Drakonisches Urteil
11. Juni 2014Alaa Abdel Fattah wirkt gefasst, als er am frühen Mittwochmorgen (11.06.2014) in ein Café in der Nähe des Gerichtsgebäudes kommt. Er begrüßt seine Freunde, die ihn an diesem Tag zur Verhandlung begleiten wollen. Einer von ihnen, Muhamad El-Noubi, ist ebenfalls angeklagt, gegen das ägyptische Demonstrationsgesetz verstoßen zu haben, das im vergangenen Jahr erlassen wurde. Das Gefängnis, in dem auch Ex-Präsident Mohammed Mursi sitzt, ist in Sichtweite.
Abdel Fattah bestellt einen Tee, doch er kommt nicht dazu, ihn zu trinken. Er wisse nicht, wann die Verhandlung beginne, sagt der bekannte Aktivist. Der Richter sei noch nicht erschienen, so die Info des Sicherheitsdienstes des Gerichts. Plötzlich kommt ein Anruf. Abdel Fattahs Vater, der ihn auch als Anwalt vertritt, ist am anderen Ende. Abdel Fattah springt auf, sein Gesicht wird bleich, er schreit ins Telefon: "Was? Was? Was?"
Im Eilverfahren verurteilt
Fünfzehn Jahre Haft lautet das Urteil, das ein Schnellgericht gegen ihn und 24 weitere Aktivisten verhängt hat - in Abwesenheit der Angeklagten. Der Richter hat es offensichtlich nicht für nötig gehalten, Anwälte oder Beschuldigte zu dem Prozess einzuladen. Dabei wusste die Polizei, dass Alaa Abdel Fattah und Mohamad El-Noubi vor dem Gericht warteten. Unmittelbar nach dem Anruf kommt ein Polizei-Offizier in Zivil in das Café und verhaftet die Beiden. Widerstandslos überreichen sie ihm ihre Personalausweise und verschwinden mit dem Polizisten hinter dem schwarzen Stahltor in der Einfahrt des Gerichtsgebäudes.
Rückblende: Am Abend zuvor war Alaa Abdel Fattah, der einen zweijährigen Sohn hat, gut gelaunt. Zusammen mit anderen feierte er den Geburtstag eines Freundes im "Griechischen Klub", einem Restaurant im Kairoer Zentrum. Es wurde gegessen, geredet und gelacht. Er habe keine Lust, ein Interview zu geben. Er wolle die letzten Stunden seiner Freiheit genießen, sagte er und lachte. Für die nächsten zwei Jahre werde er keine Termine festmachen, hatte er stets gesagt - als Galgenhumor könnte man das interpretieren im Hinblick auf das Urteil jetzt. Dass er wieder ins Gefängnis kommt, damit hatte Abdel Fattah fest gerechnet. Aber nicht mit 15 Jahren Haft.
Alaa Abdel Fatah gilt als eine Symbolfigur des Arabischen Frühlings. Er war aber schon lange davor Aktivist und Blogger. 2005 hatte er beim Blogger-Wettbewerb BOBs der Deutschen Welle den "Reporter-ohne-Grenzen"-Preis erhalten. In Ägypten wurde kein Bürgerrechtler so oft verhaftet wie er. "Wenn die Machthaber Härte gegen säkulare Aktivisten zeigen wollen, dann nehmen sie Alaa Abdel Fattah als erstes fest", sagt ein Freund von ihm.
2006, unter der Mubarak-Herrschaft, wurde er verhaftet, weil er für mehr Unabhängigkeit der Justiz protestiert hatte. Nach der Revolution setzte er sich dafür ein, dass Zivilisten nicht vor Militärgerichte gestellt werden. Deshalb wurde er 2011 noch einmal verhaftet - diesmal waren die Muslimbrüder an der Macht. Und dann wieder im November 2013 unter der Herrschaft des Militärs, weil er zum Protest gegen die neue Verfassung und das restriktive Demonstrationsgesetz aufgerufen hatte - das wird ihn nun voraussichtlich 15 Jahre lang die Freiheit kosten.
Erstes Urteil gegen Bürgerrechtler in der Ära al-Sisi
Die Nachricht vom Urteil hat sich wie ein Lauffeuer im Netz verbreitet. Die Reaktionen reichen von Empörung über Bestürzung und Wut. Die Demokratie-Bewegung "6. April" beispielsweise hat im Internet ein Bild von Justitia gepostet, die Göttin der Gerechtigkeit: Unter grauem Himmel rammt sich Justitia ihr Schwert in die Brust, die Waage fällt ihr aus den Händen. Auch die Bewegung "06. April", die maßgeblich am Sturz von Husni Mubarak beteiligt war, hat die neue Gangart der Justiz bereits zu spüren bekommen. Ihre Gründer, unter ihnen der bekannte Aktivist Ahmed Maher, sitzen seit Ende 2013 im Gefängnis. Die Bewegung selbst ist seit Ende April verboten.
Das Urteil gegen Alaa Abdel Fattah und die weiteren Angeklagten ist das härteste, das je gegen einen Aktivisten gefällt wurde - und das erste unter dem neuen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi. Dieser hat schon in seiner ersten Ansprache nach der Amtseinführung am Sonntag (08.06.2014) gesagt, dass Sicherheit und Stabilität bei ihm ganz oben auf der Agenda stehen. Wie man dem heutigen Urteil entnehmen kann: auch auf Kosten von Menschenrechten. Das Urteil gibt somit einen Vorgeschmack darauf, wie al-Sisi Ägypten regieren möchte in den kommenden Jahren: nicht viel anders als in der Ära Mubarak, da sind sich Menschrechtsaktivisten einig.