulturgenuss garantieren. Kleinere Bühnen ergänzen das Angebot fürs Publikum. Werkstätten, Lager für Kulissen und alles, was ein moderner Kulturbetrieb heutzutage so braucht, sind ebenfalls dort untergebracht.
Gleich zwei Theater werden dort ihr neues Domizil haben: Neben der Staatsoperette zieht auch das Theater Junge Generation, Deutschlands größtes Kinder- und Jugendtheater, mit ein. Damit gehen jahrzehntelange Interimslösungen, die für Sänger, Techniker und alle Mitarbeiter eine enorme Belastung waren, zu Ende.
Mit der offiziellen Übergabe wurde auch eines der imposantesten Industriedenkmäler von Dresden wiederbelebt. 100 Millionen Euro investierte die Stadt in die Sanierung des Industrieareals. 2014 war der Grundstein für das 39.000 Quadratmeter große Kultur-Quartier gelegt worden."Es ist ein Traum, der in Erfüllung geht", sagt Ulrich Schröder, einer der Orchestermusiker der Dresdner Staatsoperette. So ein modernes Haus sei für das Ensemble eine ganz neue Liga. Hier könnten sich Musik und Ensemble in ihrer hohen Qualität erst entfalten, freut sich Intendant Wolfgang Schaller. "Endlich ist die Bühne groß genug, um unsere Solisten, Chormitglieder und Tänzer mit ihren opulenten Kostümen richtig zur Geltung zu bringen."
Gegengewicht zu Pegida: erstklassige Kultur
"Aurora" nannten die Dresdner den imposantem Gebäudekomplex in der Nähe der Dresdner Altstadt früher. Fast hundert Jahre wurde dort Braunkohle in Strom umgewandelt, die rauchenden Schornsteine waren Symbol der wachsenden Industrialisierung. Nach der Wende stand dort seit 1994 alles leer - bis vor ein paar Jahren ein kleines Wunder in der politisch wechselnden Rathausmehrheit passierte: Mit nur einer Stimme Mehrheit entschied der Stadtrat, in Zeiten von Schwimmbad-Schließungen und kommunaler Sparzwänge explizit in Kultur zu investieren - und einen kulturellen Neuanfang auf dem Gelände des Kraftwerks zu wagen.
Das neu gestaltete Kulturquartier, in dem langfristig noch junge Start-Up-Unternehmen, Künstler, Ateliers und Kreativköpfe angesiedelt werden sollen, wird Dresden als Kulturstadt eine neue Mitte geben. "Kraftwerk Mitte" als Gegenentwurf zur Un-Kultur von Pegida und Co., sagt Dresdens Oberbürgermeister Hilbert. Das etwas lädierte Image der Stadt Dresden schmerzt ihn nachhaltig. "Wir sind Deutschlands Geburtenhauptstadt, die erste schuldenfreie Stadt der Bundesrepublik, besitzen eine Exzellenz-Universität, zwölf Fraunhofer-, drei Max-Planck-Institute und weltberühmte Kultureinrichtungen. Aber das alles nutzt gerade alles nichts."
Frische Kreativenergie für Dresden
Auf dem riesigen Gelände wird es auch sinnvolle kulturelle Nachbarschaften geben. Die Hochschule für Musik hat dort bereits Räume bezogen, das Heinrich-Schütz-Konservatorium ebenfalls. Die Heinrich-Böll-Stiftung wird dort ein Büro eröffnen, Clubs, Restaurants, Bistros und ein "Haus der Kulturen" werden folgen, angelockt durch günstige Mieten für schicke Räumlichkeiten. Und ein "Energiemuseum" zeigt die Geschichte der Energiegewinnung in Dresden und ganz Deutschland - finanziert vom städtischen Energieversorger Drewag, dem Eigentümer des gesamten Areals.
Im gemeinsamen Foyer des historischen Kraftwerks begegnen sich alle Besucher und Mitarbeiter der verschiedenen Kultureinrichtungen. "Das ist ein Forschungsfeld", freut sich Felicitas Loewe, Intendantin des Kinder- und Jugendtheaters. Endlich seien die drei Sparten - Schauspiel, Puppenspiel und Theaterakademie unter einem Dach vereint. Eine kulturelle Zugewinn-Gemeinschaft neuen Stils.