Nachfolger für documenta-Chefin ernannt
18. Juli 2022Seit Monaten belasten ein Antisemitismus-Eklat und die schleppende Aufarbeitung der Vorkommnisse das Image der Weltkunstschau. Als Konsequenz legte Generaldirektorin Sabine Schormann am Samstag (16.07.2022) - nach einer nächtlichen Aufsichtsratssitzung hinter verschlossenen Türen - ihr Amt nieder. Beobachter aus Kultur und Politik werteten den Schritt als "überfällig". Abermals wurden Forderungen nach einer grundlegenden Reform der 100-tägigen Weltkunstschau laut.
Für diese Aufgabe wurde nun ein Nachfolger gefunden: Alexander Farenholtz wird Interims-Geschäftsführer der documenta. Das gab jetzt Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle, Aufsichtsratsvorsitzender der documenta, bekannt. Schon am 19. Juli tritt Farenholtz das Amt an, zunächst befristet bis zum 30. September 2022.
Farenholtz wolle nun Gespräche mit der künstlerischen Leitung der documenta aufnehmen, heißt es in der Pressemitteilung. Bei der Kunstschau ist er kein unbekanntes Gesicht: 1989 war Farenholtz für die Realisierung der documenta 9 unter der künstlerischen Leitung von Jan Hoet zuständig. 1996 verantwortete er das künstlerische Programm rund um die Expo in Hannover, von 2002 bis 2020 war er Verwaltungsdirektor der Kulturstiftung des Bundes.
Rücktritt von Sabine Schormann einhellig begrüßt
Der Rücktritt seiner Vorgängerin war mit Erleichterung aufgenommen worden. So begrüßte Kulturstaatsministerin Claudia Roth die Trennung des Aufsichtsrates der documenta von Schormann: "Es ist richtig und notwendig, dass nun die Aufarbeitung erfolgen kann, wie es zur Ausstellung antisemitischer Bildsprache kommen konnte, sowie die nötigen Konsequenzen für die Kunstausstellung zu ziehen", sagte die Grünen-Politikerin der "Frankfurter Rundschau". Sie sei bereit, so Roth, den Prozess zur Neuaufstellung "dieses so wichtigen Fixpunktes für die zeitgenössische Kunst weltweit" zu unterstützen.
Zentralrat der Juden: "Problem nicht ausgestanden"
Einen "überfälligen Schritt, der viel zu spät kommt", nannte der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, Schormanns Rückzug. "Die documenta, aber noch viel schlimmer, das Ansehen der Bundesrepublik hat durch das unverantwortliche Handeln immensen Schaden genommen", zitierte ihn die Nachrichtenagentur dpa. Das Problem mit der documenta fifteen sei mit dem Rücktritt Schormanns aber nicht ausgestanden. "Es sind noch viele, sehr viele Schritte zu gehen."
Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, nannte den Rücktritt Schormanns ebenfalls "überfällig". "Antisemitismus darf in keiner Form im Kulturleben akzeptiert werden", sagte er der "BILD-Zeitung", gleichgültig woher die Kulturschaffenden kämen. Klein verlangte, der Beschluss des Bundestags, der anti-israelische Boykottbewegung BDS (boycott, divestment &sanctions) entschlossen entgegenzutreten und Antisemitismus zu bekämpfen, solle künftig die verbindliche Richtschnur bei der Verwendung öffentlicher Gelder in der Kulturförderung sein. Nach Einschätzung von Remko Leemhuis, Direktor des American Jewish Committee, steht die Aufklärung der Vorgänge erst am Anfang, wie er ebenfalls der BILD sagte.
Auch Bundestagsabgeordnete der sozialdemokratischen SPD, der Grünen und der liberalen FDP begrüßten den Rückzug der Generaldirektorin. Der kulturpolitische Sprecher der SPD im Bundestag, Helge Lindh, sprach in der "Welt am Sonntag" von einem "Befreiungsschlag aus einem Teufelskreis von Missmanagement und Misskommunikation". Linda Teuteberg von der FDP erklärte, israelbezogener Antisemitismus sei "wie jede Erscheinungsform des Antisemitismus inakzeptabel." Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Marlene Schönberger forderte eine "Prüfung der Kunstwerke". Der Abgeordnete der rechtspopulistischen Partei AfD (Alternative für Deutschland), Marc Jongen, verlangte gar den Rücktritt auch von Kulturstaatsministerin Roth.
In den Medien löste der Rücktritt Schormanns ein vielstimmiges Echo aus. "Schormann musste gehen", notiert die Neue Zürcher Zeitung, "weil es der 60-jährigen Germanistin an Problembewusstsein mangelte, in der Anbahnung ebenso wie auf dem Höhepunkt des Skandals." Zu viele Fragen blieben offen, als dass die Weltausstellung jetzt zur Ruhe kommen könnte.
"Nun geht es darum, die Scherben aufzufegen und derartige Fehler in Zukunft nicht zu wiederholen", schreibt die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Schormann habe versucht, ihre Nicht-Aufsicht wieder und wieder mit der "Kunstfreiheit" zu rechtfertigen, erinnert die "Süddeutsche Zeitung". Mit solcher "Heuchelei" habe sich die Generaldirektorin "disqualifiziert". "Schwer beschädigt" sieht die "Welt am Sonntag" die Kasseler documenta, während "Die Welt" an Kulturstaatsministerin Roth appelliert, eine "Diskussion zu beginnen, wie der Israelhass im Kulturbetrieb zur Norm werden konnte."
Dies ist eine aktualisierte Fassung des Artikels.