Welchen Preis Sudan für die Öffnung zahlt
26. Oktober 2020Als US-Außenminister Mike Pompeo am 25. August seinen Staatsbesuch in Israel beendete, verabschiedete ein Diplomat ihn auf dem Rollfeld: "Sie begeben sich nun auf einen historischen Flug!" Pompeos Regierungsmaschine sollte als erstes Flugzeug in Israel starten und ohne Zwischenstopp im Sudan landen.
Nun, zwei Monate später ist der Grundstein gelegt, dass bald weitere Flüge folgen können: Der Sudan und Israel haben unter US-Vermittlung vereinbart, ihre Beziehungen insgesamt zu normalisieren. Der nordostafrikanische Staat zieht damit mit den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Bahrain gleich, die diesen Schritt im September besiegelt hatten - laut US-Präsident Donald Trump könnten weitere arabische Staaten folgen, darunter Saudi-Arabien.
Es ist ein Deal, von dem auf den ersten Blick jeder profitiert: Sudan wird von der US-Sanktionsliste genommen. Israel erhält - zur Freude insbesondere in den Emiraten - einen weiteren Verbündeten in der muslimischen Welt. Die USA erhalten Millionen, mit denen Opfer von Terroranschlägen entschädigt werden sollen. Und Trump kann sich wenige Tage vor der Präsidentschaftswahl als "Dealmaker" dieses Rundum-Erfolgs inszenieren. Doch auf den zweiten Blick birgt die Vereinbarung insbesondere für die Regierung in Khartum auch Risiken.
Wie kam es zum Friedensschluss zwischen Sudan und Israel?
Erste Anzeichen für das Tauwetter gab es im Februar, als der Sudan seinen Luftraum für Passagiermaschinen aus Israel öffnete. Sudans Abdalla Premierminister Hamdok versuchte, demokratische Mehrheiten zu organisieren. "Dann ging es auf einmal sehr, sehr schnell - und ohne Abstimmung im Land", sagt Theodore Murphy, Afrika-Direktor der spendenfinanzierten paneuropäischen Denkfabrik European Council on Foreign Relations (ECFR) im DW-Interview.
Aus sudanesischer Sicht kommt die Art und Weise der Einigung einer "Kapitulation" gleich, fürchtet Theodore Murphy: Hätten die USA den ersten Schritt gemacht, dann hätte der Sudan zeigen können, dass er ein "großzügiges Land ist und um einer guten Beziehung willen den Anderen gerne entgegenkommt."
Dann sei plötzlich alles sehr schnell gegangen, nachdem Trump die Vertreter Israels, der VAE und Bahrains im Weißen Haus versammelt hatte. Auch dieser Friedensschluss kam Trump gelegen, der in Umfragen hinter seinem Herausforderer Joe Biden liegt. Ab dann beschleunigte sich die Dynamik auch mit dem Sudan: "Es ist vom Timing her ziemlich opportunistisch", sagt Murphy.
Nicht so klar ist, welche Rolle die VAE im Hintergrund gespielt haben könnten: Nachdem die USA ihre Präsenz am Horn von Afrika verringert haben, erlangen die Emirate gemeinsam mit ihrem Nachbarn Saudi-Arabien zunehmend Einfluss als Regionalmächte. Nach ihrem Vorpreschen in Bezug auf Israel haben die Emirate ein recht naheliegendes Ziel im Sudan: "Die VAE wollen dabei nicht allein sein", sagt Murphy.
Welche direkten Auswirkungen hat das für Sudan?
Der Sudan steckt anderthalb Jahre nach der Entmachtung des Diktators Omar al-Baschir in einem langwierigen und schwierigen Transitionsprozess hin zu einer demokratischen Öffnung. Unter dem international geächteten Machthaber war das Land politisch isoliert und verarmte zunehmend. 1993 nahm der US-Kongress den Sudan auf die Liste der Staaten auf, denen er vorwarf, Terror zu unterstützen. Mit dem Vorwurf des "state-sponsored terrorism" waren sogenannte SST-Sanktionen verbunden, in ihrer Härte in etwa vergleichbar mit jenen gegen Iran.
Seit dem Ende des Baschir-Regimes wird immer wieder von verschiedenen Seiten gefordert, die einschneidenden Sanktionen aufzuheben. Eine entsprechende Beschlussvorlage lehnte der US-Senat allerdings kürzlich noch ab. Doch Präsident Trump unterbreitete sein Gegenangebot, indem er das Ende der Sanktionen versprach, um es mit seiner politischen Agenda zu verknüpfen, nämlich der diplomatischen Aufwertung Israels.
Vor knapp einer Woche kam dann der Durchbruch: Trump verkündete, er werde die SST-Sanktionen beenden, sobald der Sudan eine Entschädigung in Höhe von 335 Millionen US-Dollar (rund 285 Millionen Euro) überweise. Sie soll Überlebenden und Angehörigen der Opfer des Doppelanschlags auf die US-Botschaften in Nairobi und Daressalam 1998 zugutekommen. Grund: Osama Bin Laden, dessen Terrorgruppe Al-Kaida sich zu den Taten bekannt hatte, lebte jahrelang im Sudan - geduldet von der Regierung in Khartum.
Wie will der Sudan die Entschädigungen bezahlen?
"Der Sudan verfügt nicht über riesige Ressourcen", sagt Kristian Brakel von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Nennenswerte Devisenbringer in dem armen Land seien Transitgebühren für Erdöl aus dem Südsudan und Goldabbau in der Region Darfur. Jedoch sei die Summe von 335 Millionen US-Dollar "als Preis für den Anschluss an die Weltwirtschaft relativ klein", sagt Brakel im DW-Interview.
Allerdings bezweifelt ECFR-Experte Murphy, dass nun die Investoren Schlange stehen: "Es waren nicht nur die Sanktionen, die die Weltkonzerne aus dem Sudan ferngehalten haben. Gerade in dieser Corona-Zeit suchen Unternehmen nicht unbedingt abenteuerliche Märkte in Ländern, die im Übergang sind."
Was bedeutet das für den Übergangsprozess im Land?
Abdalla Hamdok, der Ministerpräsident der sudanesischen Übergangsregierung, geht mit der Israel-Vereinbarung ein hohes Risiko ein: In der Bevölkerung wie auch in seiner Regierungskoalition ist das Thema umstritten. Während für Islamisten ein Frieden mit Israel schon aus ideologischen Gründen verwerflich sei, seien viele Linke aus anderen Gründen dagegen, sagt Analyst Murphy: "Sie finden, dass die Regierung ihr Mandat und ihre Kompetenzen überschritten hat. Es sollte ja eigentlich eine Übergangsregierung sein - aber jetzt trifft sie eine Entscheidung mit langwierigen und ernsten Folgen für das Land."
Der Schritt könnte durchaus den Bestand der Übergangsregierung in Gefahr bringen. "Das sind Diktat und Druck aus dem Ausland", sagt Mohammed Wadaah, Führungsmitglied der sozialistischen Baath-Partei im Sudan und verkündet: "Unsere Partei wird die Unterstützung für die Übergangsregierung zurückziehen."
Wie kann die internationale Gemeinschaft helfen?
Nun sei Unterstützung aus Europa und insbesondere aus den USA gefragt, sagt Theodore Murphy. Da die Sanktionen nun Geschichte seien, hätte die Regierung in Washington die Möglichkeit, beim Internationalen Währungsfonds ein Entschuldungsprogramm für den Sudan anzustoßen. Für das nordostafrikanische Land müsse es schnell eine Dividende geben. Die Regierung in Khartum habe sich weit aus dem Fenster gelehnt, "jetzt muss auch etwas kommen."