Faust, Tartüff und Komödie - Stummfilme der Weimarer Republik
7. Januar 2013Daran kommen selbst Rainer Werner Fassbinder, Volker Schlöndorff und Tom Tykwer nicht heran. Die deutschen Regisseure, die dem heimischen Kino in den vergangenen Jahrzehnten Anerkennung und Auszeichnungen brachten, werden von Namen wie Fritz Lang, Friedrich Wilhelm Murnau und Ernst Lubitsch in den Schatten gestellt. In den Jahren zwischen 1918 und 1933 blühten Kunst und Kultur in Deutschland, das Kino ganz besonders. Die Zeit der Weimarer Republik dürfte die bis heute fruchtbarste Epoche des deutschen Kinos sein.
Der Blick in die deutschen Filmstudios
Insbesondere Hollywood ließ sich inspirieren, schaute in den 1920er Jahren iauf die Babelsberger Studios bei Berlin, wo die meisten Filme entstanden. Regisseure, Kameramänner, Ausstatter und Schauspieler wurden mit gut dotierten Verträgen nach Hollywood gelockt. Ob Regisseure wie Ernst Lubitsch und Fritz Lang, die legendäre Marlene Dietrich oder Schauspieler wie Emil Jannings, die Filmschaffenden verließen damals Deutschland, um in den USA Karriere zu machen. Manche gingen aus Furcht vor den Nationalsozialisten, andere, weil sie die Produktionsmöglichkeiten in Hollywood reizte. Auch die, die zu Hause blieben, schufen Meisterwerke, die einen lang anhaltenden Nachklang in der Filmgeschichte fanden.
"The Weimar Touch. The Internationale Influence of Weimar Cinema after 1933", heißt die große Retrospektive der kommenden Berliner Filmfestspiele 2013, die vom 7.2 bis 17.2. stattfinden wird. Sie zeigt vor allem, wie das Weimarer Kino internationale Regisseure und Autoren späterer Jahrzehnte anregte. Die deutschen Grundlagen kann man derzeit auf DVD studieren - zum Beispiel im Rahmen der vor kurzem aufgelegten Stummfilm-Edition der "Süddeutschen Zeitung". Sie stellt sieben Filme dieser Epoche vor, Bekanntes und weniger Bekanntes, anerkannte Meisterwerke und Wiederentdeckungen.
Deutsche Genrevielfalt macht Schule
"Der Hobbit", derzeit in fast allen Ländern der Erde in den Kinos präsent, ist ohne das Vorbild "Nibelungen" von Fritz Lang kaum denkbar. "Metropolis" vom gleichen Regisseur lieferte 1926 die Blaupause für die Szenenbildner und Regisseure des Science Fiction-Genres späterer Jahrzehnte. Und der amerikanische Oscar-Preisträger William Friedkin, Macher von Filmen wie "French Connection" und "Der Exorzist", verbeugte sich erst vor kurzem in einem Interview mit einer großen deutschen Tageszeitung vor Fritz Langs Film "M". Friedkin fasziniert, wie unnachahmlich Lang bereits damals mit dem Thema Gewalt umgegangen sei. Ob Fantasy, Science Fiction oder Kriminalfilm - der Einfluss ästhetischer Stilmittel des Weimarer Kinos wird noch heute überall deutlich.
Im vergangenen Jahr bekam der russische Regisseur Alexander Sokurov für seine Faust-Verfilmung in Venedig den Goldenen Löwen. Auch Sokurov orientierte sich unter anderem an einem alten deutschen Film. 85 Jahre zuvor hatte Friedrich Wilhelm Murnau den Stoff auf die Leinwand gebracht. Zunächst war der deutsche Dramatiker Gerhard Hauptmann auserkoren, die Zwischentitel für das Stummfilmepos zu schreiben. Doch Hauptmanns Texte wurden noch vor der Premiere durch Zwischentitel anderer Autoren ersetzt. Zu unfilmisch und literarisch erschienen dem Regisseur die dichterischen Ergüsse Gerhard Hauptmanns. Andere Autoren wurden beauftragt, die mehr zum Medium Film passten: So "war der Weg frei für einen wahrhaft cineastischen Griff ins pralle Menschenleben, für eine Demonstration, was der Film nach Literatur, Theater, Malerei dem Stoff abzugewinnen mochte", schreibt der Publizist Jens Bisky im Begleittext zur DVD-Ausgabe.
Meister der Screwball-Comedy
Einen ganz anderen Weg als Lang und Murnau, die sich eher mit dramatischen Stoffen beschäftigten, hat Ernst Lubitsch eingeschlagen. Schon früh etablierte sich der Regisseur mit Lustspielen und Komödien. 1922 ging er als einer der ersten Deutschen nach Hollywood und wurde dort zum ungekrönten Meister der Screwball-Komödie. Mit Schauspielerinnen wie Marlene Dieterich in "Angel" oder Greta Garbo in "Ninotschka" inszenierte er wunderbar verspielt-hintergründige Komödien. Vom "Lubitsch-Touch" sprachen spätere Bewunderer wie der Regisseur Billy Wilder. Die Amerikaner hatten früh erkannt, welch talentierter Komödienerzähler hier auf dem Regiestuhl saß.
Im Deutschland der Weimarer Republik inszenierte Lubitsch Filme wie "Ich möchte kein Mann sein" oder "Die Austernprinzessin". Ersterer ist eine nur 45 Minuten dauernde Filmperle, die lustvoll mit Geschlechterrollen spielt und das Thema zahlreicher Hollywood-Filme unserer Tage vorwegnahm. Auch in "Die Austernprinzessin" brilliert der damalige Star Ossi Oswalda in der Hauptrolle. Aber aufgepasst: Lubitsch versteckte unter der Komödienoberfläche immer auch ein gehöriges Maß an beißender, wiewohl liebevoll formulierter Kritik: "Die scheinbar maßlose Übertreibung, sarkastisch überdrehte Darstellung, aber auch bereits die Motivwahl der Filme Lubitschs enthalten immer auch ein realistisches Moment," schrieb Uta Berg-Ganschow anlässlich der Berlinale-Lubitsch-Retrospektive 1984.
Ein ganz besonderes Vergnügen bereitet es auch, Friedrich Wilhelm Murnaus "Tartüff" aus dem Jahre 1925 wiederzusehen. Dieses Werk ist einer der wenigen Ausflüge des Regisseurs ins nicht-dramatische Fach und alles andere als eine klassische Theaterverfilmung nach Molière: "Eine Komödie der Heuchelei ist das Theaterstück. Bei Murnau und seinem Drehbuchautor Carl Mayer wird daraus ein monströses Drama pekuniärer und sexueller Gier - und ein Hohngesang auf die Ehe", schreibt der Schauspieler und Publizist Hans Zischer in seinem Text zur DVD-Edition.
Ob Komödie, Drama oder Genrefilm - das Weimarer Kino war unglaublich vielfältig in seiner ästhetischen und thematischen Ausprägung. In Kürze wird man sich bei der Berlinale auch ein Bild über den großen internationalen Einfluß des Weimarer Kinos machen können.
Die zehnteilige Edition der SZ enthält außer den deutschen Filmen auch noch David Wark Griffiths Monumentalepos "Intoleranz", Chaplins "Lichter der Großstadt" und Cecil B. DeMilles "Irrwege einer Ehe".