Russlands Regierung schwer belastet
7. Juni 2016Die russische Regierung soll nach Recherchen der ARD-Dopingredaktion direkt an der Vertuschung des staatlich gesteuerten Dopings beteiligt gewesen sein. Das seien die Ergebnisse der Dokumentation "Geheimsache Doping: Showdown für Russland", erklärte der WDR. Beschuldigt wird namentlich Russlands Sportminister Witali Mutko.
In dem Film werden Belege gezeigt, die darauf hinweisen, dass Mutko an der Vertuschung des Dopingvergehens eines Fußballers des russischen Erstligisten FK Krasnodar - 2015 Gegner von Borussia Dortmund in der Gruppenphase der Europa League - beteiligt gewesen sein könnte. Die Anschuldigung gegen Mutko basiert auf einem vertraulichen E-Mail-Verkehr zwischen Sportministerium und Doping-Kontrolllabor. Er wurde dem ARD-Rechercheteam um Hajo Seppelt von einer auf der Gehaltsliste des Ministeriums stehenden Person zugespielt. Demnach geht es in dem Fall um die positive Probe des Fußballers vom 17. August 2014, bei der das verbotene Mittel Hexarelin analysiert wurde. "Die Entscheidung soll mit WL abgestimmt werden", schrieb darin ein Mitarbeiter des Ministeriums an das Labor. "WL" sollen die Initialen für Mutko sein, der zwei Vornamen hat: Witali Leontijewitsch.
Die positive Probe wurde laut ARD nie veröffentlicht, der Fußballprofi nicht gesperrt. Mutko gehört dem Council des Fußball-Weltverbandes FIFA an und ist Vorsitzender des Organisationskomitees der WM 2018 in Russland. Die Anschuldigungen gegen ihn dürften auch einen Schatten auf den ersten EM-Auftritt Russlands am Samstag in Marseille gegen England werfen. Für Mutko ist das kein Grund, nicht nach Frankreich zu fliegen. "Natürlich reise ich zur EM", sagte Mutko, der auch Präsident des russischen Fußballverbandes ist, am Mittwoch.
Kreml weist Vorwürfe zurück
Der Kreml hat die in der ARD-Dokumentation geäußerten Vorwürfe gegen Mutko zurückgewiesen. Die Führung in Moskau kämpfe gegen die Einnahme verbotener Mittel und nehme Verleumdungen nicht einfach hin, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. "Das bedeutet nicht, dass wir irgendwelche unbegründeten Behauptungen und unbewiesenen Anschuldigungen hinnehmen", erklärte Peskow der Agentur Interfax. In der ARD-Doku wird auch Mutkos Beraterin, Natalia Schelanowa, Doping-Vertuschung vorgeworfen. In einem dem TV-Sender vorliegenden und vom früheren Moskauer Kontrolllaborleiter Grigori Rodschenkow verfassten Dokument wird behauptet, dass sie sich permanent in die tägliche Arbeit des Labors eingemischt habe. Und nicht nur das. Außerdem soll die russische Anti-Doping-Beauftragte absichtlich Kontrollpläne für Athleten der internationalen Ski- und Biathlon-Verbände untergraben haben. Schelanowa wird in dem Dokument auch beschuldigt, Zahlungen und Bestechungsgelder an den Leichtathletik-Weltverband IAAF ausgehandelt zu haben, um positive Tests russischer Sportler geheim zu halten.
Damit erhält der generelle Verdacht, dass Russlands Regierung an der Vertuschung des staatlich gesteuerten Dopings beteiligt sein könnte, neue Nahrung. Die von der IAAF für den 17. Juni angekündigte Entscheidung, ob die Suspendierung des russischen Verbandes aufgehoben wird oder der Bann für die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro bestehen bleibt, wird damit noch mehr belastet.
Gesperrter Trainer noch im Amt
Und damit nicht genug: Der ARD-Film zeigt neue Filmaufnahmen, die dokumentieren sollen, dass der wegen Dopings lebenslang gesperrte frühere Geher-Cheftrainer Wiktor Tschegin offenbar noch immer die besten Athleten des Landes trainiert. Er hatte jahrelang die russische Medaillenschmiede in Saransk geleitet - zwei Dutzend seiner Schützlinge wurden als Doper erwischt. Entdeckt hat die ARD ihn offenbar in Adler nahe der Olympiastadt Sotschi, als er im Minibus eine Trainingsgruppe von Elitegeher begleitete. Hinter getönten Glasscheiben sind nur Schemen seines Gesichts erkennbar, doch im Auftrag der ARD identifizierte ein Gesichtserkennungsexperte den Coach zu "95 bis 99 Prozent". Dabei hatte Mutko der ARD im April in einem Interview noch versichert: "Tschegin arbeitet nicht mehr. Er arbeitet überhaupt im Sport nicht mehr."
Ermittlungen gegen Sportfunktionäre
Im Rahmen der Aufarbeitung des Dopingskandals in Russlands Leichtathletik hat die russische Justiz unterdessen Ermittlungen gegen mehrere ehemalige Sportfunktionäre aufgenommen. Das teilte die zuständige Moskauer Ermittlungsbehörde am Mittwoch mit. Im Fokus stehen demnach Personen, die in Führungspositionen des Leichtathletik-Verbandes zwischen 2009 und 2013 "ihren Einfluss missbraucht und damit zur Verurteilung russischer Leichtathleten beigetragen" hätten.
Sollte den Beschuldigten ein Vergehen nachgewiesen werden, werde man sie "mit voller Härte des Gesetzes bestrafen", hieß es in dem Statement. Im russischen Justizsystem droht bei "Amtsmissbrauch" eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren.
asz/ml (dpa, sid)