DR Kongo: Abmarsch für Blauhelmsoldaten gefordert
12. August 2023"Präsident [Félix] Tshisekedi hat kein Vertrauen mehr in die MONUSCO. Es ist ihm ernst mit dem Abzug." So beschreibt Onesphore Sematumba, Analyst bei der Denkfabrik Crisis Group am Sitz Nairobi das Verhältnis zwischen der Regierung in Kinshasa und der "Mission der Vereinten Nationen zur Stabilisierung der Demokratischen Republik Kongo" (MONUSCO).
Tshisekedi sei enttäuscht, weil die Blauhelme nicht zusammen mit der kongolesischen Armee gegen die Miliz M23 kämpfen, sagt Sematumba. Die M23 hält Gebiete in der Provinz Nord-Kivu im Nordosten des Landes besetzt und schneidet Transportwege zur Provinzhauptstadt Goma ab. UN-Generalsekretär António Guterres und MONUSCO-Chefin Bintou Keita haben mehrfach erklärt, dass die Blauhelme der M23 nicht gewachsen seien.
Sowohl die Regierung als auch die Mission beteuern, es werde an einem Abzugsplan für die MONUSCO gearbeitet, die Rede ist von einem "Jahr des Übergangs". Ende Dezember stehen mehrere Wahlen im Kongo an, die Regierung versucht, das Volk mit der Aussicht auf den MONUSCO-Abzug für sich zu gewinnen.
Bescheidene Bilanz nach zwei Jahrzehnten
Die Blauhelmsoldaten sind in den Provinzen Nord-Kivu, Süd-Kivu und Ituri im Osten des Landes stationiert. Obwohl die Vereinten Nationen (UN) seit mehr als zwei Jahrzehnten im Kongo präsent sind, leidet die Bevölkerung unter Übergriffen der Milizen - und Teilen der kongolesischen Armee. Die Menschenrechtsbeobachter des Kivu Security Tracker registrierten seit 2017 mehr als 10.500 Opfer von Entführungen und mehr als 11.600 gewaltsame Todesfälle (Stand 11.08.2023).
"Die Mission ist gescheitert", urteilt Menschenrechtsaktivist Bienvenu Matumo von der Bürgerbewegung "Kampf für den Wandel" (französische Abkürzung: LUCHA). Die MONUSCO schaffe es nicht, die Zivilbevölkerung zu beschützen und die mehr als 100 Milizen im Ostkongo zu entwaffnen, kritisiert er.
Matumo erzählt, die MONUSCO rücke selbst dann nicht aus, wenn Überfälle in ihrer Nähe passierten. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat solche Fälle dokumentiert. So wurden zum Beispiel am 12. Juni in einem Flüchtlingslager in Ituri 46 Menschen, darunter 23 Kinder, getötet - nur sechs Kilometer von einer MONUSCO-Kaserne entfernt.
Autopanne verhindert Hilfe
Der Kommandant der Truppe begründete das Nicht-Eingreifen gegenüber Human Rights Watch damit, dass ein Fahrzeug kaputt gewesen sei. Der generelle Vorwurf, die Blauhelme kämen oft zu spät, ist nicht neu. "Wir arbeiten in einem Gebiet ohne Infrastruktur. Fünf Kilometer in so einem Gebiet entsprechen 100 Kilometer anderswo", sagt Khadi Lo Ndeye, Sprecherin der MONUSCO in Kinshasa.
Für die Bevölkerung ist es schwer nachvollziehbar, dass die UN-Soldaten an schlechten Pisten oder Fahrzeugpannen scheitern. Mehrfach hat sich die Wut in gewaltsamen Demonstrationen entladen, bei denen UN-Soldaten und Zivilisten getötet wurden.
Staaten wollen Tote in eigenen Reihen vermeiden
Das Misstrauen zwischen der MONUSCO und der Bevölkerung sieht Veronika Weidringer als Folge eines strukturellen Problems bei UN-Einsätzen. Sie arbeitet seit 18 Jahren in verschiedenen Ländern im zivilen Bereich für Friedensmissionen. Unter anderem war sie 10 Jahre lang für die MONUSCO tätig. Die Länder, die die UN-Truppen stellen, "wollen Tote in ihren Reihen vermeiden", sagt sie. Deshalb würden sie Zurückhaltung üben, was zu Frustration der Bevölkerung führe.
Die MONUSCO beschäftigt 14.000 Soldaten, Offiziere und militärische Berater. Mit einem Jahresbudget von 1,1 Milliarden Dollar ist die MONUSCO eine der teuersten Friedensmissionen der UN.
MONUSCO bringt Immobilienboom
Ein Teil des Geldes kommt dem Kongo zugute, was die MONUSCO ungeachtet ihrer Unbeliebtheit zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor macht. So beschäftigt die Mission mehr als 1500 kongolesische Zivilisten zu überdurchschnittlichen Löhnen. Die Präsenz zahlreicher ausländischer MONUSCO-Angestellter kurbelt zudem den Immobilienmarkt in Goma an.
"Dass die MONUSCO Häuser und Gelände von Privatpersonen mietet, heißt, dass das Geld in die lokale Wirtschaft fließt. Das macht aus Goma eine florierende Stadt", sagt Yvette Mwanza Mwamba, Vorstandsmitglied des Unternehmerverbands in Nord-Kivu. Sie plädiert für einen graduellen Abzug der MONUSCO, damit sich Besitzer von Immobilien, Supermärkten, Bars und Restaurants sowie Marktfrauen, Hausangestellte und Tagelöhner nach anderen Kunden umschauen können.
Stewart Muhindo, der ebenfalls der Bürgerbewegung LUCHA angehört, verlangt dagegen den sofortigen Abzug "aller Soldaten, die nicht kämpfen". Nur die schnelle Eingreiftruppe der MONUSCO solle bleiben. Die 3000 Soldaten dieser Eingreiftruppe haben das Mandat, die Bevölkerung mit allen militärischen Mitteln zu schützen, und auch ohne die kongolesische Armee zu kämpfen. "Sie muss aktiv gegen die Milizen vorgehen und sie entwaffnen", fordert Muhindo.
Zivile Abteilungen sollen bleiben
Die zivilen Abteilungen der MONUSCO könnten nach Ansicht von LUCHA zunächst im Kongo bleiben. Dazu gehöre etwa das Büro, das Verstöße gegen Menschenrechte erfasst. Nach rund zwei Jahren, so schätzt Muhindo, wenn die Kompetenzen an kongolesische Organisationen übergeben worden sind, könnten die zivilen Abteilungen ebenfalls gehen.
Analyst Sematumba warnt dagegen vor einem sofortigen Abzug des UN-Militärs, da die heimische Armee und Polizei nicht ausreichend ausgebildet seien, um die Bevölkerung zu schützen. In jedem Fall müsse die Bevölkerung vor Ort einbezogen werden, um die Details des Abzugs festzulegen. Sematumba erwartet, dass das Mandat der MONUSCO im Dezember erneut um ein Jahr verlängert wird, aber mit weniger Soldaten.