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"Der Beat hört nicht auf!"

Nikolas Fischer16. März 2015

Westbam hat den deutschen Techno geprägt. Nun ist er 50 geworden und hat eine Biografie veröffentlicht: "Die Macht der Nacht". Beides wurde in Berlin groß gefeiert. Das Buch lässt tief in die Techno-Szene blicken.

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DJ Westbam auf dem Summer-Rave 2010 in Berlin (Foto: Klaus-Dietmar Gabbert dpa/lbn pixel)
Bild: picture-alliance/dpa

"Westbam steht für mich ganz einfach für die Beats, auf die es sich zu tanzen lohnt", sagt Marco, 34 Jahre alt. "Stärkere, intensivere, energetischere Beats als das die Regel war, bis Westbam die DJ-Bühne betrat. Und auch stärkere als das, was heute wieder die Regel ist." Über 3000 Techno-Jünger haben sich am 14.03.2015 in der Berliner Columbiahalle zum "Maxrave" versammelt, zur Jubel-Veranstaltung für Maximilian Lenz. Die Boxen dröhnen, die Nebelmaschine arbeitet auf Hochtouren, die Lasershow taucht die Halle in ein Farbenmeer aus Grün, Rot und Blau. Westbam-Fan Marco ist aus der Nähe von Münster gekommen. Dem Münster in Westfalen, in dem Maximilian Lenz seine Kindheit und Teile seiner Jugend verbrachte. Und das auch seinen Künstlernamen prägt: Westbam ist eine Abkürzung von "Westfalia Bambaataa" - mit dem zweiten Teil des Namens ehrt Maximilian Lenz sein Vorbild, den New Yorker Hip-Hop-DJ "Afrika Bambaataa".

Buchcover des Buches von DJ Westbam: "Die Macht der Nacht" (Bild: Ullstein Buchverlag)
Buchcover von "Die Macht der Nacht"Bild: ullstein buchverlage

Der kleine Max mag Marschmusik

Neben Sven Väth ist Westbam der bekannteste deutsche Techno-DJ. Songs wie "Sunshine", "Sonic Empire" oder "Beatbox Rocker" haben es nicht nur in die Clubs dieses Planeten, sondern auch in die Charts und auf massentaugliche Hit-Compilations wie etwa die in Deutschland sehr erfolgreiche "Bravo Hits" geschafft.

Nach einer musikalischen Weltkarriere sah es zunächst allerdings gar nicht aus, schreibt Lenz in "Die Macht der Nacht". Akustische Gitarren mag der junge Max nicht, Singen findet er stressig, kollektives Singen erst Recht. "Es gab sehr viele Dinge, die mich mehr antörnten: Nägel einschlagen, Plastiktüten verbrennen […] oder Matchboxautos im Schraubstock zerquetschen." Eine bestimmte Musikrichtung hat es ihm dann aber doch angetan: "Marschmusik was my first love!" Für den kleinen Maximilian ist sie "das erste Erlebnis von Freiheit und Abenteuer". Die musikalische Frühkarriere des Minderjährigen entwickelt sich zunächst allerdings weniger in Richtung des "Hum ta ta" der deutschen Marschmusik – und auch noch nicht in Richtung der "Umts, pats, umts, pats" des Techno – sondern zum Punk. Maximilian Lenz schließt sich den "MS-Punks" an ("MS" steht für Münster) und ist gegen das Establishment, gegen alles. Seine erste Band hat den aussagekräftigen Namen "Anormal Null", die musikalischen Vorbilder heißen "D.A.F." und "Ideal". 1981 gründet Lenz mit Freunden die Punkband "Kriegsschauplatz Tempodrom" – und zwar eigens für das "Festival der genialen Dilettanten" in West-Berlin. Zuvor hatte er "Blixa Bargeld" von den "Einstürzenden Neubauten" kennengelernt, und der hat ihn zu seinem Festival eingeladen.

Ausgelassene Techno-Fans auf der Die Loveparade 1996 in Berlin (Foto: Picture-alliance / dpa / P. Grimm)
Die Loveparade 1996 in Berlin stand unter dem Motto "We are one family"Bild: picture-alliance/dpa/P. Grimm

Vom Punk zum Techno

Berlin findet der junge Max "von der ersten Sekunde an wunderbar", schreibt der gealterte Max in "Die Macht der Nacht". Westbam berichtet von einschneidenden Erlebnissen im ehemaligen Berliner Club "Metropol" – vor allem die Berliner Schwulenszene tanzt dort zu neuen, ungewohnt harten, elektronischen Klängen, die aus Chicago über den Ozean geschwappt waren: "Jetzt begann eine Roboterstimme im Rhythmus des Beats einen Countdown herunterzuzählen. 10, 9, 8… eine Sirene, ein Donnerhall, ein neues Synthie-Riff, eine neue Bedeutung für das Wort Bevölkerungsexplosion, Gekreische, Trillerpfeifen, Hysterie. Public Energy. Totale Ekstase. Es war eine völlig andere Intensität als die, die ich bisher aus Clubs kannte." Die für damalige Verhältnisse völlig neue Musik prägt seine spätere Entwicklung, er ist "schockiert und zugleich fasziniert".

Seinen ersten "Auftritt" als DJ hat Lenz im "Odeon" in Münster. Damals nennt er sich noch "DJ Captain Xerox" – eine Reminiszenz an "Frank Xerox", den Namen, den er sich als Punk gegeben hatte. Für seinen ersten Gig bekommt der damals gerade Volljährige noch 75 D-Mark. Später wird die Gage auf 150 DM verdoppelt. "Mir kam die Gage astronomisch hoch vor", schreibt Westbam, "aber William [Anm. d. Red.: sein Manager] sagte, eines Tages würde man mir 500 bieten! Ja, sogar 1000!" Heute sind die Zeiten, in denen der DJ für 1000 DM einen Plattenteller berührt, längst vorbei.

Westbam 2008 bei der Techno-Party "Winterworld" in Koblenz (Foto: imago / Thomas Frey)
Westbam 2008 bei der Techno-Party "Winterworld"Bild: imago/Thomas Frey

Techno ohne Drogen?

Maximilian Lenz schreibt – natürlich – auch über den Konsum nahezu sämtlicher in der Szene verbreiteten Drogen. Wenn man "Die Macht der Nacht" liest, wird man das Gefühl nicht los, als gehörten die Party-Katalysatoren zur Techno-Welt einfach wie selbstverständlich dazu. Als ginge es nicht ohne sie. The party never stops. Für Westbam stoppt sie am 24. Juli 2010 in Duisburg: Beim schweren Unglück auf der Lovaparade sterben 21 Menschen. Westbam sagt seinen Auftritt ab. Als einziger DJ hat er bei allen Paraden von 1989 bis 2008 aufgelegt. Sein zweites Riesenprojekt erfindet er Anfang der 90er-Jahre zusammen mit seinem Bruder Fabian Lenz ("DJ Dick"): Die "Mayday". Mittlerweile ist sie die größte Indoor-Rave-Party der Republik. Bis zu 25.000 zappelwütige Techno-Fans kommen Jahr für Jahr. Nach ihren Anfängen in Berlin zieht die Party später in die Dortmunder Westfalenhalle um.

DJ Westbam zusammen mit Afrika Islam beim deutschen Vorentscheid des Eurovision Song Contest 2004.(Foto: Andreas Altwein dpa/lbn)
Zusammen mit Afrika Islam nahm Westbam 2004 am deutschen Vorentscheid des Eurovision Song Contest teilBild: picture-alliance/dpa/A. Altwein

"Fader hoch, Fader runter. Fertig."

Bevor Maximilian Lenz 1983 im "Odeon" in Münster seinen ersten Track spielt – "Bela Lugosi's Dead" von "Bauhaus" – bekommt er vom Haustechniker erklärt, was er zu tun hat: "'Kurz bevor eine Platte zu Ende ist, startest du den zweiten Plattenspieler. Keine Pause zwischen den Liedern. Fader hoch, Fader runter. Fertig.' Und das war ungefähr alles, was man als DJ wissen musste." Naja, stimmt fast. Im Laufe der nächsten Jahre entwickelt der Newcomer seinen ganz eigenen Stil – er passt die unterschiedlichen Geschwindigkeiten mit dem Pitch Controller so lange an, bis die Tracks synchron übereinander liegen. Der hörbare Wechsel zwischen zwei Songs entfällt, der Übergang wird weich.

"Worum es beim DJing geht, hatte ich gecheckt: Schon vorher zu wissen, was als Nächstes gut kommt", schreibt er in seinem Buch. Das gilt bis heute: "Ich bin begeistert, muss ich gestehen", sagt der 57-jährige Michael bei der Geburtstags- und Buch-Release-Party in der Berliner Columbiahalle. Er trägt Hemd und Jacket, eine schicke Künstlerbrille sitzt auf seiner Nase. Michael ist zum ersten Mal auf einer Techno-Veranstaltung, er begleitet seinen 17-jährigen Sohn, der ohne ihn nicht in die Halle gekommen wäre. "Klar ist das ganz schön laut, aber die Energie, die hier im Raum herrscht, ist phänomenal. Das treibt einen richtig an. In einer schönen, fröhlichen Art und Weise. Und der Beat hört einfach nicht auf!"

DJ Westbam bei einem Auftritt in München 2013 (Foto: Felix Hörhager/dpa)
Westbam 2013 in MünchenBild: picture-alliance/dpa/F. Hörhager