Djukanovics Engelszunge
19. Februar 2016Montenegro, dessen politisches Schicksal Djukanovic länger lenkt als es Lukaschenko in Weißrussland tut, ist ein Land, in dem kritische Journalisten gefährlich leben. Das behaupten weder böse Oppositionellen noch serbische Unabhängigkeitsgegner sondern eine internationale Nichtregierungsorganisation – Reporter ohne Grenzen: "Die sozialdemokratische Partei, seit fast 20 Jahren an der Macht, führt Hasskampagnen gegen unabhängige Journalisten. Regelmäßig werden sie als "Volksverräter" oder "Faschisten" diffamiert". Unaufgeklärte Angriffe, sogar Morde und die Neigung der Regierenden zum Selbstgespräch bescherte Montenegro 2015 den Platz 114 auf der "Rangliste der Pressefreiheit" - gerade noch vor Katar und Tadschikistan und gleich nach Sambia.
Das ist die Rangliste einer Organisation, die exemplarisch für die Wertegemeinschaft steht, der sich Djukanovic, wie er gerne betont, in seiner Politik verpflichtet fühlt. Er behauptet, Montenegro habe normale Probleme, wie andere Länder in dieser Entwicklungsphase, jedoch die Wahrnehmung dieser Probleme sei bestimmt durch das Bild, das "Miloševićs politische Struktur" in den vergangenen Zeiten geschaffen habe.
Abgesehen davon, dass der vor zehn Jahren verstorbene Slobodan Milošević für montenegrinische Missstände im Jahre 2016 herhalten muss, ist die Aussage, die Probleme auf dieser Entwicklungsstufe seien normal, sachlich falsch. Alle Nachbarn von Montenegro haben eine freiere Presse. Kosovo ist auf der genannten Liste 27 Plätze vor Montenegro, Kroatiens Vorsprung beträgt sogar 56 Plätze und andere Nachbar – Serbien, Bosnien und Herzegowina und Albanien liegen dazwischen.
Das Land der "kleinen Gefälligkeiten"
"Transparency international" sieht Montenegro auf der Liste "Corruption Perceptions Index" auf der Position 61, etwa zehn Plätze nach Kroatien und zehn Plätze vor Serbien. Das heißt, dass Montenegriner die Korruption in ihrem Staate immer noch als Alltagsgeschäft einschätzen. Montenegro ist in diesem Feld in der Tat ein Teil der korrupten Region, allein diese Korruption ist im Vergleich zu den Nachbarstaaten nun kein Alleinstellungsmerkmal Montenegros wie zum Teil die vermisste Pressefreiheit. Zusammengenommen ist Montenegro weit entfernt von der "Zugehörigkeit zu einem neuen Wertesystem".
NATO – Wertegemeinschaft?
Milo Djukanovic meint auch, dass die Einladung der Nato, ein Mitglied des westlichen Militärbündnisses zu werden, die Krönung seiner Reformanstrengungen seit der Unabhängigkeitserklärung sei. Das sei eine historische Wende im Sinne der "Entscheidung für Zugehörigkeit einem neuen Wertesystem, dem Wertesystem der euroatlantischen Gemeinschaft".
Die Nato kann als Djukanovics "Wertegemeinschaft“ nicht durchgehen. Das ist ein Militärbündnis. Hier sind die Länder vertreten, die, wenn es um die Pressefreiheit geht, sicherlich nicht einmal die Aufnahmekriterien für die EU erfüllen würden, selbst wenn sie bereits EU-Mitglieder sind (Italien Platz 73), oder immer noch als EU-Anwärter gelten - wie die Türkei (Platz 149!). Und der erlebte Grad an Korrrumpierung in manchen Nato-Staaten lässt nichts Gutes vermuten (Rumänien, Bulgarien).
Vorsätzliche Verkürzungen
Gleichzeitig schließt die propagandistische Gleichsetzung der Nato mit der EU und der europäischen Wertegemeinschaft die wahren europäischen Vorreiter der Pressefreiheit und Korruptionsbekämpfung schlichtweg aus. So etwa Finnland - kein NATO-Mitglied - ist die weltweite Nummer eins bei der Pressefreiheit und die Nummer zwei auf dem "Corruption Perceptions Index". Sehr gut platziert sind weitere militärbündnisfreie Staaten wie Schweden, Österreich und die Schweiz.
Fazit: Milo Đukanović benutzt eine wohl überlegte Verkürzung: die NATO sei nicht nur als Garant der montenegrinischen Sicherheit zu verstehen sondern als Maßstab für den angeblich erreichten hohen Demokratisierungsstand. Wer gegen die Nato-Mitgliedschaft sei, sperrte sich gegen demokratischen Fortschritt in Montenegro. Diese Verkürzung ist nicht nur sachlich falsch sonder auch politisch schädlich. Sie vertieft die Spaltung der montenegrinischen Gesellschaft und vernebelt die wahren Probleme.
Warum tut dann Djukanovic das? Vielleicht weil er fast ein Vierteljahrhundert im Lande herrscht, das weit entfernt vom dem gern in den Interviews betonten "Wertesystem" bleibt. Und weil er früher oder später die politische und womöglich strafrechtliche Verantwortung für diese Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität übernehmen muss.