Diversität: Afrodeutsche in Top-Positionen
18. August 2023Schwarze Menschen sind in vielen Berufen in Deutschland tätig - sie arbeiten als Unternehmer, Ladenbesitzer, Dienstleister, Pflege- und Reinigungskraft, sind Musikerinnen, in den Medien und anderen Bereichen vertreten. Noch immer müssen viele Afrodeutsche darum kämpfen, von der Gesellschaft als Deutsche anerkannt zu werden. Doch seit einigen Jahren zeigt sich die Vielfalt im Einwanderungsland Deutschland auch an zentralen Stellen wie in der Politik.
Eine spannende Entwicklung, findet Tahir Della. Der Deutsch-Amerikaner ist Sprecher der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD). "Die Präsenz schwarzer Menschen ist gerade in der Politik sichtbar. Sie stehen für eine Gesellschaft, die diverser ist, als sie oft wahrgenommen wird", sagt Della im DW-Interview. Häufig seien die Akteure in Deutschland aufgewachsen und Teil der bestehenden Strukturen.
Der Verein schätzt die Zahl von Menschen mit afrikanischen Wurzeln in Deutschland auf 1,2 Millionen. Das erscheine gering auf den ersten Blick, sagt Della. Aber bedeute auch, dass sie nicht proportional in der Gesellschaft abgebildet sind.
Joe Chialo: vom Hardrocker zum Kultursenator
Das jüngste Beispiel eines Aufsteigers ist Joe Chialo, der nach seiner Wahl zum Berliner Kultursenator am 27. April von sich Reden macht. Er weiß um die wirtschaftliche Bedeutung, die die Branche in der deutschen Hauptstadt hat: "Mir ist völlig klar, dass (...) die kommenden Jahre voller Herausforderungen sein werden", sagte Chialo zur Deutschen Presseagentur.
Chialo wird 1970 als Sohn einer tansanischen Diplomatenfamilie in Bonn geboren. Mit seinem Bruder besucht er später in der Nähe von Köln ein katholisches Ordensinternat. Doch die schillernde Karriere des 52-Jährigen beginnt als Hardrocker in der Band Blue Manner Haze. Chialo macht eine Handwerksausbildung zum Fräser, studiert einige Semester Geschichte, Politik und wirtschaftliche Staatswissenschaften und lässt das Studium sausen - für die Musik.
In den 1990er-Jahren ist er Mitglied bei den Grünen, in die Christlich Demokratische Union (CDU) tritt er erst 2016 ein - aus Sympathie mit Angela Merkels Flüchtlingspolitik. Bundesweit bekannt wird Chialo mit der Berufung in das "Zukunftsteam" von Kanzlerkandidat Armin Laschet zur Bundestagswahl 2021. Laschet verliert die Wahl, Chialo seine Chance auf ein Amt im Bundestag.
Der charismatische Chialo bezeichnet sich als Afropäer und gilt als jemand, der eine frische Perspektive zu den Themen der Gegenwart mitbringt: Europas Sicht auf Afrika, den Umgang der katholischen Kirche mit Missbrauchsfällen, den digitalen Wandel.
Sein politischer Quereinstieg findet viel Beachtung: Chialo habe einen anderen Blick, sagt Della von der ISD, aber es werde sich zeigen, ob er auch inhaltlich etwas verändern könne. Diejenigen, die sich in der Politik engagierten, stünden vor der Aufgabe, selbstbestimmt zu gestalten und sich nicht auf die Themen beschränken zu lassen, die ihnen zugeschrieben würden.
"Aus meiner Sicht ist es der Verdienst der jüngeren schwarzen Bewegung, dass sich nun zunehmend auch schwarze Menschen am politischen Geschehen beteiligen, ihre Positionen einbringen und somit auch zu einer Gesellschaft beitragen, die von Diversität und Gerechtigkeit geprägt ist", sagt Della im DW-Interview. "Alle haben gemeinsam, dass sie die Gesellschaft mitformen, die sich von einem verengten Blick verabschiedet", fügt Della an.
Aminata Touré - Deutschlands erste schwarze Ministerin
Das gilt auch für Aminata Touré - sie ist die erste schwarze Ministerin Deutschlands und leitet seit Mitte 2022 das Ministerium für Soziales, Jugend, Familie, Senioren, Integration und Gleichstellung in ihrem Heimatbundesland Schleswig-Holstein.
1992 wird Touré in Neumünster geboren. Ihre Eltern hatten nach einem Putsch 1991 ihre Heimat Mali verlassen. Sie wächst in einer Unterkunft für Geflüchtete auf. Erst mit 13 Jahren erhält sie die deutsche Staatsbürgerschaft.
Touré studiert Politikwissenschaft und Französische Philologie, engagiert sich bei den Grünen. 2017 kommt sie in den Kieler Landtag, zwei Jahre später wird sie Vizepräsidentin - als jüngste und erste Afrodeutsche in diesem Amt. Und stellt sich kurz darauf ganz anders ins Rampenlicht: Die Grünen-Politikerin erscheint auf dem Cover der deutschen "Vogue".
Im Interview mit der Modezeitschrift erklärte Touré, es sei Aufgabe der Politik, Transparenz über politische Prozesse herzustellen und so gesellschaftliche Gruppen zu erreichen, die normalerweise nicht mit Politik in Berührung kämen. Sie tritt selbstbewusst auf, kämpft gegen Rassismus und für die Integration von Flüchtlingen.
Rassismus sei nach wie vor verankert in Deutschland, sagt Tahir Della: "Wir befassen uns seit fast 40 Jahren damit. Aber er wird stärker aufgegriffen von Betroffenen, es gibt zahlreiche Bücher, Aktivitäten und politische Veranstaltungen, die die Reaktionen sichtbar verändern."
Erfolgreiche schwarze Menschen hätten auch Qualifikationen, man könne also nicht leugnen, dass sich in den letzten zehn bis zwanzig Jahren etwas verändert habe, so Della. Diese Veränderung habe in anderen Bereichen schon länger Einzug gehalten, zum Beispiel in Kultur und Sport.
Steffi Jones - Vorbild am Ball
Stephanie Ann "Steffi" Jones ist so ein Beispiel: Weltmeisterin 2003, dreifache Europameisterin, eine der erfolgreichsten deutschen Fußballspielerinnen. Ihre aktive Karriere beendete sie im Jahr 2007, es folgte die Berufung zur Präsidentin des Organisationskomitees der Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen 2011, die in Deutschland stattfand.
Die Tochter eines afroamerikanischen Soldaten und einer deutschen Mutter war von 2016 bis 2018 Bundestrainerin der deutschen Nationalmannschaft im Frauenfußball. Später startete Jones eine neue Laufbahn als Unternehmerin in der Softwarebranche. Auch sie kennt Alltagsrassismus, Beleidigungen auf dem Sportplatz, und hat sich - wie viele ihrer Mitstreiterinnen - dagegen gewehrt.
Denn obwohl farbige Menschen in Deutschland rassistische Erfahrungen machten und inhaltliche Ausschlüsse weiter bestünden, so Tahir Della von der der ISD, falle es den Betroffenen leichter, darüber zu sprechen - und etwas zu bewirken.