Unabhängige Untersuchung "absolut notwendig"
30. April 2015DW: Frau Donovan, die Vergewaltigungen sollen in der Nähe von Flüchtlingslagern in der Zentralafrikanischen Republik in den Jahren 2013 und 2014 geschehen sein. Haben Sie bereits mehr Details über die Verbrechen, die an den Kindern begangen worden sein sollen?
Paula Donovan: Bisher wissen wir von etwa zehn bis zwölf Kindern, die den Vereinten Nationen (UN) bekannt sind, die von verschiedenen französischen Soldaten sexuell missbraucht worden sein sollen. Sechs der Kinder sind bereits befragt worden von den UN, von der Hilfsorganisation Unicef und der Kommission für Menschenrechte vor Ort. Die Interviews haben im Mai und im Juni 2014 stattgefunden. Die Kinder erzählten, dass sie für kleine Essensrationen oder Wasser von den Soldaten zum Oralverkehr gezwungen wurden. Die Soldaten haben individuell gehandelt oder auch im Team. Es scheint sich nicht um einen Ring von Pädophilen zu handeln, sondern eher um einzelne Soldaten, die wahllos Kinder missbrauchen, die sich in ganz unterschiedlichen Notlagen befinden. Die Kinder sind oft obdachlos, sie leben auf der Straße, einige haben ihre Eltern im Konflikt verloren, sie sind hungrig, verzweifelt.
Wenn wir von Vergewaltigungen in Konfliktgebieten hören, sind die Opfer meist Frauen und Mädchen. Die Betroffenen in diesem Fall sind offensichtlich viele Jungen.
Alle befragten Kinder sind Jungen. Und auch die Kinder, die sie in den Interviews erwähnen, sind alles Jungen.
Der Whistleblower, ein UN-Mitarbeiter, wurde für die Weitergabe der Informationen an die französischen Behörden vom Dienst suspendiert. Was sagt uns das über die Bereitschaft der Vereinten Nationen, diesen Fall aufzuklären?
Ich verstehe nicht, warum die Aufmerksamkeit so sehr auf die Person gerichtet wird, die diese Informationen der französischen Staatsanwaltschaft übergeben hat. Ich habe nicht persönlich mit dem UN-Mitarbeiter gesprochen. Aber aus den Hinweisen, die ich habe, würde ich schließen, dass es sich weniger um einen Fall des Geheimnisverrats handelt. Ich glaube, hier ist eher ein Dokument weitergegeben worden, ohne den vorschriftsgemäßen Weg des Protokolls der UN einzuhalten.
Angesichts der schrecklichen Situation in der Zentralafrikanischen Republik, angesichts solch massiven Fehlverhaltens auf höchster Ebene der Vereinten Nationen und solch abscheulicher Vergehen an Kindern kann ich dieses einseitige Fokussieren auf diese Person nicht nachvollziehen. Das Dokument wäre früher oder später ohnehin bei den französischen Behörden gelandet. Ich sehe keinen logischen oder auch ethischen Sinn darin, die direkte Weitergabe an die französischen Behörden als ein so schwerwiegendes Fehlverhalten einzuschätzen im Vergleich zu diesen widerlichen Verbrechen, die dort geschehen sind.
Was sollte Ihrer Meinung nach jetzt geschehen?
Alle involvierten Institutionen sollten jetzt jegliche erforderlichen Mittel bereitstellen für eine strafrechtliche Untersuchung. Den betroffenen Kindern muss so schnell wie möglich geholfen werden. Mögliche weitere Opfer müssen gefunden werden. Alle müssen jetzt mobilisiert werden, das schließt die entsprechenden Abteilungen der Vereinten Nationen, aber auch ihre Mitgliedsstaaten mit ein.
Gleichzeitig ist der Umgang der UN mit solchen Delikten und die enorm hohe Zahl von Fällen sexueller Ausbeutung unter Angehörigen der Friedenstruppen sehr besorgniserregend. Nur selten scheinen solche Fälle ans Tageslicht zu kommen, es sei denn, die Medien berichten darüber.
Deshalb halte ich eine Untersuchung durch eine UN-unabhängige Kommission für absolut notwendig, die allen Hinweisen sexueller Ausbeutung und sexuellen Missbrauchs nachgeht, sowohl unter militärischen als auch zivilen UN-Kräften. Das muss die Hauptquartiere der UN miteinschließen und die Ebene des Managements und der Supervisor. Alle Mitgliedsstaaten der UN sollten sich jetzt für eine solche Untersuchung einsetzen.
Die US-Amerikanerin Paula Donovan ist Menschenrechtsaktivistin und Ko-Direktorin der Organisation AIDS-Free World. Ein Großteil ihrer Arbeit widmet Donovan der Gleichberechtigung von Frauen.
Das Interview führte Isaac Mugabi.