Doping: "Eine relative große Geschichte"
20. März 2019Man kann die Geschichte des Erfurter Doping-Netzwerkes mit einer Frage beginnen: Wer ist eigentlich der Geschädigte? Natürlich gibt es eine ganze Menge davon: die saubere Konkurrenz, die getäuschte Öffentlichkeit, Sponsoren - und auch die dopenden Athleten. Was zunächst seltsam klingt, erschließt sich auf den zweiten Blick: Die Sportler, die sich beim Erfurter Arzt Mark S. Doping-Kuren unterzogen, taten dies zwar freiwillig. Aber ihre Gesundheit wurde dabei massiv gefährdet, wie Oberstaatsanwalt Kai Gräber am Mittwoch bei einer Pressekonferenz in München ausführte: "Es haben Personen Blutentnahmen und -Rückführung vorgenommen, die keine medizinische Ausbildung genossen haben." Bluttransfusionen und medizinische Behandlungen durch Laien im "learning by doing"-Verfahren, wie Gräber es nannte? Manche Sportler hätten vor Langstreckenflügen einen Liter Blut reinjiziert bekommen, was durchaus gefährlich sei, betonte Gräber. Und noch mehr: Bei einem Athleten wurde ein Präparat getestet, dessen Wirkung völlig unbekannt gewesen sei. Sportler als Testkaninchen eines lukrativen Doping-Netzwerks?
Doping auch bei Olympia und beim Ironman?
Wie lukrativ die Gruppe um den Arzt aus Erfurt arbeitete verdeutlichte Gräber ebenfalls: "Der Hauptbeschuldigte hat sich seine Dienste mit 4000 bis 12.000 Euro pro Athlet und Saison bezahlen lassen." Insgesamt seien 21 Athleten aus acht europäischen Ländern Kunden des Netzwerks, "ein kleiner Prozentsatz davon sind Frauen", so Gräber. Die Sportlerinnen und Sportler kämen aus fünf Sportarten, drei davon aus dem Bereich Wintersport. Diese Athleten haben von 2011 an bis zu den Doping-Razzien bei den nordischen Ski-Weltmeisterschaften Ende Februar im österreichischen Seefeld eine dreistellige Anzahl von Bluttransfusionen bekommen. Und das Netzwerk agierte dabei weltweit: Das Blutdoping sei unter anderem in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Finnland, aber auch in Südkorea und auf Hawaii vorgenommen worden. Die letzten beiden Standorte legen Doping bei den Olympischen Winterspielen im südkoreanischen Pyeongchang sowie beim Ironman der Triathleten auf Hawaii nahe.
Und die Aufarbeitung geht weiter: Aus ermittlungstaktischen Gründen wolle man weder die Sportarten noch die Namen der Athleten zum jetzigen Zeitpunkt nennen. Gräber teilte zudem mit, dass eine fünfte Person aus dem Doping-Netzwerk des Hauptbeschuldigten Sportarztes Mark S. am Montag festgenommen worden sei. Sie habe mutmaßlich Blutbeutel transportiert und auch Blutabnahmen und Blutrückführungen bei Athleten vorgenommen. "Wir haben eine spannende Geschichte mit vielen Wendungen, bei der die letzten Kapitel längst noch nicht geschrieben sind", erklärte Gräber, der mit "erheblichen Strafen" gegen die Beschuldigten Sportler und Helfer rechnet. Deutschland hatte Ende 2015 ein Anti-Doping-Gesetz verabschiedet, das staatliche Ermittlungen ermöglicht und Gesundheit, Fairness und Chancengleichheit im Sport sichern soll.
Die Beweislast ist "erdrückend"
Ausgangsort des Netzwerkes war Erfurt, wo der Arzt Mark S. seine Praxis betrieb. Der ehemalige Teamarzt der Radsportställe Gerolsteiner und Milram baute dort nach Aussage der Ermittler einen Doping-Ring auf, der seine Kunden mit Eigenblut versorgte. "Wir haben in einer Garage in einem Kühlschrank circa 40 Blutbeutel gefunden. Diese sind mit Kürzeln versehen", sagte Gräber, der alle rechtlich zulässigen Maßnahmen ergreifen will, um die Blutbeutel Sportlern zuzuordnen. Die Beweislast sei "erdrückend".
Der aufgedeckte Skandal sei "eine relative große Geschichte", meinte Gräber, auch weil man mehr Sportler ermitteln werde als bei der Aufdeckung des Skandals um den spanischen Dopingarzt Eufemiano Fuentes 2006. Damals kassierte der Ermittlungsrichter in Madrid wichtige Unterlagen ein, das Verfahren lieferte kaum belastbare Informationen. Gräber ist mit Blick auf das Erfurter Netzwerk "sehr optimistisch, dass alle Blutbeutel zugeordnet werden können". Auch weil der Austausch mit der NADA sehr eng sei.
Die Pressekonferenz in München fand eigentlich anlässlich des zehnjährigen Bestehens der Münchner Schwerpunktstaatsanwaltschaft zur Bekämpfung der Doping-Kriminalität statt. In diesem Zeitraum hat die Behörde 7100 Ermittlungsverfahren durchgeführt, teilte der bayerische Staatsminister Georg Eisenreich mit. Um den Kampf gegen Sportbetrug noch effektiver zu machen, forderte er weitere Verbesserungen des Anti-Doping-Gesetzes. "Unsere wichtigste Forderung ist eine Kronzeugenregelung", sagte der CSU-Politiker. Aussagewillige Sportler sollten weitgehend von Strafverfolgung befreit werden können. Auch im aktuellen Fall Seefeld/Erfurt war alles durch einen Whistleblower in Gang gekommen: den Langläufer Johannes Dürr.