"Ich bewundere Länder, in denen die Vernunft regiert"
7. April 2019Im Rahmen der Usedomer Literaturtage sind Sie auf der sonnigen Ostseeinsel zu Gast. Sonnenschein, das Rauschen der Wellen, Vogelgezwitscher - wäre das ein idealer Ort für Sie um zu schreiben?
Es ist ein idealer Ort für einen Aufenthalt, mit der Nähe zum Meer und zum Strand. Um zu schreiben, brauche ich aber keinen besonderen Ort, sofern ich mich mindestens zehn Tage am Stück irgendwo aufhalten kann und nicht reisen muss. Ich brauche dafür einen Raum, einen Schreibtisch und meinen Computer, ansonsten kann das sein, wo es will.
Die Usedomer Literaturtage stehen in diesem Jahr unter dem Titel "Denk ich an Deutschland", der ersten Strophe aus Heinrich Heines berühmten Gedicht "Nachtgedanken". Viele Deutsche ergänzen diese Zeile wahrscheinlich gedanklich durch die zum geflügelten Wort gewordene Fortsetzung "Denk ich an Deutschland in der Nacht / dann bin ich um den Schlaf gebracht". Welche Überlegungen beschäftigen Sie, wenn Sie aktuell an Deutschland denken?
Ich bin Bürgerin eines Landes, das sich im Zustand eines permanenten Chaos befindet, jedenfalls kommt es mir so vor. Und ich habe viele Jahre in Italien gelebt, das sich in einem ähnlichen Zustand befindet. Deshalb muss ich Länder, in denen die Vernunft regiert, einfach bewundern. Und zu diesen gehört auch Deutschland. In Deutschland kümmert man sich um die Umwelt und versucht schon seit vielen Jahren, immer mehr alternative Energie zu nutzen. Da ich eine Umweltfanatikerin bin, kann ich das nur loben. Und das Land hat eine Frau an der Spitze, die ihre Aufgabe ernst nimmt, im Gegensatz zu den eben erwähnten Ländern.
Sie werden auch aus Ihrem neuesten Kriminalroman "Ein Sohn ist uns gegeben" lesen, dessen deutsche Übersetzung erst in ein paar Wochen erscheint. Können Sie schon verraten, in was für ein Abenteuer Commissario Brunetti diesmal hineingerät?
Ich lese zunächst aus meinem vorherigen Buch "Heimliche Versuchung" und nur kurz aus meinem noch unveröffentlichten Roman, in dem Brunetti gefordert ist, einen alten Freund der Familie davor zu bewahren, eine Entscheidung zu fällen, die dessen Freunde für falsch halten.
Ihre Kriminalromane werden in der ganzen Welt begeistert gelesen, aber ganz besonders in Deutschland. Können Sie sich einen Reim darauf machen, weshalb die Leserinnen und Leser hier das Erscheinen des nächsten Krimis immer kaum erwarten können?
Die Deutschen bewundern schon immer Italien und die vielen positiven Eigenschaften der Italiener. Vor allem mögen sie auch Venedig, und deshalb sind vielleicht auch Bücher, die das Leben in Venedig ruhig und realistisch nachzeichnen, für sie interessant. Meine Bücher sind keine Reiseführer, sondern Beschreibungen des alltäglichen Lebens, wie es wirklich ist.
Haben Sie jemals eine der in Deutschland äußerst beliebten Fernsehverfilmungen Ihrer Krimis gesehen?
Ich habe zwei davon gesehen.
Lesen Sie selber auch viele Kriminalromane?
Nein.
Welche Bücher stapeln sich aktuell neben Ihrem Lesesessel?
Die "Briefe" des römischen Schriftstellers Plinius der Jüngere, Honoré de Balzacs "Verlorene Illusionen" und die Gedichte von John Donne.
Seit einigen Jahren leben Sie in der Schweiz. Wie oft kehren Sie noch nach Venedig zurück?
Ich verbringe jeden Monat etwa eine Woche in Venedig.
Brauchen Sie den Reiz der Lagunenstadt als Inspiration für Ihr Schreiben?
Nein. Ich habe eine sehr deutliche Erinnerung an die Stadt, wie sie war, als ich in den späten Sechzigerjahren zum ersten Mal dorthin kam.
Musik bedeutet Ihnen sehr viel, vor allem Barockmusik. Sie unterstützen schon seit längerem ein Orchester. Sind Sie immer noch involviert?
Ja, ich arbeite mit dem italienischen Barockensemble Il Pomo d'Oro zusammen und werde fast den gesamten Mai mit dem Ensemble verbringen, wenn die Musiker proben, Aufnahmen machen und dann mit Händels Oper "Agrippina" auf Tour gehen werden.
Was fasziniert Sie so an Barockmusik?
Ich finde, es ist eine sehr heitere Musik, und bei Gott, ein bisschen Fröhlichkeit können wir immer gut gebrauchen. Während meines Studiums habe ich mich mit der Literatur des 18. Jahrhunderts beschäftigt. Schon von daher bin ich dieser Epoche mit ihrer Vorliebe für Ordnung und Regelmäßigkeit zugetan.
Spielen Sie selber auch ein Instrument?
Nein, und ich kann auch keine Noten lesen.
Lassen Sie uns noch einmal zum Thema dieser Literaturtage zurückkehren. Was kommt Ihnen in den Kopf, wenn ich nach "Denk ich an..." "Deutschland" durch "mein Heimatland" ersetze?
Ich vermeide es, viel darüber nachzudenken: Es ist ein bisschen zu peinlich zu lesen, was bestimmte Leute sagen, und noch schlimmer ist es, ihnen beim Sprechen zuzuhören. Aber das wird vorbei gehen, und die Dinge werden sich hoffentlich wieder bessern.
Die Fragen stellte Sabine Peschel
Donna Leon, geboren 1942 in New Jersey, arbeitete als Reiseleiterin in Rom und als Werbetexterin in London sowie als Lehrerin an amerikanischen Schulen in der Schweiz, im Iran, in China und Saudi-Arabien. Ihre "Brunetti"-Romane machten sie weltberühmt.
Donna Leon: Ein Sohn ist uns gegeben. Commissario Brunettis achtundzwanzigster Fall, aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz, Diogenes Verlag. Das Buch erscheint am 22. Mai 2019
Donna Leon: Heimliche Versuchung. Commissario Brunettis siebenundzwanzigster Fall, aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz, Diogenes Verlag 2018