Dr. Oetker und die Nazis
21. Oktober 2013Sein Name steht auf Pizzaschachteln, Puddingverpackungen und Backpulvertütchen. Dr. Oetker zählt zu den bekanntesten Familienunternehmen Deutschlands. Fast 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gibt das Unternehmen jetzt eine Studie über seine Vergangenheit in der Zeit des Nationalsozialismus heraus. Dr. Oetker ist damit eines der letzten. Viele andere deutsche Unternehmen haben sich schon vor Jahren dieser Aufgabe gestellt. Der Münchner Historiker Jürgen Finger hat an der Oetker-Studie mitgewirkt. Er weiß, warum die Aufarbeitung so lange auf sich warten ließ.
"Der langjährige Firmenpatriarch Rudolf-August Oetker hatte mit seinen acht Kindern nie über die NS-Zeit gesprochen und sich gegen die Aufarbeitung der Firmengeschichte gewehrt", sagt Finger. Doch sein Sohn und Nachfolger August Oetker habe das Bedürfnis gehabt, die Geschichte des Unternehmens fundamental aufarbeiten zu lassen, so Finger im DW-Interview. Die Studie der Historiker von der Münchner Ludwig Maximilians Universität bringt nun Licht ins Dunkel.
Familie Oetker suchte die Nähe zu Adolf Hitlers Regime
Und dunkle Flecken gibt es in der Geschichte des Pudding-Herstellers genug. Wie viele Industrielle suchte auch der damalige Firmenchef Richard Kaselowsky die Nähe zum Nationalsozialismus. Kurz nach der Machtergreifung von Adolf Hitler trat Kaselowsky in die Nazi-Partei NSDAP ein. Immer wieder spendete er größere Beträge an einen der führenden Nationalsozialisten: an den Reichsführer der SS, Heinrich Himmler. Auch Kaselowskys Stiefsohn und Nachfolger in der Firmenführung, Rudolf-August Oetker, hatte keine Berührungsängste mit den Machthabern im "Dritten Reich". 1941 meldete er sich freiwillig zur Waffen-SS, die unter anderem die Wachmannschaften in den Konzentrationslagern stellte.
Auch Zwangsarbeiter seien im Unternehmen eingesetzt worden, wenngleich nicht in den Stammwerken, heißt es in der aktuellen Studie aus München. Für den Bonner Historiker Joachim Scholtyseck ist das keine Überraschung: "Wirklich sauber war kein Unternehmen im Zweiten Weltkrieg. Jeder musste Zwangsarbeiter einsetzen, wenn die eigenen Mitarbeiter an der Front gekämpft haben." Selbst strikte Regimegegner wie der Industriefabrikant Robert Bosch.
Scholtyseck hat sich auf Wunsch der Unternehmerfamilie Quandt mit der Vergangenheit des Automobilhersteller BMW beschäftigt. Der Bonner Historiker spricht von einer regelrechten Welle von Forschungsprojekten zur Rolle deutscher Unternehmen im Nationalsozialsozialismus: "Das begann zur Zeit um die Jahrtausendwende, als die Deutsche Bank eine große Studie in Auftrag gab". Viele Aktiengesellschaften, wie Daimler oder Volkswagen, folgten mit Veröffentlichungen über ihre Unternehmensgeschichte im Dritten Reich.
Immer weniger Zeitzeugen
"Das liegt unter anderem daran, dass eine Generationenverschiebung in den Unternehmen stattgefunden hat", sagt Scholtyseck. Diejenigen, die in der Unternehmensführung saßen und selbst noch mit Zwangsarbeitern im Krieg zu tun hatten, seien nun nicht mehr da und bildeten keine Hürde mehr, um die Wahrheit ans Licht zu bringen. "Je länger das Dritte Reich zurückliegt, umso leichter ist es, sich damit zu beschäftigen". Aktiengesellschaften hätten es vor 15 Jahren zudem noch einfacher gehabt als Familienunternehmen: "Da hängt kein persönlicher Bezug mit dran, weil in der Chefetage die Väter sitzen."
Deshalb würden Familienbetriebe auch erst seit Kurzem verstärkt in die Aufklärung ihrer Geschichte investieren, nachdem die damals handelnden Personen gestorben sind, und sich nicht mehr gegen Nachforschungen stellen können. Interesse an der eigenen Geschichte hätten Firmen zwar auch schon in den 1960er Jahren gehabt, so Scholtyseck. Damals seien Chroniken, die es etwa zu Jubiläen gab, aber geschönt worden.
Ein möglicher Grund für die plötzliche Offenheit: öffentlicher Druck. "Auch Behörden sind heutzutage transparent und da wollen die Firmen nicht außen vor stehen", meint Historiker Scholtyseck. Und nicht zuletzt spiele bei vielen die Angst mit, dass ein anderer dunkle Passagen in der Firmengeschichte aufdecken könnte. So war es etwa bei der Familie Quandt, die nach einem Fernsehfilm über die Nazi-Vergangenheit der Familie die eigene Studie bei der Universität Bonn in Auftrag gab. "Heute sagen die Unternehmen deshalb: Wir machen das lieber selbst", sagt Scholtyseck.
Auch der Einzelhandelskonzern Tengelmann lässt gerade seine NS-Vergangenheit erforschen. Dann haben die meisten Unternehmen ihre Vergangenheit aufgearbeitet, schätzen die Wissenschaftler.